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Landtagswahl Thüringen
"SPD sollte sich daran erinnern, dass wir eine politische Spaltung haben"

In Deutschland gebe es ein rechtes und ein linkes politisches Lager, sagte der Parteienforscher Gero Neugebauer im DLF. Alle Bemühungen der SPD, im rechten Lager zu punkten, seien bislang gescheitert. Deshalb könnte eine rot-rot-grüne Koalition sinnvoll für die SPD in Thüringen sein.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Die Bildkombo vom 20.08.2014 zeigt Großplakate der Parteien (von links oben im Uhrzeigersinn) CDU, Linke, FDP und SPD, die in Thüringen das Bild an den Straßen bestimmen.
    Könnte Bodo Ramelow (Die Linke) Ministerpräsident in Thüringen werden? In einer rot-rot-grünen-Koalition schon. (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Auf die Frage, ob eine Entscheidung zur Koalition mit der Linken zu einer Zerreißprobe für die Partei werden könnte, sagte der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer im Deutschlandfunk, dass die SPD sich von ideologischem Ballast lösen müsse, was in Ostverbänden immer noch die Politik bestimme. Es gebe die Vorstellung, dass man es bei der Linken mit einer Partei zu tun habe, die es bis heute mit der SED zu tun habe. In dieser Frage sei sich die Thüringer SPD noch nie einig geworden.
    Als "Alibi" für eine Koalition mit der Linken könne die SPD sagen, dass man "zwar Wähler verloren habe, aber nicht an die CDU, sondern an die Linke". Ein weiterer Grund für die SPD, diese neue Konstellation einzugehen, sei, dass die Bemühungen der SPD, im rechten Lager "ernten zu können", bisher gescheitert seien.
    Wähler haben AfD aus Protest gewählt
    Zum guten Abschneiden der AfD sagte Neugebauer, dass die meisten Wähler die Partei nur aus Protest oder als Alternative zum Auftreten der anderen Parteien gewählt hätten. Die Wähler hätten nicht unbedingt dem Programm der Alternative für Deutschland zugestimmt, sagte Neugebauer.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Beginnen wir in Thüringen, wo wir gestern eine vielleicht historische Wahl erlebt haben, wo es spannend war bis in den späten Abend und wo mit einer Stimme Mehrheit Bodo Ramelow nun tatsächlich zum ersten Ministerpräsidenten von der Partei Die Linke werden könnte, wenn es ihm gelingt, eine Koalition mit der SPD und den Grünen zu bilden. Muss die SPD jetzt, 25 Jahre nach dem Mauerfall, ihr Verhältnis zur Linkspartei überdenken? Läuft sie da Gefahr, in eine Zerreißprobe gestürzt zu werden? Auf der anderen Seite ist schon eine Diskussion in vollem Gange, wie die Union nun auf die Erfolge der AfD reagieren soll. Mitgehört hat der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Gero Neugebauer von der FU Berlin. Guten Tag, Herr Neugebauer!
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Neugebauer, nach dieser Wahl in Thüringen könnte es jetzt erstmals einen Ministerpräsidenten aus der Partei Die Linke geben, und das Paradoxe ist, dass ausgerechnet der große Wahlverlierer, also die Volkspartei SPD, die nur noch 12,4 Prozent der Stimmen bekommen hat, dass die das jetzt zu entscheiden hat oder entscheiden soll. Wird das aus Ihrer Sicht eine Zerreißprobe für die SPD, oder ist das gar nicht so schwer zu lösen?
    Neugebauer: Es ist zu lösen, wenn die SPD sich von ideologischem Ballast löst, der in manchen Ostverbänden eigentlich immer noch die Politik bestimmt, ohne dass er eine reale gesellschaftliche Grundlage hat. Das soll heißen, es gibt immer noch die Vorstellung, man habe es mit einer Partei zu tun, die aus der Verlängerung der SED stammt und der man die eigene Gründung im August '89 entgegengesetzt hat und die man eigentlich auch bekämpfen wollte und sollte, und da gibt es durchaus gerade in der thüringischen SPD, aber auch in der sächsischen langwierige Auseinandersetzungen, die zum Teil zwischen den Gründern geführt worden sind, aber zum Teil auch zwischen Gründern und Mitgliedern, die aus dem Westen gekommen sind, die Regierungspositionen hatten und die dazu beigetragen haben, dass sich die Thüringer SPD in dieser Frage nie richtig einig geworden ist und heute glaubt, das sei immer noch eine Schicksalsfrage für die eigene Partei.
    "Die Thüringer SPD hätte ein gutes Alibi, das zu wagen"
    Zagatta: Glauben Sie denn daran, dass die Thüringer SPD das wagen wird?
    Neugebauer: Die Thüringer SPD hätte ein gutes Alibi, das zu wagen. Das eine wäre in der Tat: Sie ist gewählt worden. Aber sie ist dann, wenn sie sich auf ihre Stärke besinnt, eigentlich nur noch Funktionspartei, und Volkspartei ist sie nicht. Das kann sie nur dann werden, wenn sie in der Regierung ist und wenn sie über Regierungsfunktionen ihre Politik vermitteln kann. Sie hat ein weiteres Alibi dadurch, dass sie sagen kann, wir haben zwar Wähler verloren, aber wir haben nicht Wähler an die Union verloren, sondern eher an die Linke. Das heißt, wir sind von Leuten nicht gewählt worden, die dieses Bündnis haben wollten. Und sie kann eigentlich auch sagen, was hat das noch für eine Relevanz, wenn man heute diese Auseinandersetzung führt. Vielleicht kann ja nach dem Motto ex oriente lux, aus dem Osten kommt das Licht, hier sagen, okay, wir machen mal ein anderes, wir bestehen nicht mehr darauf, den Ministerpräsidenten zu stellen, sondern wir gehen als Juniorpartner in eine Koalition herein, in der Die Linke den Chef stellt, und das wäre in der Tat eine Innovation im deutschen Parteien- und Regierungssystem.
    Zagatta: Wäre das auch irgendwie eine Weichenstellung für Berlin, wo die Linke ja nach wie vor wegen ihrer Außenpolitik als Koalitionspartner für die SPD ausscheidet?
    Neugebauer: Die SPD an der Spitze ist erfahren genug, um sagen zu können - und Gabriel hat das ja auch gesagt -, das was an sozialdemokratischen Elementen in den ostdeutschen Landesverbänden vorhanden ist, gilt nicht für die gesamte Linke, und da weist man deutlich auf, sagen wir mal, Besonderheiten der westdeutschen Linken hin. Insofern würde eine rot-rot-grüne Koalition sicherlich in den Medien und auch bei der Union eine gewisse Aufmerksamkeit erzeugen und möglicherweise auch eine Agitation in die Richtung, guck an, jetzt werden wir den Linken ausgeliefert. Aber die SPD täte gut daran, sich zu erinnern, dass wir in Deutschland eine politische Spaltung haben. Wir haben ein rechtes und wir haben ein linkes Lager und ihre Bemühungen, im rechten Lager sozusagen ernten zu können, sind bislang gescheitert. Das heißt, eine Haltung der SPD, die dazu beitragen könnte zu sagen, es gibt wieder eine klarere politische Positionierung in Deutschland und wir können in Wahlkämpfe mit einer bestimmten Polarisierungsstrategie reingehen, die wieder zur besseren Mobilisierung führt, hätte durchaus auch ihren Sinn in einer Regierungsbildung in Thüringen, die Rot-Rot-Grün heißt.
    Mit AfD als Koalitionspartner befassen
    Zagatta: Herr Neugebauer, das ist das Problem der SPD. Wie sieht es auf der anderen Seite aus, wenn wir auf die Union schauen? Die leidet ja unter dem Erfolg der AfD, weiß nicht so recht, wie man damit umgehen soll. Wie sehen Sie das? Ist das eine Protestpartei nach diesen Wahlen gestern, in beiden Landtagen vertreten, in beiden mit zweistelligen Ergebnissen, oder wird aus dieser möglicherweise Protestpartei langsam mehr?
    Neugebauer: Ich sehe - und da folge ich einfach den Ergebnissen der Umfrageforschung -, dass die meisten Wählerinnen und Wähler die AfD aus Protest gegen die Politik der anderen Parteien wählen, oder dass sie aus dem Nichtwähler-Lager kommen, aber auch deshalb, weil sie sagen, das ist eine Alternative, eine Alternative zu dem Auftreten der anderen Parteien. Dabei muss man nicht notwendigerweise auch immer eine Zustimmung zum Programm der AfD sehen, und insofern ist es die Frage, ob das Aufkommen der AfD in der gegenwärtigen Größe möglicherweise das Ergebnis sowohl von Aufmerksamkeit seitens der Medien als auch Aufmerksamkeit durch das Auftreten der AfD gegenüber den anderen Parteien ist. Sie spielt ja gerne da die Rolle des David gegen den Goliath, gegen die Altparteien -, dass das die Aufmerksamkeit erzeugt, die ihr die Stimmen eingebracht hat.
    Einige setzen ja darauf, dass sie sagen, okay, in der Parlamentsarbeit wird sich manches abschleifen. Ihre großen Themen Euro-Kritik, Kritik an Migrationspolitik sind auf der Landtagsebene, auf der Landesebene irrelevant. Da geht es um andere Themen. Andere werden wiederum sagen, mit dem Gesellschaftsbild, was sie vertritt, mit dem Familienbild aus den 50er-, 60er-Jahren kann sie eigentlich in einer moderneren Gesellschaft kaum einen Stich kriegen. Das sind alles Positionen, von denen man sagen muss, warten wir es ab. Aber tendenziell wird man, angesichts der Tatsache, dass die Union jetzt schon bei drei Wahlen es nicht mehr geschafft hat, ihren rechten Rand, nämlich die Konservativen zu integrieren, einer rechtskonservativen Partei wie in anderen Ländern Europas auch eine gewisse Existenzfähigkeit, soll heißen zwischen fünf und acht, neun Prozent, zubilligen müssen, und dann stellt sich die Frage für die Union: Ist das möglicherweise in drei Jahren ein Koalitionspartner?
    "SPD wird sich nicht darauf reduzieren lassen wollen, Funktionspartei spielen zu wollen"
    Zagatta: Die Frage haben wir für die SPD gestellt. Wird das möglicherweise jetzt für die Union eine Zerreißprobe, ist vielleicht übertrieben, aber ein ernstes Problem?
    Neugebauer: Vergleichen wir es mal damit, dass die Grünen und Die Linke die SPD in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht haben und immer noch bringen, weil es sozusagen Fleisch von ihrem Fleische ist. Und wenn man sieht, dass die Union an diese AfD Wählerinnen und Wähler verliert, die eigentlich auch von ihrem Fleische sind, dann muss man sagen, es wird zu einem Problem für die CDU. Sie kann sich nicht mehr darstellen als die große Integrationspartei, die das gesamte Wahlvolk von der Mitte bis nach rechts integrieren kann, und das bedeutet auch, sie wird sich überlegen, wie sie ihre künftigen Koalitionsoptionen gestaltet. Die SPD wird sich nicht darauf reduzieren lassen wollen, Funktionspartei und Partner für die CDU allein spielen zu wollen, und die CDU wird schauen, ob sie natürlich mit den Grünen ausreichend Kompensation findet. Nur ich wage das zu bezweifeln, denn je stärker die AfD werden sollte, oder besser gesagt, wenn sie sich überhaupt etabliert auf Bundesebene, dann fehlen auch der Union die Prozente und die Mandate, die sie bräuchte, um mit den Grünen vielleicht alleine eine Regierung bilden zu können.
    Zagatta: Herr Neugebauer, vielleicht noch kurz: Uns hat etwas überrascht, dass die Meinungsforscher sagen, dass die AfD auch viele Stimmen von jungen Leuten bekommen hat, nachdem sie als „Partei von alten Herren" bezeichnet wurde. War Ihnen das als Parteienforscher, der sich damit beschäftigt hat, klar, oder kommt das für Sie jetzt auch etwas überraschend?
    Neugebauer: Es kommt insofern auch für mich überraschend, weil in der Tat das Bild, das die Partei dargeboten hat - gucken Sie sich beispielsweise die Versammlungen an, die Delegiertenkonferenzen und Ähnliches mehr -, in der Überzahl immer ältere Herren dargestellt hat, weniger ältere Damen und kaum Jugendliche. Aber schon die Untersuchung der Bundestagswähler hat gezeigt, dass verhältnismäßig viele Jungwähler gegangen sind, bei der Europawahl ähnlich, und ich kann es mir so erklären, dass unter diesen jüngeren Gruppen - und das, denke ich, das geht bis in die 35-Jährigen hinein, also in diese ersten Wählergruppe - einige Erstwähler sind, die der AfD zugeneigt waren, und andererseits aber auch junge Wähler, die von der Politik der Parteien hinsichtlich auf ihre Perspektiven enttäuscht worden sind. Die AfD verspricht ja so was wie Zukunft, aber mit dem Blick zurück eine Zukunft zu machen, das sehe ich nicht so richtig, und insofern werte ich die jungen Wähler oder den Zustrom der jungen Wähler eher als einen Ausdruck einer Protesthaltung, die an die „Altparteien" appelliert zu sagen, bitte schön, konzentriert euch nicht nur auf Renten und Mindestlöhne und solche Sachen mehr, sondern macht eine Politik, die den Jugendlichen sozialen Aufstieg ermöglicht und ihnen auch eine sichere Zukunft ...
    Zagatta: „Eine sichere Zukunft bietet", wollte der Parteienforscher Gero Neugebauer wohl sagen. Die Leitung ist unter Umständen abgebrochen, aber wir waren sowieso am Ende, denn die Nachrichten warten. Danke schön! Das war ein Gespräch mit Gero Neugebauer von der FU Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.