Die Zeiten, in denen nur einige Wahlhelfer davon erfuhren, wenn man in eine staubige Kabine trat und sein Kreuz machte, sind vorbei. Heute kann alle Welt auf Twitter oder Facebook mitverfolgen, ob und wie jemand wählt.
Unter Hashtags wie #gehwählen rufen Twitter-User ihre Follower dazu auf, es ihnen gleichzutun, oder sie äußern sich zu ihren politischen Vorlieben und Abneigungen.
"Die sozialen Medien sind ganz wichtig, um junge Leute an die Urne zu bringen", sagt Gerald Wolf. Er ist Projektleiter bei der Initiative Juniorwahl. Sie will Schülerinnen und Schülern das Wählen schmackhaft machen - selbst dann, wenn sie das offizielle Wahlalter noch nicht erreicht haben.
Am Ende steht ein Kreuz auf dem Stimmzettel
Das geschieht mit Unterstützung der unabhängigen Initiative zunächst einmal ganz analog im Politikunterricht ab der siebten Klasse. Jedoch mit einem entscheidenden Unterschied, sagt Wolf: "Am Ende steht keine Klassenarbeit, sondern ein Kreuz auf dem Stimmzettel." Mit Hilfe ihrer Lehrer simulieren die Schüler eine richtige Wahl. Es gibt Wahlbenachrichtigungen und Wählerverzeichnisse. Die Jugendlichen erhalten einen Wahlschein, den sie dann mit ihrem Personalausweis am Wahltag mitbringen müssen, um abstimmen zu können - für die real existierenden Parteien.
Das sei kein Spiel, sagt Wolf. "Wir sagen den Schülern: 'Du hast jetzt die Verantwortung.'" Die allermeisten Jugendlichen nähmen die Aufgabe ernst und gingen sogar mit einer gewissen Ehrfurcht zu ihrer ersten Wahl.
Nur das "Ländle" verweigert sich
In Rheinland-Pfalz haben sich vor der Landtagswahl am Sonntag 175 Schulen mit rund 50.000 Jugendlichen an der Juniorwahl beteiligt, in Sachsen-Anhalt waren es 110 Schulen mit 22.000 Schülern. Einsamer Ausreißer: Baden-Württemberg. In dem grün-rot regierten Land fand sich keine öffentliche Institution, die die nötigen 250 Euro pro Schule finanzieren wollte. Dabei können im "Ländle" Jugendliche bereits mit 16 wählen, wenn auch nur auf kommunaler Ebene - ebenso wie acht weiteren Bundesländern, darunter auch Sachsen-Anhalt.
Bei Politikwissenschaftlern ist inzwischen unumstritten, wie wichtig junge Wähler gerade in Zeiten steigender Enthaltung sind. Das geht auch aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor, die das Wählen ab 16 untersucht hat.: "Gelingt es, die Erstwählerjahrgänge zusätzlich zu mobilisieren, hat dies nachhaltig positive Effekte auch auf die Höhe der Gesamtwahlbeteiligung", heißt es darin. Damit könnte laut den Autoren auch der seit Jahren anhaltende Trend zum Wählerschwund umgedreht werden.
Das wundert Gerald Wolf nicht: "Was als Politikverdrossenheit beschrieben wird, hat mit mangelnden Kenntnissen zu tun", ist er überzeugt. Je früher jemand an das Wahlsystem und die Rolle der Parteien herangeführt werde, desto eher werde er seine Stimme abgeben - und auch sein Umfeld dazu anstiften. Er kenne Eltern, die nach der Teilnahme ihres Kindes bei einer Juniorwahl erstmals selbst wieder wählen gegangen seien.
Parteien buhlen um Jungwähler
Auch die Parteien haben dies erkannt und versuchen, gezielt Menschen unter 25 anzusprechen. Mehr oder weniger erfolgreich. In Ulm mussten die Grünen eine Aktion nach Protesten und Spott in den sozialen Netzwerken absagen. Sie versprachen Erstwählern zwei Freigetränke. Im Gegenzug sollten die jungen Leute bei der Wahlkampfabschlussparty an diesem Samstag ihre verschlossenen Briefwahlkuverts abgeben. "Stimmenkauf" war noch der harmloseste Vorwurf, der laut wurde.
Die SPD Stuttgart versucht es besser zu machen. Sie hat eine "Jungwähler-Postkarte" entworfen, die in Zeiten der Kommunikation ohne Briefmarken immerhin auch über Twitter verschickt wird. Den Slogan kann man witzig finden, muss es aber nicht.
Ein CDU-Politiker aus Konstanz veröffentlichte online eine "Sprechblase" für junge Wähler, in der unter dem Stichwort "weil Politik Spaß macht" steht: "Das will ich vermitteln, indem ich auch bei Jugendlichen für das Mitmachen werbe und eine Politik vorlebe, die von Werten geleitet wird."
Das können die Jugendlichen besser. In Sachsen-Anhalt haben Magdeburger Schüler eine Wette mit den Spitzenkandidaten der Parteien im Landtag abgeschlossen. Sie wetten, dass die Beteiligung unter den Erstwählern am Sonntag höher ist als in den übrigen Altersgruppen. Die Kandidaten von CDU, Linke, SPD und Grünen setzen dagegen. Man wünscht ihnen, dass sie die Wette verlieren.