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Landtagswahlen in Brandenburg
Frust trotz Aufschwung

Unzufriedenheit und Frust sind groß in Brandenburg. Dabei geht es dem Land immer besser. Nicht nur Vertreter der regierende SPD und Linken wundern sich, warum die Umfragewerte der AfD dennoch steigen. Die rot-rote Ära an der Havel könnte enden - die Regierungsbildung nach der Wahl schwierig werden.

Fahrradfahrer fährt vor Wahlplakate von Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und CDU für die Landtagswahl in Brandenburg vorbei
Am kommenden Sonntag wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt (imago/Martin Müller)
Dietmar Woidke ist kein brillanter Redner, auch kurze, knackige Statements in Fernsehdebatten liegen ihm nicht. Aber jovialer Landesvater, das kann er. Ein Fest der SPD an einem sonnigen Abend im Städtchen Brandenburg an der Havel: Die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, setzt sich der Ministerpräsident und Spitzenkandidat an einen Tisch und sucht das Gespräch.
"Die Brandenburger selbst sagen ja immer: ‚Es geht nicht voran, es muss viel schneller sein.‘ Aber wenn man eine Weile nicht hier war, kann man dann doch entdecken, was sich so alles getan hat. Und das finde ich toll. Man muss nicht immer meckern, man muss zusehen, dass man mithilft, es besser zu machen. Oder?"
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und AfD
Brandenburg an der Havel ist nicht nur Namensgeberin des nach der Wende neu geschaffenen größten aller Ost-Bundesländer, auch was die Seniorin über die Stadt sagt, ist beispielhaft fürs ganze Land: Früher war es eine graue, schmutzige Industriestadt, heute ist sie hübsch saniert, der wieder sauberen Havel zugewandt - ein Ziel für Neubürger aus Berlin.
Landtagswahl Brandenburg 2019
Was Sie über die Wahl in Brandenburg wissen müssen (dpa / Patrick Pleul)
Auf den ersten Blick hat auch das Land Brandenburg sich unter den fast 30 Jahren Dauerregierung der SPD seit der Wende gut entwickelt. Aber die Leute meckern. Unzufriedenheit und Frust sind groß. So groß, dass die AfD laut jüngster Umfrage mit 21 Prozent Kopf an Kopf liegt mit der einstigen "Brandenburg-Partei" SPD. Bei der Europawahl im Mai war die AfD gar stärkste Kraft.
Landtagswahl in Brandenburg - Neue Koalitionen ante portas
Bei der Landtagswahl in Brandenburg könnte eine Ära zu Ende gehen: Seit der Wende regierte dort die SPD. Doch Umfragen sehen die AfD jetzt Kopf an Kopf mit den Sozialdemokraten. Die Zeit der Zweierbündnisse scheint damit vorüber und die politische Landschaft ist so zersplittert wie im Bund.
Die Mehrheit für das rot-rote Regierungsbündnis der vergangenen zehn Jahre ist dahin. Für ein Zweierbündnis wird es nach der Wahl am Sonntag nicht mehr reichen: Die Linke liegt in Umfragen bei nur noch 15 Prozent. Direkt dahinter die Grünen, die auch in Brandenburg einen beispiellosen Höhenflug erleben. Wenn die Freien Wähler dank eines Direktmandates für ihren Vertreter Péter Vida unter der Fünfprozenthürde hindurch ins Parlament schlüpfen, dann wird es sogar für ein Dreierbündnis knapp.
Angst, Hass und Wut
Anja Weinkauf sitzt beim SPD-Fest in Brandenburg/Havel an einem Tisch am Rand. Sie ist überzeugte Sozialdemokratin, aber besonders optimistisch ist sie nicht: "Für unsere Partei hier tun wir, was wir können. Wir sprechen mit den Leuten, wir verteilen Flyer, wir hängen die Plakate. Aber die Angst, die in den Menschen sitzt, die Wut, der Hass, kriegst du mit keinem Plakat, mit keinem Werbemittel raus."
Hass worauf, Angst wovor? Nach dem Zusammenbruch fast der gesamten Industrie nach der Wende hat sich die Wirtschaft erholt: Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,7 Prozent. Historischer Tiefstand.
"Also erstmal, muss ich ganz ehrlich sagen, glaube ich diese Zahlen nicht. Weil, wenn du dich mit deinem Umfeld beschäftigst, und dort ist jeder Zweite arbeitslos, kann die Zahl nicht stimmen. Und ganz, ganz viel, was die Leute aufregt, ist die Tatsache, dass die sich in ihrem Heimatland zurückgesetzt fühlen, gemessen an dem, was an Zuzüglern ist."
Wahlkampf in Ostdeutschland - Warum die AfD in Brandenburg so gut dasteht
Jeder fünfte Brandenburger will laut einer Forsa-Umfrage AfD wählen. Ressentiments, Wendefrust, Desinteresse anderer Parteien für abgehängte Gebiete – die Ursachen sind vielfältig, erklären Unterstützer der Partei in Cottbus und ein parteiloser Bürgermeister im entlegenen Oderbruch.
Seit Jahren trommelt die AfD im Landtag und auf Demonstrationen mit Pegida & Co gegen die angeblich kriminellen Flüchtlinge; mit Erfolg. Nicht weit vom SPD-Familienfest sitzt eine junge Frau auf einer Parkbank: Tätowiert, aufwändiges Augen-Makeup, Haarschopf nach dem Vorbild von Amy Winehouse. Sie will am Sonntag AfD wählen:
"Ich bin überhaupt gar nicht rechtsradikal, gar nicht. Aber mittlerweile habe auch ich Angst nachts durch die Straßen zu laufen. Weil mir auch schon komische Sachen passiert sind. Und das sollte geändert werden, dass da mehr durchgegriffen wird."
"Die SPD hat einen guten Job gemacht bisher"
Neben ihr auf derselben Bank sitzt eine Frau im mittleren Alter, die das nicht nachvollziehen kann. Sie lebe seit elf Jahren hier, fühle sich vollkommen sicher, erzählt sie:
"Meine Befürchtung ist tatsächlich, dass die AfD sehr stark zunehmen wird. Und trotzdem will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Die SPD hat einen guten Job gemacht bisher. Und ich wünsche ihr dass, - so wie Herr Woidke vorhin gesagt hat, die Stadt Brandenburg kann stolz sein auf sich -, dass es die SPD auch wieder entdeckt. Die hat so viele Sachen auf den Weg gebracht und sich immer wieder dahinter versteckt."
Landtagswahl Brandenburg - CDU-Kandidat zu liberal für die eigene Partei?
Ingo Senftleben galt bislang als junger, aussichtsreicher Vorsitzender der CDU in Brandenburg. In seiner Partei ist er jedoch umstritten – als treuer Merkel-Anhänger und wegen seiner Äußerung, sich auch eine Koalition mit der Linken vorstellen zu können.
Gute Arbeit, nur schlecht verkauft? Das sieht Ingo Senftleben ganz anders. Der CDU-Landeschef ist zufällig am selben Tag in Brandenburg/Havel auf Wahlkampftour. Wochenlang hat der 45-Jährige jeden Wahlkreis abgeklappert. Auf den Spuren Theodor Fontanes ist er dabei hunderte Kilometer gewandert, hier fährt er morgens im Kanu auf der Havel heran, begleitet von einem Fernsehteam im Motorboot.
Der Spitzenkandidat der märkischen CDU entsteigt in Outdoorhose und dunkelblauer Windjacke dem schwankenden Gefährt. Es ist ungewohnt, ihn mal nicht im weißen Hemd mit Schlips zu sehen. Während die SPD im Wahlkampf unter dem Motto "Ein Brandenburg" zur Geschlossenheit gegen die AfD aufruft, will Ingo Senftleben nach der Wahl auch mit den Rechtsaußen sprechen. Aus Respekt vor deren Wählern, wie er sagt. Gespräche will er führen, aber keine Koalition eingehen:
"Wir reden nicht mit der AfD über eine Regierung in Brandenburg. Das ist eine klare Aussage: Wir machen keine Regierung mit der AfD nach der Landtagswahl."
Unbekannter CDU-Spitzenkandidat Senftleben
So klar sagt er das aber erst seit Kurzem, zuvor hieß es lediglich: Keine Koalition mit einer AfD unter Andreas Kalbitz. Der Landeschef und Gauland-Nachfolger gehört dem völkisch-nationalistischen "Flügel" der AfD an und hat sich von seiner rechtsextremistischen Vergangenheit nicht distanziert. Der Schmusekurs mit den AfD-Wählern hat der CDU außer Ärger aber nichts gebracht: Die Partei dümpelt in den Umfragen seit Monaten bei 18 Prozent herum, kann trotz der Unzufriedenheit im Land nicht zulegen.
Senftleben und sein Team machen sich zu Fuß auf durch die Altstadt. Dabei tritt sein größtes Problem offen zutage: Kaum jemand kennt ihn. "Wer jetzt, mit der blauen…? Nö." - "Nein." - " Nö." - "Ein Politiker?"
Ingo Senftleben, Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl in Brandenburg spricht auf einer Pressekonferenz
Gibt sich in Sachen Bürgernähe selbstkritisch: Ingo Senftleben, Spitzenkandidaten der CDU (imago/Martin Müller)
Man habe zu wenig an Stammtischen gesessen, sagt Senftleben später durchaus selbstkritisch. Zu selten auf Marktplätzen gestanden, so gut wie nie in den kleinen Dörfern an Gartenzäunen mit den Menschen geplaudert. Auch daraus erwachse die Stärke der AfD. Tatsächlich hört man das in Brandenburger immer wieder: Die Politiker hören uns nicht zu, die interessieren sich nicht für uns. Dazu komme die schlechte Bilanz der rot-roten Landesregierung, sagt CDU-Politiker Senftleben. Während er am Neustädtischen Markt in die Straßenbahn einsteigt, zählt er auf:
"Das fängt bei Bildungspolitik an, geht über die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere die öffentliche, die Frage von Bebauungsmöglichkeiten, Ärzteversorgung ist ein ganz großes Thema, Mobilfunk ist ein ganz großes Thema. Also man kann es eigentlich zusammenfassen mit dem Ergebnis: Da, wo der Staat funktionieren muss und Menschen das Gefühl haben, er funktioniert nicht, er macht seinen Job nicht, da gibt’s entsprechend auch die Kritik."
Offensiver schwarz-grüner Flirt
All das soll anders und besser werden, so verspricht es die CDU, falls aus dem Frust doch noch eine Wechselstimmung erwächst und die Union am Wahlabend zum ersten Mal der Sieger ist. Auch Senftleben wird dann mindestens zwei weitere Partner ins Boot holen müssen. Mit den Grünen flirtet er offensiv und die Sympathie beruht bei der Grünen Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher auch auf Gegenseitigkeit:
"Unsere SPD hier im Land ist sicher eine wenig fortschrittliche SPD und die Erfahrung, dass in manchen Punkten man da mit der CDU besser verhandeln kann als mit einer sehr traditionellen SPD, die ist ja nicht ganz neu."
Digitales Entwicklungsland - Brandenburg auf der Suche nach der Zukunft
Die kleine und mittelständische Wirtschaft, die Brandenburg prägt, leidet unter den langsamen Internetleitungen. Die rot-rote Landesregierung will Abhilfe schaffen und plant den Ausbau des schnellen Internets. Doch der Opposition geht das zu langsam. Sie macht Druck mit Blick auf die Landtagswahl.
Senftleben will kein Dorf mehr der Braunkohle opfern, macht sich für Blühstreifen stark und lobt die "Fridays for Future"-Bewegung. Er ist ein liberaler und aufgeschlossener Vertreter seiner Partei. So aufgeschlossen, dass er sich auch das bundesweit erste Regierungsbündnis mit der Linken auf Landesebene vorstellen kann. Das hat ihm nicht nur an der Spitze der Union viel Kritik eingebracht. Auch im eigenen Landesverband hätte eine solche Konstruktion viele mächtige Gegner.
Und Regierungschef Dietmar Woidke möchte die Linke gerne weiter an der Seite seiner SPD wissen. Sein Vize-Ministerpräsident sieht das genauso. Denn die Bilanz der zu Ende gehenden Legislaturperiode sei positiv, sagt der Linken-Finanzminister Christian Görke. Er hatte schon eine schwarze Null im Haushalt stehen, als Bundesfinanzminister Schäuble noch davon träumte:
"Das Land ist sozialer geworden, es ist sicherer, es ist selbstbewusster, solidarischer. Und wenn man sich die Rankings anschaut, kann man auch sagen, so wie wir es im Koalitionsvertrag im Jahr 2014 formuliert haben: Wir haben den Aufbruch Brandenburgs vollendet."
Reihe: Wahlversprechen - Kreisreform in Brandenburg krachend gescheitert
Es war das große Reformvorhaben der rot-roten Landesregierung in Brandenburg: Eine umfassende Verwaltungsreform sollte das ebenso dünn besiedelte wie riesige Bundesland "demografiefest" machen. Doch Ministerpräsident Dietmar Woidke musste einen Rückzieher machen.
Rot-Rot habe den Aufbruch verschlafen, wettert dagegen CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben am Abend eines langen Wahlkampftages in Brandenburg an der Havel: Den Strukturwandel in der Lausitz nicht angepackt; beim Breitbandausbau dem Bund nicht genug Druck gemacht; viel zu viele Funklöcher zugelassen; nicht rechtzeitig auf den Lehrermangel reagiert und viel zu spät neue Züge bestellt, um zehntausende geplagte Pendler zu entlasten. Deswegen werde er mit einer SPD unter Dietmar Woidke auch nicht zusammen arbeiten:
"Wir haben die geringsten Ausgaben für Wissenschaft, Forschung im Vergleich zu anderen Ländern. Wir haben die längsten Gerichtsverfahren, pro Jahr Tausende junge Menschen, die die Schule verlassen ohne Abschluss. Wenn man allein diese Daten und Fakten nimmt und sagt, das möchte ich anders, dann muss man uns wählen. Die Brandenburger werden am 1. September die Chance bekommen, sich zu entscheiden für Stillstand unter Woidke oder für einen Politikwechsel mit Ingo Senftleben."
AfD holt die Gefrusteten ab
Oder sie entscheiden sich für die Fundamentalopposition und wählen die AfD, mit der niemand koalieren, die nicht an die Macht gelangen wird.
Ein sonniger Samstag Mitte Juli vor der Stadthalle in Cottbus, Brandenburgs zweitgrößter Stadt und Metropole der Lausitz. In dieser vom Braunkohleausstieg erschütterten Region ist die Rechtsaußenpartei am stärksten. Und hier startet sie mit Ostrock und blauer Zuckerwatte in den Wahlkampf. Landeschef Andreas Kalbitz ist kein guter Redner, fürs Anheizen der Stimmung ist sein Thüringer "Flügel"-Kollege Björn Höcke zuständig:
"Lassen wir hier die politische Sonne im Osten wieder aufgehen. Lassen wir sie dann über ganz Deutschland scheinen. Holen wir uns unser Land zurück, vollenden wir die Wende. Es ist an der Zeit."
"Vollende die Wende": Mit diesem Slogan holt die AfD die Gefrusteten in ihrem Groll ab.

"Ich habe son Hals und son Frust!"-"Es wird immer schlimmer. Ich hab Arbeitskollegen, die können nicht ihre Familie ernähren, gehen acht Stunden arbeiten. Und das kann nicht sein, dass wir nach fast 30 Jahren Wende immer noch kein Gehalt bekommen wie drüben im Westen."- "Das ist die einzige Lösung im Moment und deshalb wählen wir AfD. Keine andere Partei bietet irgendwas an."
Teilnehmer einer Wahlkampfveranstaltung der AfD zu den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg vor dem Schloss Oranienburg
Teilnehmer einer Wahlkampfveranstaltung der AfD zu den Landtagswahlen in Brandenburg vor dem Schloss Oranienburg (dpa/Gregor Fischer)
Cottbus ist auch seit Monaten Schauplatz von Demonstrationen des Vereins "Zukunft Heimat" gegen die Flüchtlingspolitik von Bund und Land. Die AfD macht mit. Und mehr noch: Spitzenkandidat Andreas Kalbitz hätte das Ringen um den ersten Listenplatz um ein Haar verloren: Auf Platz zwei landete mit nur fünf Stimmen Abstand: Christoph Berndt, Vorsitzender des Vereins "Zukunft Heimat".
Woidke: Rechtspopulisten verhalten sich infam
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke warnt, dass es Investoren abschrecke, wenn die AfD am Sonntag stärkste Kraft würde. Dass die Rechtspopulisten die Wende vereinnahmen, findet Woidke infam. Er war im Gegensatz zu dem aus München stammenden Andreas Kalbitz bei der friedlichen Revolution in der DDR dabei:
"Hier für eine Partei, die ja eher für rechtsextremistische und rechtspopulistische Inhalte steht, mit der Wende und mit der damaligen Hoffnung auf Demokratie und Freiheit in der damaligen DDR zu kokettieren, das geht aus meiner Sicht überhaupt nicht, und ich hoffe sehr, dass die Damen und Herren dann dafür am 1. September eine Quittung kriegen."
Wahlplakat der AfD und ein Plakat der Kampagne Storch Heinar für die Landtagswahl in Brandenburg
Wahlplakat der AfD und ein Plakat der Kampagne Storch Heinar für die Landtagswahl in Brandenburg (imago/Martin Müller)
Doch es ist ein im Osten weit verbreiteter Frust, dem die AfD ein Ventil bietet: Das Gefühl, dem Westen immer noch nicht auf Augenhöhe begegnen zu können, Bürger zweiter Klasse zu sein. Speziell in der Lausitz kommt die Angst um den Arbeitsplatz dazu: Mehr als 100 Jahre lang war der Braunkohleabbau hier stolze Tradition. Der jetzige Betreiber ist in der strukturschwachen Region immer noch der größte Arbeitgeber. Die LEAG beschäftigt 5.000 Menschen - und sie zahlt gut. Weitere 20.000 Jobs bietet die Zulieferindustrie. Dass das aus Klimaschutzgründen spätestens 2038 ein Ende haben soll, sehen viele Kumpel nicht ein.
Widerstand gegen "falschen" Kohleausstieg
Am großen Braunkohle-Kraftwerk von Jänschwalde hängt schon seit Monaten ein Protestbanner gegen den Kohleausstieg. Im zweiten großen LEAG-Kraftwerk "Schwarze Pumpe" demonstrieren die Kumpel. Eins galt ihr mächtiges Kraftwerk als "Flamme des Sozialismus". Heute ist nur noch die Rede davon, dass es eine der größten CO2-Schleudern im Lande ist.
"Wir leben alle von der Kohle, unsere Kinder, unsere Enkel haben bisher, unsere Omas, Opas, von der Kohle gelebt und wir sollen jetzt hier aussteigen aus der Kohle. Wir halten das für völlig übertrieben und falsch." - "CO2 ist eine Lüge. Das ist wissenschaftlich bewiesen." - "Dazu sagen wir: Klimaschutz ja, aber nicht auf unserem Rücken."
Landtagswahl in Brandenburg - Kohleausstieg Thema im Wahlkampf-Endspurt
In der Lausitz in Brandenburg steht bis spätestens 2038 der Ausstieg aus der Braunkohle an. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat in Berlin Milliarden-Hilfen für den Strukturwandel herausgeholt. Die SPD hofft, dass das Geld sie in der Wählergunst steigen lässt.
 
Kohleausstieg in Ostdeutschland - Raus aus dem Bagger, rein ins Büro?
Schätzungsweise 8.000 Kumpel im Osten werden durch den geplanten Kohleausstieg ihre Jobs verlieren. 5.000 neue Jobs in der Verwaltung will die Bundesregierung schaffen – ebenfalls vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Aber es gibt noch viele Zweifel und offene Fragen.
Nach der Wende ist hier ein Dutzend DDR-Tagebaue dichtgemacht worden, Zehntausende verloren ihre Existenz. Die Menschen haben Angst, dass sich das nun wiederholt.
Dietmar Woidke und die anderen Ministerpräsidenten der Kohle-Länder haben zwar erreicht, dass den Revieren als Beihilfe für den Strukturwandel Steuermittel in Höhe von 40 Milliarden Euro in Aussicht gestellt wurden. Das Bundeskabinett hat das Strukturstärkungsgesetz erst gestern verabschiedet. 18 Milliarden sollen in die Lausitz fließen. Doch hier sitzt das Misstrauen tief:
"Davon haben, kriegen wir doch nichts. Wo sollen die hingehen? Bauen sie Radwege hier und das war’s. Wird nicht ein Industriearbeitsplatz gebaut."- "Die große Sorge ist, dass wir wieder hinten runterfallen. Wäre nicht das erste Mal. Und daher kommt die Unsicherheit in der Belegschaft."- "Man hat sich an einen Tisch gesetzt, man hat einen Kompromiss gefunden und bevor es richtig geregelt ist, redet man schon wieder darum, diesen Kompromiss zu kippen. Und das macht Angst und wütend."
Grüne im Aufwind
Sorgen macht den Kumpeln auch, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Grünen an der nächsten Landesregierung beteiligt sein werden. Die mussten bei der vorherigen Wahl noch vor der Fünfprozenthürde zittern, diesmal werden sie wohl die Königsmacher sein. Beflügelt von Umfragewerten von bis zu 17 Prozent hat Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher schon erklärt, sie stünde auch als Ministerpräsidentin zur Verfügung.
Ursula Nonnemacher, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg, unterhält sich bei einer Wahlkampfveranstaltung Bernd von Jutrczenkafür die kommende Landtagswahl in Brandenburg mit Besuchern
Ursula Nonnemacher, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg: "Unsere Themen sind bei den Menschen am Abendbrottisch angekommen." (dpa/Bernd von Jutrczenka)
Dabei galten die Grünen im ländlich geprägten Brandenburg lange Zeit als eine Partei des Westens, etwas für Großstädter, die Sojamilch im Bio-Latte trinken und die taz lesen. Doch seit Anfang des Jahres konnten die Grünen ihr Stammklientel massiv ausweiten. Auch dort, wo es bislang weit und breit keine Grünen gab, wurden neue Ortsgruppen gegründet.
"Wir haben Daten, dass dieses kulturelle Fremdheitsgefühl, was den Grünen ja lange Zeit in Ostdeutschland entgegengebracht worden ist, sehr, sehr stark zurückgegangen ist", freut sich die grüne-Spitzenfrau Ursula Nonnemacher. Die Ursachen dieses Aufschwungs seien vielfältig. Da ist einmal die Klimakrise: "Unsere Themen sind bei den Menschen am Abendbrottisch angekommen und werden diskutiert."
Grüne punkten nicht mit Umweltthemen
Zweitens konnten die Grünen auch in Konkurrenz zur Partei Die Linke treten, weil sie ihr politisches Profil erfolgreich um soziale Themen erweitert haben. Und drittens sehen viele die Grünen - und nicht die SPD - als Bollwerk gegen rechts. Klar ist: Schneiden die Grünen stark ab, werden sie für ihre Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag harte Bedingungen stellen können.
Sachsen und Brandenburg - Doppelwahl mit bundespolitischer Bedeutung
Die Menschen in Sachsen und Brandenburg bestimmen am 1. September ihre neuen Landtage. In beiden Bundesländern gab es nach 1990 fast 30 Jahre klare Verhältnisse: In Sachsen dominierte die CDU mit Ministerpräsidenten wie Kurt Biedenkopf, in Brandenburg die SPD mit Regierungschefs wie Manfred Stolpe. Die AfD will das nun ändern. Hier die Informationen, die Sie als Überblick für den Wahlsonntag brauchen.

"Wir müssen in Brandenburg raus aus der Braunkohle, schneller, als es bisher vorgesehen ist", betont der Landesvorsitzende Clemens Rostock. Einen Ausstieg schon 2030 peilen die Grünen an. Für die langfristig planende Braunkohleindustrie ist das quasi übermorgen. Die Grünen waren im Braunkohleland Brandenburg schon für einen schnellen Ausstieg, als im Bund davon noch keine Rede war und die hiesigen Sozialdemokaten sich offensiv dafür einsetzten, die Kohlekraftwerke so lange wie möglich am Netz zu lassen, allen voran Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Die Gräben klaffen tief in Brandenburg. Wie immer die Wahl also am Sonntag ausgeht: Die Verhandlungen für eine neue Landesregierung werden kompliziert.