Sowohl im Osten als auch im Westen hat die Linke bei den Landtagswahlen Verluste einstecken müssen. Das habe vor allem mit den AfD-Wählern zu tun, die Protestwähler seien. "Wir sind mit einem Klima des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Entsolidarisierung konfrontiert", sagte Kipping im Deutschlandfunk. Das gehe einher mit einer Verrohung der Sprache mit einer Zunahme von Gewalttaten gegenüber Ausländern.
Es müssten sich alle fragen - auch die Medien -, ob sie dieses Klima nicht befördert hätten. Etwa dadurch, dass Flüchtlinge häufig in einem Problemkontext dargestellt würden. Die AfD müsse man zudem "sozialpolitisch stellen". Die Partei setze sich für die Stärkung der Gutverdiener ein und wolle Sozialleistungen abbauen. Das müsse man aufzeigen.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Jetzt gehen wir gleich weiter, bleiben aber natürlich bei den Landtagswahlen. Enttäuschung gab es gestern bei den Linken. In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz schafft sie es wieder nicht in die Landtage und in Sachsen-Anhalt verliert sie deutlich, landet bei gut 16 Prozent, nachdem es im Herbst mal Hoffnungen gegeben hatte auf einen zweiten linken Ministerpräsidenten Wulf Gallert. Darüber möchte ich in den kommenden Minuten sprechen mit der Vorsitzenden der Partei Die Linke, mit Katja Kipping. Die ist uns jetzt zugeschaltet. Guten Morgen.
Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen.
Schulz: Sie haben gestern von einem bitteren Ergebnis gesprochen. Was hat Die Linke denn falsch gemacht?
Kipping: In der Tat, wir hatten uns mehr erhofft, und ich glaube, unsere Wahlkämpfenden haben Großartiges geleistet. Aber diese Wahlkämpfe fanden in einem gesellschaftlichen Klima des Rechtsruckes statt, wo es ganz schwer war, über eine andere Wahlkampfführung ein anderes Ergebnis zu erzielen. Insofern können wir nur sagen, wir sind froh, dass wir im Westen ungefähr das gehalten haben, und man muss feststellen, dass die AfD-Wähler Protestwähler sind und da wurden alle Volksparteien abgestraft. Im Osten sind wir Volkspartei und insofern haben wir das auch im Osten zu spüren bekommen.
Schulz: Nun sind ja viele Protestwähler, weil Sie das Stichwort gerade nennen, abgewandert von Ihnen zur AfD. Warum konnten Sie das nicht verhindern?
Kipping: Na ja. Zum einen, muss man sagen, kommt ein Großteil der Wähler der AfD aus dem Nichtwähler-Spektrum. Wir sind seit Monaten mit einem Klima des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Entsolidarisierung konfrontiert und einem Klima, wo es ganz schwer war, für uns durchzudringen mit unseren Problembeschreibungen. Was mich vor allen Dingen natürlich umtreibt seit gestern Abend, nicht nur seit gestern Abend, sind ja nicht nur die Wahlergebnisse der AfD, sondern die fallen ja zusammen mit einer Verrohung der Sprache nicht nur im Internet und mit einer Zunahme von rassistischen Angriffen auf Leib und Leben. Es gibt ja immer mehr Flüchtlingsheime, die brennen. Insofern ist womöglich die gestrige Wahl so ein Punkt, wo man gesagt hat, da fängt das Pendel wirklich an umzuschlagen, und deswegen glaube ich, das was es jetzt braucht, ist ein gemeinsames Nachdenken, was man dem gesellschaftlichen Rechtsruck und der Entsolidarisierung entgegensetzen kann. Es braucht jetzt ein breites Bündnis gegen rechts.
"Unsere Aufgabe ist es, die AfD sozialpolitisch zu stellen"
Schulz: Aber das wäre meine Frage. Sie sind ja im Bundestag die größte Oppositionspartei. Wieso hatten Sie denn bisher dem Rechtsruck nichts entgegenzusetzen, dem Rechtsruck, von dem Sie sprechen?
Kipping: Unsere Aufgabe ist es, die AfD sozialpolitisch zu stellen und zum Beispiel deutlich zu machen, das ist eine Partei, wenn man genau hinhört, wird deutlich, die wollen einen niedrigeren Hartz-IV-Regelsatz, die wollen Steuergeschenke für Reiche, die wollen die Arbeitslosenversicherung privatisieren. Nur weil die AfD ruft, Deutsche zuerst, heißt das nicht, dass Erwerbslose mit deutschem Pass durch die AfD besser dastehen. Ganz im Gegenteil wahrscheinlich. Sie werden vor allen Dingen das Geschäft der Superreichen machen. Aber damit müssen wir durchdringen. Und noch einmal: Ich glaube, in der jetzigen Situation müssen sich alle fragen, auch die Medien, wie sie mit ihrer Problembeschreibung und des Setzens von Themen nicht auch selber in der Vergangenheit den gesellschaftlichen Rechtsruck mit befördert haben.
Schulz: Ihnen war die Berichterstattung über die AfD nicht kritisch genug?
Kipping: Nein, das habe ich so nicht gesagt. Ich finde nur, es sind alle gefragt, inwieweit sie durch die Übernahme von Problembeschreibungen beispielsweise Rechtspopulisten in die Hände gespielt haben. Noch einmal: Wenn wir über Geflüchtete immer nur unter der Überschrift "Oh Gott, was für Probleme sind das" diskutieren, dann ruft das ja und verstärkt das geradezu bestehende Verunsicherung, anstatt einmal zu fragen oder genauso lange darüber zu reden, das kann ja auch eine Bereicherung für uns sein, wenn Menschen zu uns kommen.
Schulz: Sind es denn keine Probleme, wenn Menschen zu uns kommen?
Kipping: Wissen Sie, genau Sie machen das jetzt schon wieder. Ich habe gesagt, man sollte genauso lange wie man über Probleme redet auch über mögliche Chancen reden, und sofort unterstellen Sie mir, dass ich die Probleme wegreden will. Darum geht es überhaupt nicht. Die Frage ist doch, was ist das dominierende Problem-Deutungsmuster und haben wir da nicht ein Deutungsmuster, was am Ende des Tages Rechtspopulisten in die Hände spielt.
"Es braucht ein Gegengewicht - auch zur Orientierung"
Schulz: Und da noch mal die Frage an Sie. Sie äußern sich ja permanent auch öffentlich und finden in Interviews statt und kommen zu Wort. Warum hat Die Linke denn da keinen größeren Beitrag geleistet, wenn Sie es als Kommunikationsproblem darstellen, dass dieses Kommunikationsproblem gelöst wurde?
Kipping: Ich glaube, dass wir als Linke in diesen Wahlkämpfen einen wichtigen Beitrag geleistet haben, weil uns war bewusst, wenn man in Zeiten des Rechtsrucks klar weiterhin Kante gegen Rassismus zeigt und sich klar für Solidarität und Weltoffenheit ausspricht, dass uns das Stimmen kosten kann. Wir haben uns trotzdem ganz bewusst für diesen Kurs entschieden, weil wir finden, es braucht ein Gegengewicht - auch zur Orientierung. Und wenn wir als Linke nicht gestanden hätten, wer weiß, über was für Wahlergebnisse der AfD wir dann gesprochen hätten. Unser klarer Kurs hat auch einen gesellschaftlichen Mehrwert produziert und dass das nicht nur von den Wählern belohnt wird, war uns bewusst. Aber wir fanden, wir haben auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und im Übrigen auch gegenüber der Geschichte.
Schulz: Katja Kipping, die Vorsitzende der Partei Die Linke, heute hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen ganz herzlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.