Sina Fröhndrich: Klagen auf dem Bauerntag, darüber, dass sie künftig weniger Geld aus Brüssel bekommen sollen. Über den Sinn und Unsinn dieser Subventionen habe ich mit dem Agrarökonom Stephan von Cramon-Taubadel gesprochen, Professor an der Universität Göttingen. Frage an Ihn: wenn die Bauern tatsächlich weniger Geld bekommen, beginnt damit das große "Höfesterben" in Deutschland und der EU?
Stephan von Cramon-Taubadel: Das große Höfesterben würde ich nicht sagen. Strukturwandel gibt es in der Landwirtschaft seit Jahrzehnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir etwa zwei Millionen Betriebe; heute haben wir vielleicht etwas mehr als 200.000. Das heißt, wir haben Jahr für Jahr im Durchschnitt ungefähr drei Prozent der Betriebe verloren – auch in Zeiten, wo die Agrarpolitik ganz anders war und vielleicht aus Sicht der Landwirte auch viel großzügiger war. Das ist ein Prozess, der mit fundamentalen Kräften zu tun hat, mit Technologiewandel und so weiter. Den kann man nicht mit der Agrarpolitik jetzt irgendwie aufhalten. Es kann sein, dass es zu einer gewissen Beschleunigung des Strukturwandels in manchen Ländern der EU kommen würde, wenn die Direktzahlungen wegfallen – ja.
Geplante Deckelung der Subventionen keine Gefahr
Fröhndrich: Jetzt kommt aber obendrauf, so beklagt das der Bauernverband: Es soll eine Deckelung geben, dass Großbetriebe oder Betriebe überhaupt nur noch 100.000 Euro bekommen sollten. Ist das eine Gefahr für Bauern, oder ist das tatsächlich etwas, was das ganze System ein bisschen fairer macht?
von Cramon-Taubadel: Die Kommission hat auch bei vergangenen Reformen vor sechs, sieben Jahren, also jetzt die Reform von 2013, sage ich mal, aber auch früher immer wieder Deckelungen vorgeschlagen, und die wurden dann immer eigentlich abgelehnt von den Mitgliedsländern. Und Deutschland war immer vorne mit bei den Ländern, die dagegen protestiert haben, die gesagt haben, nein, weil wir viele große Betriebe haben, relativ große Betriebe, vor allem in den neuen Bundesländern, die relativ große Direktzahlungen erhalten und die von einer wirksamen Deckelung betroffen wären. Der Punkt ist aber: So wie diese Deckelung momentan aussieht – die Kommissionsvorschläge sind natürlich noch nicht präzisiert; die sind noch relativ vage, aber es wird darauf hingewiesen, dass Betriebe ihre Arbeitskosten da werden anrechnen dürfen. Und wenn dem so ist, dann zeigen bisher alle Rechnungen, die ich gesehen habe, dass in den aller- allermeisten Fällen die Betriebe dann, auch wenn die heute mehr als diese 100.000 erhalten, aufgrund der Arbeitskosten, die sie haben, werden sie das hochrechnen können, dass sie am Ende nicht von der Deckelung betroffen werden. Ich glaube, die Gefahr wird momentan etwas übertrieben.
Fröhndrich: Das heißt, da wird sich vielleicht gar nicht so viel ändern, wenn es bei den Vorschlägen so bleibt. - Schauen wir auf den Bereich Umweltstandards. Die sollen künftig eine stärkere Rolle spielen, wenn man die Gelder bekommt. Was ändert sich da? Wie lässt sich das bewerten?
von Cramon-Taubadel: Wie sich das genau ändern wird, das wissen wir momentan nicht, weil die Idee der Kommission ist, dass sie jetzt den Mitgliedsländern da relativ viel Spielraum lässt – noch mehr, als das in der Vergangenheit der Fall war. In der letzten Reform 2013 wurde beschlossen, dass 30 Prozent der Direktzahlungen an sogenannte Greening-Kriterien geknüpft werden. Das war der erste Versuch, in diese Richtung zu gehen. Es hat sich aber jetzt herausgezeigt: Ich glaube, weder die Landwirte sind mit dieser Regelung zufrieden; auch die Ökologen beschweren sich, dass das für die Umwelt sehr wenig gebracht hat. Das war jetzt nicht besonders erfolgreich. Und es ist auch zu zweifeln, ob jetzt das, was die Kommission vorgeschlagen hat, so viel wirksamer sein wird, weil auch hier werden einzelne Mitgliedsländer sehr viel Spielraum bekommen, wie sie das genau ausgestalten, und da ist ein bisschen zu befürchten, dass die Mitgliedsländer das so ausgestalten werden, dass die Landwirte nicht so viel machen müssen, um weiterhin die Zahlungen zu erhalten. Das heißt, dass letztlich das, was die Landwirte machen, wie sie wirtschaften, sich nicht so stark wird ändern müssen, dass die Umwelt wirklich davon profitiert.
Geld besser in andere Bereiche stecken
Fröhndrich: Jetzt höre ich da von Ihnen doch relativ viel Kritik, oder wenn wir es zusammenfassen, dass sich gar nicht so viel ändern wird. Jetzt ist es ja so, dass die EU reagiert auf den Brexit. Nur deswegen findet diese Neuordnung ja im Prinzip auch statt. Wäre es nicht an der Zeit gewesen, vielleicht die Subventionen ganz generell auf den Prüfstand zu stellen für die Bauern?
von Cramon-Taubadel: Ja, auf jeden Fall. Das wäre auf jeden Fall nötig. Nicht nur jetzt im Zusammenhang mit Brexit. Brexit führt natürlich dazu, dass das Geld in der Kasse fehlt und jetzt grundsätzlich überlegt werden muss, wie man jetzt das EU-Budget ausgibt, weil es weniger wird, und das wird natürlich jetzt zu sehr schwierigen Diskussionen führen. Man muss sich wirklich überlegen, in welchen Bereichen haben wir von diesem begrenzten Budget das meiste europäische Mehrwert. Wir haben viele andere Bereiche, ob es jetzt zum Beispiel das Flüchtlingsproblem ist, ob es Infrastruktur ist, ob es Forschung und Ausbildung ist, wo man vielleicht mehr für Europa als Gebilde, für die europäische Identität tun könnte, als jetzt mit relativ ungezielten Subventionen an Landwirten, die pro Hektar ausgegeben werden. Es muss dringend auf den Prüfstand, weil die Zahlungen, die man bisher geleistet hat, nicht besonders wirksam sind.
Direktzahlungen im "Gleitflug" abschmelzen
Fröhndrich: Wäre denn eine Landwirtschaft in Europa ohne Subventionen denkbar?
von Cramon-Taubadel: Die gegenwärtigen Subventionen, die Direktzahlungen sind ja größtenteils entkoppelt. Das heißt, der Landwirt erhält sie, ob er jetzt zum Beispiel auf dem Hektar Weizen anbaut oder nicht. Und das heißt eigentlich: Wenn wir momentan Agrarproduktion haben in Europa, dann größtenteils auch ohne Subventionen. Die Subventionen sind wie gesagt entkoppelt. Und daher finde ich, das wird in der Diskussion häufig auch ein bisschen vermischt.
Wenn die Subventionen wegfallen würden, würde es bestimmt für einige Betriebe, vielleicht auch für viele Betriebe in manchen Regionen Schwierigkeiten geben. Deswegen verlangt auch niemand, dass die Subventionen von heute auf morgen wegfallen. Aber wenn man jetzt einen Gleitflug ansetzt und sagt, im Laufe der nächsten zehn Jahre werden diese Direktzahlungen Stück für Stück abgeschmolzen, da würde ich relativ zuversichtlich sein, dass die allermeisten Landwirte damit gut leben können, dass sie sich anpassen könnten, dass es dann Anpassungsreaktionen gibt, zum Beispiel, dass die Pachtpreise für Land auch sinken würden, dass das sich dann schon bewerkstelligen ließe.
Fröhndrich: Und würden die Lebensmittelpreise, wenn wir jetzt an die Verbraucher denken, dann vielleicht auch nach oben gehen?
von Cramon-Taubadel: Ich glaube nicht, weil die Zahlungen, die sie jetzt erhalten, sind wie gesagt entkoppelt. Die allermeisten Agrarprodukte in der EU werden heute zu Weltmarktpreisen produziert. Der Landwirt entscheidet auf Basis der Marktpreise, ob er sie produziert oder nicht. Und die Zahlung bekommt er obendrauf, egal ob er jetzt auf der Fläche was macht oder nicht. Daher sind momentan für die meisten Agrarprodukte in der EU die Preise durch die Weltmarktpreise letztlich bestimmt, und die werden sich jetzt nicht groß ändern, ob die EU jetzt die Direktzahlungen zum Beispiel langfristig abschmilzt oder nicht.
Hinzu kommt, dass die Preise, die Konsumenten für Lebensmittel ausgeben, natürlich da sind. Da sind die Rohproduktpreise, die die Landwirte erhalten, auch mit drin. Aber bei sehr vielen Produkten ist natürlich das Ganze mit der Verarbeitung und Vermarktung – die Kosten sind auch erheblich – erheblich mehr, so dass Schwankungen der Rohproduktpreise nicht unbedingt zu großen Schwankungen der Konsumentenpreise führen.
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