Schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien, ein Kohleausstieg "idealerweise bis 2030" - Klimaschutz ziehe sich durch viele Bereiche des Sondierungspapiers, sagte die grüne Verhandlungsführerin Annalena Baerbock nach den Sondierungen für eine Ampelkoalition. Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, sieht die ersten Vorfestlegungen insgesamt positiv. Doch in einigen Politikfeldern fehlten noch klare Aussagen. Um das Klima zu schützen, Antibiotika- und Schadstoffnutzung zu verringern, müssten etwa weniger Tiere gehalten werden, und das unter tierschutzgerechten Bedingungen, forderte Kaiser. Essenziell wichtig sei "eine verpflichtende Kennzeichnung bei Fleischprodukten, aus welcher Haltungsform die Produkte kommen".
Gute Preise und nachhaltige Landwirtschaft
Ideen für eine nachhaltige Landwirtschaft und die wirtschaftliche Not vieler Bauern will Kaiser zusammen betrachtet wissen. Gute Preise für Lebensmittel, diese dann aber hergestellt ohne übertriebenen Einsatz von Dünger und Pestizide - "da ziehen wir mit den Landwirtinnen und Landwirten an einem Strang". Die möglichen Koalitionspartner sollten hier eine Win-win-Situation suchen, "für unsere Umwelt und damit für uns alle, aber auch für die Bäuerinnen und Bauern".
Die Idee, Planungsverfahren etwa für Windräder zu beschleunigen, sieht Kaiser positiv. Ursächlich für den bislang schleppenden Ausbau seien aber vor allem fehlende Kapazitäten bei Behörden und Gerichten. Das deutsche und europäische Umweltrecht hingegen dürfe nicht angefasst werden.
Das Interview im Wortlaut:
Jule Reimer: Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock hat die Sondierungsergebnisse heute Morgen im Deutschlandfunk-Interview verteidigt. Das Thema Klimaneutralität ziehe sich, sagte sie, durch viele Bereiche. Klare Weichenstellungen und etwa Leitplanken für die Wirtschaft seien nötig gewesen und die gebe es nun. Martin Kaiser – Sie sind Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland. Sehen Sie das genauso?
Martin Kaiser: Ich habe da schon ein sehr differenzierteres Bild, denn es gibt einiges Licht in dem Sondierungspapier. Dass jetzt auch Olaf Scholz und Christian Lindner einen Kohleausstieg bis 2030 mitgehen wollen, das war schon eine positive Überraschung. Und auch, dass jetzt die erneuerbaren Energien an Land verbindlich auf zwei Prozent der Fläche ausgebaut werden sollen durch Bürgerwindparks, das sind positive Nachrichten. Aber es gibt auch Bereiche wie die Verkehrspolitik und die Landwirtschaftspolitik, wo wir doch enttäuscht waren.
"Fehlen noch klare Aussagen" zur Tierhaltung
Reimer: Bleiben wir mal ganz kurz bei der Energiepolitik. Es gibt dringende Stimmen, die sagen, bitte lasst die Atomkraftwerke am Netz, wir muten uns zu viel zu. Was halten Sie dem entgegen?
Kaiser: Um Gottes willen! Die Energieversorger haben längst ihre Atomkraftwerke soweit heruntergefahren und auch, was die Sicherheitstechnik angeht, nicht mehr nachjustiert, dass es ein hohes Risiko, ein extrem hohes Risiko, wäre, was wir vor zehn Jahren ganz klar entschieden haben, dass wir da raus wollen. Dieses Revival der Atomenergie ist fatal und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erneuerbaren Energien mittlerweile sehr viel günstiger sind in der Produktion als jede andere Technologie und auch dezentral eingesetzt werden können. Das ist die Zukunft.
Reimer: Sie sagten, Sie vermissen Anmerkungen beim Thema Landwirtschaft. Das ließe sich noch nachholen, oder vielleicht gibt es auch indirekte Hebel über den Klimaschutz, dass sich bestimmte Dinge im Bereich Landwirtschaft ändern.
Kaiser: Klar, die Koalitionsverhandlungen gehen jetzt erst los. Und gerade im Bereich Landwirtschaft ist es wichtig, dass wir die Tierhaltungszahlen runterbekommen, denn die sind dafür verantwortlich, dass wir hohe Emissionen von Treibhausgasen aus der Landwirtschaft haben. Gerade da fehlen noch klare Aussagen. Ich glaube, eine verpflichtende Kennzeichnung bei Fleischprodukten, aus welcher Haltungsform die Produkte kommen, ist essenziell und wichtig. Darüber hinaus muss aber der Stallumbau so gestaltet werden, dass wir wegkommen von der Massentierhaltung und hinkommen zu einer tierschutzgerechten Haltung, die ermöglicht, dass wir keine Antibiotika mehr einsetzen und dass die großen Schadstoffeinträge in die Gewässer nicht mehr erfolgen.
Aussagen zu Land- und Außenwirtschaftspolitik vermisst
Reimer: Verbunden mit der Landwirtschaftspolitik ist auch das Thema Chemiepolitik, Pestizide. Nun finden sich die Grünen in der Koalition wieder mit der SPD, mit der FDP, die genauso die Interessen der konventionellen Landwirte vertreten müssen.
Kaiser: Die Diskussion der letzten Jahre hat ja gezeigt, dass die Unzufriedenheit auf Seiten der Bäuerinnen und Bauern extrem hoch ist, weil wir nicht mehr die Preise erzielen können, die eine umweltfreundliche Produktion erfordern würde. Da ziehen wir mit den Landwirtinnen und Landwirten an einem Strang, zu sagen, wir wollen gute Preise für Lebensmittel haben, die dann aber auf Pestizidverzicht und den übertriebenen Einsatz von Düngern fußt. Das ist, glaube ich, jetzt der Weg, den die drei Koalitionäre gehen könnten, dass sie sagen, es ist eine Win-Win-Situation für unsere Umwelt und damit für uns alle, aber auch für die Bäuerinnen und Bauern.
Reimer: Nun leiden womöglich auch die Landwirte in Deutschland unter der billigeren Konkurrenz von auswärts. Sehen Sie Bedarf, bei der Außenwirtschaftspolitik auf Änderungen zu drängen?
Kaiser: Ja, unbedingt, angefangen beim europäischen Binnenmarkt, wo jetzt die amtierende und geschäftsführende Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner keine Tatsachen schaffen darf im europäischen Rahmen, die eine rückwärtsgerichtete Politik manifestieren würden für die nächsten sieben Jahre.
Reimer: Was meinen Sie?
Kaiser: Gerade bei der gemeinsamen Agrarpolitik stehen noch wichtige Entscheidungen an bei der Umsetzung in Deutschland, und da, glaube ich, sollte sie jetzt auf die neue Regierung warten, dass die Weichen neu gestellt werden können. Das zweite ist die Außenwirtschaftspolitik von Deutschland und auch der Europäischen Union. Da müssen wirklich – und das ist mir auch noch zu schwach formuliert im Sondierungspapier – Nachhaltigkeit und auch Sanktionierbarkeit bei Verstößen in den Handelsverträgen, die Deutschland und auch Europa abschließt, Grundvoraussetzung sein. Gerade das EU-Mercosur-Abkommen mit Brasilien und einem Präsidenten Jair Bolsonaro, da muss klar formuliert werden, dass ein solches Abkommen von der neuen Koalition abgelehnt wird.
"Dringend notwendig, dass Planungsverfahren beschleunigt werden"
Reimer: Ich habe noch eine ganz kurze Frage zum Inland. Es ist immer die Rede von Verfahrensbeschleunigung in diesem Sondierungspapier. Kann das gut sein, oder haben Sie da eher Sorge?
Kaiser: Ich glaube, das ist dringend notwendig, dass die Planungsverfahren beschleunigt werden, was ja auch die Analysen zeigen. Es sind vor allem die fehlenden Planungskapazitäten in den Behörden, aber auch bei den Gerichten, die für eine Verzögerung verantwortlich sind. Viel weniger das Umweltrecht, und das europäische Umweltrecht darf da nicht angefasst werden. Aber ich glaube, es gibt Möglichkeiten, das schneller zu gestalten, was auch notwendig ist. Wir brauchen jetzt schon eine Reduktion der Treibhausgase jedes Jahr, und daran wird auch die neue Koalition dann gemessen werden.
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