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Lange Nacht der russischen Revolutionen
Vereint im Leiden und Aufbegehren

Das Russland von Zar Nikolaus II. war einer der despotischsten Staaten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Eine erste Revolution 1905 scheiterte - vielleicht hätte sie eine langfristige demokratische Entwicklung ermöglicht. Eine Lange Nacht über revolutionäre Umbrüche in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Von Winfried Roth |
    Beginn der Russischen Revolution im Oktober 1917: Wladimir Iljitsch Lenin wendet sich auf dem Roten Platz in Moskau zu den Menschen.
    Beginn der Russischen Revolution im Oktober 1917: Wladimir Iljitsch Lenin wendet sich auf dem Roten Platz in Moskau zu den Menschen. (imago / United Archives International)
    Die Revolution vom Februar 1917 - mitten im Ersten Weltkrieg - machte der Zarenherrschaft ein Ende. Die Übergangsregierung unter dem Sozialdemokraten Aleksander Kerenski enttäuschte aber die Erwartungen weiter Teile der Bevölkerung. Nur die radikal linken Bolschewiki traten für einen sofortigen Frieden und für die Enteignung der Großgrundbesitzer ein.
    Im Oktober 1917 stürzten sie - unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki - die Kerenski-Regierung. Bei freien Wahlen erhielten sie nur ein Viertel der Stimmen, sie setzten sich aber in dem folgenden Bürgerkrieg durch. Die Oktoberrevolution schuf entscheidende Voraussetzungen für die historische Katastrophe der Stalin-Ära.
    Die Lange Nacht nähert sich in Interviews mit Historikern, autobiografischen Texten von Arbeitern, Geheimdienstoffizieren und PolitikerInnen sowie künstlerischen Zeugnissen diesen widersprüchlichen Ereignissen in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland.
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland. (dpa / picture alliance / Ria Novosti)
    Experten, die in der Langen Nacht zu Wort kommen:
    Dr. Gert Meyer ist Experte für die Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert, er arbeitet vor allem zur Geschichte und zum politischen System der Sowjetunion und Russlands im 20. Jahrhundert. Er war Lehrbeauftragter an der Philipps-Universität Marburg. Weiterlesen
    Professor Andreas Kappeler, Schweizer Historiker und emeritierter Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien. Weiterlesen
    Buchtipp:
    Andreas Kappeler, "Russland als Vielvölkerreich. Entstehung - Geschichte - Zerfall", C.H.Beck Verlag 2001. ISBN: 978-3-406-57739-0
    Die Geschichte des russischen Reiches wird oft als russische Nationalgeschichte mißverstanden. Erst der Zerfall des sowjetischen Imperiums hat einer breiten Öffentlichkeit bewußt gemacht, daß die Sowjetunion ein Vielvölkerreich war, das über 100 Völker mit unterschiedlichen Lebensformen, Religionen und Wirtschaftsweisen umfaßte. Dieses Buch, das in die unmittelbare Gegenwart reicht, erweitert die Geschichte der Russen um die Geschichte der Nicht-Russen und zeigt auf, daß das Problem der unterschiedlichen Völkerschaften eine wesentliche Konstante der russischen Geschichte vom Zarenreich bis zur Sowjetunion war. Leseprobe als PDF und weitere Informationen des Verlags
    Professor Manfred Hildermeier, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, und seine Schwerpunkte sind die russische Geschichte des 17. bis 20. Jahrhunderts und die Geschichte der Sowjetunion. Weiterlesen
    Buchtipp:
    Manfred Hildermeier, "Die Russische Revolution 1905-1921"
    , Suhrkamp Verlag 1989
    Zu den Problemen, denen die vorliegende Darstellung besondere Aufmerksamkeit schenkt, gehören der wirtschaftliche und soziale Wandel des Zarenreichs im ausgehenden 19. Jahrhundert, die schwere Krise des alten Regimes 1905/07, der Zusammenhang von Krieg und Revolution, die Gründe für das Scheitern des einzigen demokratischen Regimes der russischen Geschichte sowie die Ursachen und inneren Folgen der Behauptung der Sowjetmacht im Bürgerkrieg.
    Professor Dr. Tanja Penter, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, hat ein eindrucksvolles Buch "Odessa 1917" geschrieben: Mehr Informationen und bei Wikipedia
    Buchtipp:
    Tanja Penter, "Odessa 1917. Revolution an der Peripherie, Beiträge zur Geschichte Osteuropas" Bd. 32, Böhlau Verlag 2000, ISBN 9783412022006
    Lange Zeit richtete die Historiographie zur Revolution von 1917 ihr Augenmerk ausschließlich auf die Hauptschauplätze St. Petersburg und Moskau. Völlig außer Acht gelassen wurde zumeist die Rolle der Provinz. Genau hier setzt dieses Buch an. Als erste nichtsowjetische Studie schildert es die Geschichte der Stadt Odessa im Revolutionsjahr 1917. Eine zentrale Fragestellung des Buches betrifft das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie, wobei im Fall Odessas das Zentrum zunächst von St. Petersburg und gegen Ende 1917 auch von Kiev als potentieller Hauptstadt der Ukraine repräsentiert wurde. Die Autorin beschreibt anschaulich die Mobilisierung einzelner städtischer Gruppen sowie das Ineinandergreifen sozialer, nationaler und lokaler Identität, die 1917 in Odessa das Handeln der Stadtbevölkerung bestimmten. Diese Arbeit, die sich maßgeblich auf Archivdokumente und Periodika aus dem Revolutionsjahr stützt, bietet nicht nur eine Geschichte der Stadt Odessa im Jahr 1917. Sie trägt auch zum Verständnis der Geschichte der russischen Revolution insgesamt maßgeblich bei.
    Ein Lauf zur Unterstützung der Roten Armee während des sowjetisch-polnischen Krieges von 1919-1921, ein bewaffneter Konflikt zwischen Polen und der Sowjetunion auf den Gebieten der Länder, die früher das russische Reich konstituierten - Russland, Weißrussland, Lettland, Litauen, Polen und Ukraine. Danzig, 1920.
    Erstmals auf Deutsch:
    Boris Sawinkow, "Das schwarze Pferd". Roman aus dem Russischen Bürgerkrieg, Galiani-Berlin 2017
    Boris Sawinkows "Das schwarze Pferd"! Neben Bulgakows "Die weiße Garde" und Babels "Die Reiterarmee" das fehlende Stück Weltliteratur zum Russischen Bürgerkrieg und eine sensationelle Neuentdeckung.
    Juli 1917, Russland: Boris Sawinkow, einst "Russlands Top-Terrorist", wird stellvertretender Kriegsminister in der provisorischen Regierung Alexander Kerenskis. Nach der Oktoberrevolution kämpft er auf Seiten der Weißen, später auf der der Grünen, um die Bolschewisten zu verhindern. Anfangs riskiert Sawinkow sein Leben für die Adeligen und die Großgrundbesitzer, später kämpft er zusammen mit Banditen – eine paradoxe Situation.
    Jahre später, im französischen Exil, beschreibt er den Wahnsinn des Russischen Bürgerkriegs in seinem Roman Das schwarze Pferd. Darin peitscht sein Alter Ego, ein weißrussischer Offizier, seine Untergebenen an der Front ohne erkennbare Strategie und mit grausamen Befehlen durch die russische Ödnis. Ihr Feind: Die Kommunisten, die Verräter in den eigenen Reihen, die Deserteure, jeder, der zwischen die Fronten gerät, jeder, der im Weg ist. Wenig später wird er sich lieber Banditen anschließen als so weiterzumachen. Bald weiß kaum einer mehr, wofür oder wogegen er kämpft. Eine junge Partisanin verliebt sich in ihn, er gibt nach, wird sie aber irgendwann bei einer Frontbegradigung opfern müssen.
    Am Ende führt sein Weg nach Moskau.
    Sinnloses Morden, apokalyptische Szenen, Goya in Russland, von Sawinkow in einer glasklaren, extrem knappen, manchmal traumschönen, immer aber illusionslosen Sprache erzählt.
    Weitere Literatur:
    Orlando Figes, "Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924", Berlin Verlag 2008
    Manfred Hellmann (Hrg.), "Die russische Revolution 1917" [Dokumente], DTV. 1964
    Nikolaj Suchanow, "1917", Buchclub Ex Libris 1967
    Alexander Kerenski, "Memoiren", Rußland und der Wendepunkt der Geschichte, Rowohlt TB-Verlag 1991
    Alexandra Kollontai, "Ich habe viele Leben gelebt. Autobiographische Aufzeichnungen", Pahl-Rugenstein Verlag 1990
    Ossip Pjatnizki, "Aufzeichnungen eines Bolschewiks. Erinnerungen aus den Jahren 1896-1917", Oberbaum Verlag 1972
    John Reed, "Zehn Tage, die die Welt erschütterten", Mehring Verlag 2011
    Leo Trotzki, "Mein Leben". Versuch einer Autobiographie. Fischer Taschenbuch Verlag. 1974
    Sergej Witte, "The memoirs of Count Witte", Ulan Press 2012
    Isaak Babel, "Die Reiterarmee", Luchterhand Verlag 1980
    Michail Bulgakow, "Die weiße Garde", Luchterhand Verlag 2006
    Maxim Gorki, "Die Mutter", Rowohlt Verlag 1958
    Mychajlo Kozjubynskyj, "Aus dem Buch des Lebens"
    Nikolai Ostrowski, "Wie der Stahl gehärtet wurde", LeiV 2004
    Konstantin Paustowski, "Beginn eines unbekannten Zeitalters" Fischer Taschenbuch 1990
    Michail Scholochow, "Der stille Don", DTV 2000
    Filme zum Thema
    Alexander Dowschenko,"Schtschors" bei Youtube
    Der im Auftrag Josef Stalins entstandene Film ist ein übertrieben pathetisches biografisches Porträt des Divisionskommandeurs der Roten Armee und ukrainischen Partisanenführers Nikolai Alexandrowitsch Schtschors, der vor allem auf Betreiben seiner Witwe Rostowa-Schtschors ein populärer Revolutionsheld geworden war. Die Handlung spielt im Russischen Bürgerkrieg 1918/19 in der Ukraine. Mehr
    Sergej Eisenstein, "Oktober" bei Youtube
    Oktober ist ein Stummfilm des Regisseurs Sergei M. Eisenstein aus dem Jahre 1928. Er wurde anlässlich des zehnten Jahrestags der russischen Revolution gedreht. Der vollständige Titel ist: Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten (russisch: Октябрь / Десять дней, которые потрясли мир) nach dem Buch Zehn Tage, die die Welt erschütterten von John Reed. Mehr bei Wikipedia
    Sergej Eisenstein, "Panzerkreuzer Potemkin" bei Youtube
    Panzerkreuzer Potemkin (russischer Originaltitel Броненосец Потёмкин/Bronenossez Potjomkin; [pʌtˈjɔmkin]) ist ein Stummfilm des Regisseurs Sergei Eisenstein aus dem Jahr 1925. Er wurde am 21. Dezember 1925 im Moskauer Bolschoi-Theater als offizieller Jubiläumsfilm zur Feier der Revolution des Jahres 1905 uraufgeführt. Mehr bei WikipediaWsewolod Pudowkin, "Die Mutter" bei Youtube
    Der Film zeigt eine Arbeiterfamilie in Sankt Petersburg im Revolutionsjahr 1905. Zwischen dem alkoholabhängigen Vater und dem Sohn der Familie Wlassow gibt es innerfamiliäre Spannungen, beide sind zudem politisch auf verschiedenen Seiten aktiv. Sohn Pawel versteckt Schusswaffen im Haus und bereitet in der Arbeiterbewegung einen Streik vor, der Vater ist gegen die Revolutionäre. Mehr bei WikipediaEsfir Shub, "Der Fall der Dynastie Romanow" bei Youtube
    Bekanntheit erlangte die russische Regisseurin 1927 durch den Film "Padenije dinastii Romanowych" (Der Fall der Dynastie Romanow) zum 10. Jahrestag der russischen Februarrevolution. Sie fügte altes, zum Teil verwahrlostes Archivmaterial aus der Zeit der Zarenherrschaft zu einem Dokumentarfilm zusammen. Nicht mehr verwendbares Material ersetzte sie durch neue, selbstgedrehte Szenen, um einen gesamtheitlichen Eindruck vermitteln zu können. Mehr bei Wikipedia
    Georgi Wassiljew / Sergej Wassiljew, "Tschapajew" bei Youtube
    Tschapajew (russisch Чапаев) ist ein sowjetischer Spielfilm unter Regie der Brüder Sergei und Georgi Wassiljew nach einer Vorlage von Dmitri Furmanow. Der am 7. November 1934 in der Sowjetunion veröffentlichte Film ist Wassili Iwanowitsch Tschapajew (1887–1919) gewidmet, dem Helden des Russischen Bürgerkrieges. Mehr
    Undatierte Aufnahme des russischen Komponisten und Pianisten Sergej Prokofjew. Er wurde am 27. April 1891 in Sonzowka geboren und ist am 5. März 1953 in Moskau gestorben.
    Undatierte Aufnahme des russischen Komponisten und Pianisten Sergej Prokofjew (1891-1953) (picture-alliance / dpa / Röhnert)
    Musik zum Thema
    Sergej Prokofjew, "Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution"

    Dmitrij Schostakowitsch, 11. Sinfonie "Das Jahr 1905"
    Dmitrij Schostakowitsch, 2. Sinfonie "An den Oktober"
    Sergej Prokofjew, "Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution"

    Revolutionslieder hören
    БОРИС ШТОКОЛОВ Дубинушка - YouTube
    Red Army Choir: Let's Go.
    Марк Рейзен - Песня о Щорсе

    We are the red cavalry (red army song) The ORIGINAL Мы красная кавалерия

    Soviet March - По долинам и по Взгорьям (Po dolinam i po Vzgoriam)
    Produktion dieser Langen Nacht
    Autor: Winfried Roth, Regie: Klaus-Michael Klingsporn, Sprecher: Friedhelm Ptok, Joachim Schönfeld, Helmut Gauss, Julia Brabandt, Redaktion: Dr. Monika Künzel.
    Das Manuskript und die Musikliste als PDF zum Download und als TXT-Datei zum Download