Alexandra Narkiewitsch hat dezent Lippenstift aufgetragen und sich elegant angezogen. Sie will seriös wirken, wenn sie davon berichtet, wie ihr Leben begann. Die kleine Dame deutet auf einen grün gestrichenen Viehwaggon im Hof,
"In so einem Eisenbahn-Waggon sind wir tagelang in ein Arbeitslager in Lettland transportiert worden, hat mir meine Mutter erzählt. Ich war noch ein Säugling. Meine Mutter hat mich in Nowgorod geboren, in der Nähe von Leningrad, als sie gerade für SS-Männer kochte, direkt am Ofen kam ich zur Welt. Die Männer haben gelacht, als sie eigenhändig die Nabelschnur trennte. Bevor sie uns zum Bahnhof trieben, haben sie unser Haus niedergebrannt. "
Eigene Erinnerungen an diese Zeit hat Aleksandra Narkiewitsch nicht. Trotzdem beschäftigt sie sich jeden Tag mit der Vergangenheit: Sie pflegt andere, ältere Opfer der deutschen Besatzer, die schon bettlägerig sind und hört sich ihre Schicksale an.
Die Frau wirft noch einen Blick auf den Viehwaggon, dann geht sie nach oben. In einem Zimmer des Hauses, das der weißrussischen Stiftung "Erinnerung und Versöhnung" gehört, haben sich weitere Rentner versammelt. Jeder von ihnen kann eine schreckliche Lebensgeschichte erzählen, so auch Nina Lytsch. Sie war als Kind in mehreren Konzentrationslagern, darunter in Auschwitz. Ihre Mutter hat sie zuletzt dort an der Bahnrampe gesehen, kurz nach der Ankunft.
"Banditen-Kinder stand über unserer Baracke, weil unsere Eltern doch angeblich den Partisanen geholfen hatten. Wir dienten dazu, Blut zu spenden für verwundete Soldaten. Bei manchen, die auch dort waren, sieht man bis heute viele rote Punkte in der Armbeuge, wo die Einstiche waren. Allerdings war das auch Glück: Wir haben besseres Essen bekommen als andere Gefangene, ab und zu sogar ein Stück Margarine. Ich weiß noch, dass wir immer um die Baracke rennen mussten, damit sich das Blut schneller nachbildet."
Nina Lytsch fröstelt, als sie erzählt – nicht nur wegen der Erinnerungen. Es ist kalt im Raum, denn die Stiftung "Erinnerung und Versöhnung" muss sparen. Sie zahlte in den 1990er-Jahren die deutsche Entschädigung für Zwangsarbeiter aus, aber das Geld ist längst verbraucht. Auch die Opfer selbst leben arm. Nina Lytsch erzählt, dass sie von ihren umgerechnet 200 Euro Rente ein Drittel für Arzneimittel ausgeben muss, fast ebenso viel kostet der Unterhalt ihrer Wohnung.
Deshalb traten Opferverbände aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen an die Deutsche Bahn heran. Sie feiert in diesem Jahr das 175. Jubiläum der Eisenbahn in Deutschland. Damit bekennt sie sich zur Geschichte auch der Reichsbahn, die während des Zweiten Weltkrieges Millionen Gefangene transportierte. Dafür wurde sie von der SS bezahlt. Doch lange reagierte die Deutsche Bahn gar nicht auf die Opferverbände, erst vor kurzem machte sie den Organisationen Angebote – die sich aber in der Höhe der Auszahlungssumme deutlich unterschieden. Vor allem in Russland, Weißrussland und der Ukraine stießen die Vorschläge auf Empörung.
Nina Lytsch:
"Wenn man die angebotene Summe für Weißrussland auf die Zahl der heute noch Lebenden umrechnet, kommen fünf Euro pro Person heraus. Das ist doch absurd. Blinde Rentner können sich keine Krankenschwester leisten, Lahme keinen Rollstuhl. Und da kommt die Deutsche Bahn mit fünf peinlichen Euro. Das ist nicht gerecht."
Die ehemaligen Zwangsarbeiter-Kinder fühlen sich erniedrigt durch das Angebot. Sie baten in einem Brief an die Bahn, dass die Manager noch einmal nachdenken. Natürlich würden sie auch die fünf Euro nehmen, sagen sie, besser als gar nichts. Denn einen Rechtsanspruch haben die Opfer nicht. Darauf hätten die Bahn und die Bundesregierung immer wieder verwiesen, sagt Hans-Rüdiger Minow, dessen Verein "Zug der Erinnerung" die Forderung der Zwangsarbeiter in Deutschland unterstützt.
"Der Bundesfinanzminister hat geantwortet, dass alles getan worden ist seit 1949, seit Gründung der Bundesrepublik, dass nichts mehr zu tun bleibt und weitere Zahlungen keine Grundlage haben. Das ist eine Haltung, die man vielleicht als Schatzmeister eines Staates nachvollziehen kann, die aber die moralische Dimension überhaupt nicht treffen."
Bahn und Regierung halten die fünf Euro für die weißrussischen Zwangsarbeiter also schon für ein Zugeständnis. Kein Wunder, dass Alexandra Narkiewitsch, Nina Lytsch und die vielen anderen heute mit gemischten Gefühlen auf die Feier in Nürnberg schauen.
"In so einem Eisenbahn-Waggon sind wir tagelang in ein Arbeitslager in Lettland transportiert worden, hat mir meine Mutter erzählt. Ich war noch ein Säugling. Meine Mutter hat mich in Nowgorod geboren, in der Nähe von Leningrad, als sie gerade für SS-Männer kochte, direkt am Ofen kam ich zur Welt. Die Männer haben gelacht, als sie eigenhändig die Nabelschnur trennte. Bevor sie uns zum Bahnhof trieben, haben sie unser Haus niedergebrannt. "
Eigene Erinnerungen an diese Zeit hat Aleksandra Narkiewitsch nicht. Trotzdem beschäftigt sie sich jeden Tag mit der Vergangenheit: Sie pflegt andere, ältere Opfer der deutschen Besatzer, die schon bettlägerig sind und hört sich ihre Schicksale an.
Die Frau wirft noch einen Blick auf den Viehwaggon, dann geht sie nach oben. In einem Zimmer des Hauses, das der weißrussischen Stiftung "Erinnerung und Versöhnung" gehört, haben sich weitere Rentner versammelt. Jeder von ihnen kann eine schreckliche Lebensgeschichte erzählen, so auch Nina Lytsch. Sie war als Kind in mehreren Konzentrationslagern, darunter in Auschwitz. Ihre Mutter hat sie zuletzt dort an der Bahnrampe gesehen, kurz nach der Ankunft.
"Banditen-Kinder stand über unserer Baracke, weil unsere Eltern doch angeblich den Partisanen geholfen hatten. Wir dienten dazu, Blut zu spenden für verwundete Soldaten. Bei manchen, die auch dort waren, sieht man bis heute viele rote Punkte in der Armbeuge, wo die Einstiche waren. Allerdings war das auch Glück: Wir haben besseres Essen bekommen als andere Gefangene, ab und zu sogar ein Stück Margarine. Ich weiß noch, dass wir immer um die Baracke rennen mussten, damit sich das Blut schneller nachbildet."
Nina Lytsch fröstelt, als sie erzählt – nicht nur wegen der Erinnerungen. Es ist kalt im Raum, denn die Stiftung "Erinnerung und Versöhnung" muss sparen. Sie zahlte in den 1990er-Jahren die deutsche Entschädigung für Zwangsarbeiter aus, aber das Geld ist längst verbraucht. Auch die Opfer selbst leben arm. Nina Lytsch erzählt, dass sie von ihren umgerechnet 200 Euro Rente ein Drittel für Arzneimittel ausgeben muss, fast ebenso viel kostet der Unterhalt ihrer Wohnung.
Deshalb traten Opferverbände aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen an die Deutsche Bahn heran. Sie feiert in diesem Jahr das 175. Jubiläum der Eisenbahn in Deutschland. Damit bekennt sie sich zur Geschichte auch der Reichsbahn, die während des Zweiten Weltkrieges Millionen Gefangene transportierte. Dafür wurde sie von der SS bezahlt. Doch lange reagierte die Deutsche Bahn gar nicht auf die Opferverbände, erst vor kurzem machte sie den Organisationen Angebote – die sich aber in der Höhe der Auszahlungssumme deutlich unterschieden. Vor allem in Russland, Weißrussland und der Ukraine stießen die Vorschläge auf Empörung.
Nina Lytsch:
"Wenn man die angebotene Summe für Weißrussland auf die Zahl der heute noch Lebenden umrechnet, kommen fünf Euro pro Person heraus. Das ist doch absurd. Blinde Rentner können sich keine Krankenschwester leisten, Lahme keinen Rollstuhl. Und da kommt die Deutsche Bahn mit fünf peinlichen Euro. Das ist nicht gerecht."
Die ehemaligen Zwangsarbeiter-Kinder fühlen sich erniedrigt durch das Angebot. Sie baten in einem Brief an die Bahn, dass die Manager noch einmal nachdenken. Natürlich würden sie auch die fünf Euro nehmen, sagen sie, besser als gar nichts. Denn einen Rechtsanspruch haben die Opfer nicht. Darauf hätten die Bahn und die Bundesregierung immer wieder verwiesen, sagt Hans-Rüdiger Minow, dessen Verein "Zug der Erinnerung" die Forderung der Zwangsarbeiter in Deutschland unterstützt.
"Der Bundesfinanzminister hat geantwortet, dass alles getan worden ist seit 1949, seit Gründung der Bundesrepublik, dass nichts mehr zu tun bleibt und weitere Zahlungen keine Grundlage haben. Das ist eine Haltung, die man vielleicht als Schatzmeister eines Staates nachvollziehen kann, die aber die moralische Dimension überhaupt nicht treffen."
Bahn und Regierung halten die fünf Euro für die weißrussischen Zwangsarbeiter also schon für ein Zugeständnis. Kein Wunder, dass Alexandra Narkiewitsch, Nina Lytsch und die vielen anderen heute mit gemischten Gefühlen auf die Feier in Nürnberg schauen.