Arthur Langerman war anderthalb Jahre alt, als seine Eltern 1944 in Antwerpen verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurden. Er selbst kam in ein Kinderheim, wo ihn seine Mutter, die das KZ überlebte, nach dem Krieg wiederfand. Der Vater wurde zusammen mit 30 anderen Familienmitgliedern von den Nationalsozialisten ermordet. Seine Kindheit und die Traumata seiner Mutter versuchte er zu verarbeiten, indem er anfing, antisemitische Hassbilder zu sammeln. Er wollte verstehen, was die Menschen dazu verleitet hatte, den Juden millionenfach das anzutun, was sie seiner Familien angetan hatten.
"Was haben die Juden getan, um so schlecht behandelt zu werden? Und da habe ich angefangen, diese Zeichnungen, diese Hasszeichnungen zu finden, in Flohmärkten oder im Altpapier und in Verkaufssälen."
Erforschung von antisemitischen Gefühle
Es sei für ihn zu einer Obsession geworden, erklärt der belgische Unternehmer. 50 Jahre lang habe er die Welt bereist auf der Suche nach Postkarten, Karikaturen, antisemitischen Bildern und Plakaten aller Art. Seine Sammlung von über 8.000 Abbildungen aus 15 Ländern vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bildet nun den Grundstock für eine wissenschaftliche Neuausrichtung des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin. Verstärkt soll die Erforschung von antisemitischen Gefühlen in den Fokus genommen werden. Langerman hat seine Sammlung der Universität zur Verfügung gestellt, sie soll mit Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch den Historiker Uffa Jensen erforscht werden, ein Kenner nicht nur der modernen Antisemitismusforschung, sondern auch des relativ neuen Felds der Emotionsforschung. Im September erschien von ihm das Buch "Zornpolitik", in dem er die kollektiven Ängste und Gefühle untersucht, die aktuell das Aufkommen von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus befördern. Bei der Erforschung der Hassbilder gehe es ihm nun darum, zu verstehen, wie antisemitische Bilder und Karikaturen gezielt die Entstehung von negativen Gefühlen wie Hass, Furcht, Neid oder Ekel gegenüber Juden unterstützten, sagt Jensen.
"Manchmal bilden diese Bilder solche Gefühle direkt ab. Oft versuchen sie, solche beim Betrachter zu produzieren. So zielten zum Beispiel Darstellungen verzerrter jüdischer Köpfe mit übergroßen Nasen, Ohren und Mündern nicht zuletzt darauf, Ekelgefühle zu produzieren, weil so ja sozusagen Körperöffnungen für ekelhafte Ausscheidungen ins Bild gesetzt wurden."
Tausende Originale von antisemitischen Postkarten
In Langermans Sammlung befinden sich etwa die Nachlässe von antisemitischen Karikaturisten wie dem Wiener Zeichner Emil Hübl oder dem Hauptzeichner des NS-Blatts "Der Stürmer", Philipp Rupprecht, genannt Fips. Darunter zahlreiche Vorstudien und Skizzen, an denen sich ablesen lässt, wie Hübl das Zeichnen von Judenkarikaturen regelrecht einübte. Oder, ebenso wertvoll für die Forschung: tausende Originale von antisemitischen Postkarten, die zum Teil auch als Grußpostkarten an Freunde oder die Familie verschickt wurden, versehen mit Kommentaren oder Bemalungen.
"Und natürlich treibt mich, wie auch Arthur und auch das Zentrum, auch ein Gegenwartsinteresse an. Gerade im Internet und in den sozialen Medien werden Vorurteile oft mit visuellem Material unterlegt. Und wir brauchen, denke ich, solche historischen Sammlungen, um solchen Hassbildern in Geschichte und Gegenwart besser begegnen zu können."
Langermans Sammlung soll zur Aufklärung dienen
Es ist kein Zufall, dass das Zentrum für Antisemitismusforschung sich gerade jetzt um eine inhaltliche Neuausrichtung bemüht. Denn Judenhass nimmt in Deutschland wieder zu, wenn auch oft in veränderter Form. Zusätzlich zur Heisenberg-Professur wird mit Samuel Salzborn daher erstmals ein Politologe eine zweijährige Gastprofessur antreten. Er wird sich mit aktuellen antisemitischen Tendenzen in der Politik, in den Parteien und in den Schulen befassen. Finanziert wird sie vom Land Berlin, das damit unter anderem auf zunehmende judenfeindliche Vorfälle an Schulen reagiert, erklärte der Berliner Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach.
"Weil es einfach ein Problem ist, wenn auf Schulhöfen in unserer Stadt das Wort Jude als Schimpfwort verwendet wird, dann macht uns das Sorgen."
So sieht es auch Arthur Langerman. Seine Sammlung soll dazu dienen, die Jugend von heute aufzuklären, das ist sein ausdrücklicher Wunsch. Dazu soll sie auch ausgestellt werden, irgendwann, in einem Rahmen, der ausschließt, dass sie bei den Falschen neues Hasspotenzial schürt.