Stefanie Rohde: Als Kanzler der Einheit wird er in die Geschichtsbücher eingehen, Helmut Kohl. Sein Vermächtnis bleibt aber auch das konsequente Eintreten für die europäische Einigung, auch wenn sein Ansehen nach der Abwahl 1998 Kratzer bekam durch die Parteispendenaffäre. Gestern Abend ist Helmut Kohl ja gestorben im Alter von 87 Jahren. Horst Teltschik war einer der engsten Vertrauten Helmut Kohls, er war sein außenpolitischer Berater. Er ist jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Teltschik!
Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Als junger Politikwissenschaftler sind sie ja 1972 aus der Bonner Parteizentrale als Referent in die Mainzer Staatskanzlei von Helmut Kohl gewechselt. Der wurde ja zu Beginn seiner Karriere von den Medien als Reformer gefeiert, als Erneuerer der Partei. Wie haben Sie Kohl zu Beginn seiner Karriere erlebt?
"Er galt für die jüngeren Parteimitglieder als Reformer"
Teltschik: Ja, er galt in der Tat als einer, der jetzt nach den großen Männern der Nachkriegsgeschichte – also wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Gerhard Schröder, der damalige Außenminister, und Rainer Barzel vor allem –, galt er für die jüngeren Parteimitglieder als die neue Hoffnung, als der große Reformer. Er hat ja als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz dort wichtige Reformen durchgesetzt. Und so war er für die jungen Politiker schon der Mann der Zukunft, auf den viel Hoffnung gesetzt wurde.
Rohde: In den Medien hat sich das Bild ein bisschen verändert, diese Wahrnehmung von Kohl. Er wurde dann später wahrgenommen als unbeholfener Provinzpolitiker, der auf eine für ihn zu große Bühne der Weltpolitik gewissermaßen gestellt wurde. Wie ist Kohl im Laufe der Zeit damit umgegangen? Fühlte er sich stets unterschätzt oder hat er da irgendwann gelernt, mit umzugehen?
Teltschik: Ich hatte mal die Chance, mit Helmut Schmidt über Helmut Kohl zu sprechen. Denn Helmut Schmidt als Bundeskanzler hat ja Helmut Kohl oft schon in einer unglaublichen Arroganz fast versucht zu demütigen. Und er hat ja einmal in einer Bundestagsdebatte als Kanzler gesagt, er hoffe, dass Helmut Kohl uns lange erhalten bliebe. Nun, er blieb uns viel länger erhalten als Helmut Schmidt das damals ahnen konnte. Ich habe mit Helmut Schmidt mal darüber gesprochen und er gab zu, dass er Helmut Kohl lange unterschätzt hat. Aber er war so großartig und hat am Ende noch kurz vor seinem Tode in einem Interview in der "Zeit" Helmut Kohl gedankt für seine historischen Leistungen und gesagt, mit der Zehn-Punkte-Rede 1989 sei er zum Staatsmann geworden. Helmut Kohl war also lange sehr unterschätzt.
"Er hat die Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen"
Rohde: Helmut Schmidt, den haben Sie ja gerade angesprochen, hat ja mal gesagt, wer Visionen habe, der solle doch einen Arzt konsultieren. Helmut Kohl hat gesagt, die Visionäre, das seien eigentlich die wirklichen Realisten. Also, drückt das seine politische Haltung aus, im Kontrast auch zu Schmidt?
Teltschik: Ja. Sie müssen sehen, Helmut Kohl war Historiker und ich habe ja alle seine internationalen Gespräche miterlebt. Er hat beispielsweise mit … Es wird ja oft gefragt, warum er mit Sozialisten wie Mitterrand oder Gonzales aus Spanien so enge Freundschaft schließen konnte. Einer der Gründe war: Er war als Historiker sehr interessiert nicht nur an der deutschen Geschichte, sondern an der weltweiten Geschichte. Er hat mit Gonzales viel über den Spanischen Bürgerkrieg diskutiert, mit Mitterrand über die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, er hat damit Sympathie und Freundschaft gewonnen.
Rohde: Wenn wir jetzt mal darauf schauen, bei Lichte besehen: Welchen Anteil hatte Helmut Kohl wirklich daran, die Einheit herbeizuführen? Viele sagen ja, er hat eher darauf reagiert und sie dann gut organisiert!
Teltschik: Ja, die Antwort ist ganz einfach: Als er seine berühmte Rede im Bundestag hielt, die Zehn-Punkte-Rede, dann können Sie mal im Parlament durchbuchstabieren, wer damals wirklich daran gedacht hat, dass die Einheit möglich ist und wer wirklich der Meinung war, die Einheit müsse jetzt angestrebt werden. Da war Kohl an einsamer Spitze. Und selbst in seiner eigenen Partei sind immer wieder Zweifel hochgekommen, ob sein Weg richtig ist. Und er hat die Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen und ist, wie ich immer sage, wie eine Dampfwalze marschiert. Und ich muss Ihnen sagen, er hat das mit viel Geschick gemacht. Gorbatschow hat mir später einmal gesagt: Wenn er nicht dieses Vertrauen in Helmut Kohl und in George Bush, den amerikanischen Präsidenten gehabt hätte, wäre vieles anders gelaufen. Helmut Kohl hat es geschafft, weltweit zu erreichen, dass man seine Zusagen als bare Münze genommen hat und er im Grundsatz auch die Partner nie enttäuscht hat.
Rohde: Zum Ende dieser 16-jährigen Kanzlerschaft, die ja teilweise auch dann am Ende als bleierne Zeit beschrieben wurde, haben viele von einer Befreiung gesprochen, von einem Neuanfang. Hat sich das aus der Innenperspektive für Sie auch so angefühlt?
"Helmut Kohl mussten sie nicht zweimal überreden, im Amt bleiben zu wollen"
Teltschik: Ja gut, ich bin '91 freiwillig von ihm weggegangen, ich war ja immerhin 19 Jahre mit ihm zusammen. Ich wollte auch mal für mich selbst tätig sein. Aber Sie müssen eines sehen: Das ist eher eine innenpolitische Sichtweise. Juncker, der jetzige EU-Präsident, hat mir einmal gesagt, in seiner letzten Amtsperiode von Helmut Kohl, die letzten vier Jahre, haben ihn alle Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einschließlich Tony Blair beschworen, im Amt zu bleiben, weil sie sagten, ohne ihn sei der Euro nicht durchsetzbar. Und Helmut Kohl mussten sie nicht zweimal überreden, im Amt bleiben zu wollen. Wenn er die Wahl gewonnen hätte, wäre er weitere vier Jahre im Amt geblieben. Er war gerne und leidenschaftlich Bundeskanzler.
Rohde: Das sagt Horst Teltschik, er war lange Jahre außenpolitischer Berater im Kanzleramt. Danke für dieses Gespräch heute Morgen!
Teltschik: Gerne, Frau Rohde!
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