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Langsame Entgiftung rund um Fukushima

Die Atomkatastrophe von Fukushima hat in Japan vieles verändert. Auch wenn die neue Regierung nicht den Ausstieg aus der Kernenergie vertritt, steht die Sicherheit deutlich im Vordergrund. Trotz Dekontaminierungsarbeiten liegt die Belastung von rund 80 Prozent der verstrahlten Gebiete über dem Grenzwert.

Von Peter Kujath |
    Laut einer repräsentativen Umfrage sprechen sich 54 Prozent der Japaner gegen das Wiederanfahren der Kernkraftwerke aus. Seit der Atomkatastrophe von Fukushima stehen die 50 Reaktoren mit Ausnahme von zwei Blöcken still und einige werden wohl auch in diesem Zustand bleiben. Die neue Atomaufsichtsbehörde hat gestern bekanntgegeben, dass ein Reaktor in Tsuruga auf einer aktiven Erdbebenspalte gebaut wurde.

    Der Bericht über eine aktive Spalte unterhalb des Reaktors muss sehr ernst genommen werden, so der Vorsitzende Junichi Tanaka. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben darf der Reaktor nicht mehr ans Netz. Die Gefahren der Kernenergie stehen in Japan jetzt deutlich im Mittelpunkt. Dazu passt, dass eine Studie von NHK, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zufolge die radioaktive Belastung in rund 80 Prozent der verstrahlten Gebiete immer noch oberhalb des staatlichen Grenzwertes liegt – trotz Dekontaminierungsarbeiten.

    "Ich glaube, hier wurde mit Hochdruck Wasser zum Reinigen verwendet. Der Rasen wurde per Hand ausgetauscht. Aber die Zahlen fielen nur um die Hälfte. Das fand ich schon enttäuschend",

    erzählt ein Bewohner der Stadt Koriyama etwa 50 Kilometer vom havarierten AKW entfernt.

    "Ich bin zu alt, um auszuziehen. Ich hätte gedacht, die Belastung würde deutlicher fallen. Ich muss einfach damit leben."

    Vor dem Haus dieser Bewohnerin zeigt der Geigerzähler 0,44 Microsievert pro Stunde. Der offizielle Grenzwert liegt bei einem Millisievert pro Jahr oder 0,23 Mikrosievert pro Stunde. Ursprünglich hatte die Regierung einen Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr vorgesehen, der aber auf Druck der Öffentlichkeit 2011 abgesenkt werden musste. Die natürliche Strahlenbelastung liegt jedoch in einigen Gegenden Deutschlands bereits oberhalb von einem Millisievert pro Jahr. Ab welcher Höhe radioaktive Strahlung ein Gesundheitsrisiko darstellt, ist umstritten.

    "Hier gibt es gleich neben dran Felder und Wälder, und die Strahlung von dort reicht bis hierher. Auch wenn unmittelbar am Haus dekontaminiert wird, bleibt die Belastung in der Umgebung hoch",

    erklärt ein Mitarbeiter der Stadt Iitate in der ehemaligen Sperrzone. Ein Konzept der Regierung wie mit den verstrahlten Wald- und Wiesenflächen umgegangen werden soll, gibt es nicht. Da die Dekontaminierung nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, fordert die Wissenschaftlerin Junko Nakanishi ein Umdenken.

    "Es müssen andere Maßnahmen ergriffen werden, um das Problem in den Griff zu bekommen. Die Zentralregierung oder die Präfektur Fukushima muss der Öffentlichkeit klare Vorgaben präsentieren, damit die Menschen entsprechend dieser Ziele ihre Zukunft planen können. Dort wo die Belastung besonders hoch ist, muss ihnen eine Möglichkeit gegeben werden, woanders hinzuziehen."

    Im Juli will das Umweltministerium seine Richtlinien zur Dekontaminierung überprüfen. Bis dahin sollen endlich auch die staatlichen Zwischenlager eingerichtet sein, wo der radioaktive Müll, der bei der Dekontaminierung angefallen ist und vor allem noch anfallen wird, gesammelt werden kann. Mehr als zwei Jahre nach der Katastrophe und trotz der hohen Strahlungswerte in den Gemeinden in unmittelbarer Nähe der Anlage hat die Regierung immer noch nicht den Mut aufgebracht, den ehemaligen Bewohnern zu sagen, dass eine Rückkehr in den nächsten Jahrzehnten nicht möglich sein wird. Stattdessen wird an der Wunschvorstellung festgehalten, nach der Dekontaminierung sei alles wieder so wie früher.