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Langzeitbelichtung

Unter dem Einfluss der sogenannten Neuen Topographie, einer Stilrichtung der Landschaftsfotografie, dokumentiert Joachim Brohm banale Alltagszenen im Revier, halbleere Parkplätze, Wochenendausflügler, Reihenhäuser, Campingmotive, spielende Kinder im Flussschlamm vor grauen Fabriksilhouetten. So ist Brohm zum geduldigen Historiografen stiller, diskreter Revolutionen geworden.

Von Carsten Probst |
    Auf den ersten Blick wirkt es, als habe man es mit beiläufig-profanen Amateurfotografien zu tun. Beim zweiten Hinschauen fällt jedoch die subtile und poetische Balance auf, mit der Joachim Brohm seine Motive komponiert - sichtlich unter dem Einfluss der sogenannten Neuen Topographie, einer Stilrichtung der Landschaftsfotografie, die Mitte der siebziger Jahre ihren Ausgang in den USA nahm, zu einer Zeit, da die alten Industrielandschaften zunehmend von Automatisierung und Computerisierung abgelöst wurden. Damals gingen Fotografen wie Walker Evans in die kleinen, trostlosen Vorstädte, auf die Fabrikgelände und Brachen, dokumentierten in nüchternen Portraits und Panoramen die Veränderungen einer Zivilisation, in der die Natur lange auf dem Rückzug gewesen war und nun langsam wieder in den Industrieruinen Einzug hielt.

    Joachim Brohm, der Anfang der achtziger Jahre ein Stipendium in den USA hatte, wandte diese Methode selbst bei Reisen durch den Bundesstaat Ohio an, jedoch auch frühzeitig auf vergleichbare Phänomene in Deutschland. Am bekanntesten, weil am häufigsten gezeigt, ist seine beeindruckende Serie über die Veränderungen im Ruhrgebiet in den achtziger Jahren. Nach Stilllegungen von Kraftwerken und Kohlezechen werden riesige Brachen zögerlich von den Menschen neu genutzt und besiedelt. Mit der Beharrlichkeit eines Insektenforschers, so ein Kritiker, geht Brohm, damals gerade 27 Jahre alt, auf Spurensuche in einer vermeintlich unscheinbaren Gegenwart, dokumentiert banale Alltagszenen im Revier, halbleere Parkplätze, Wochenendausflügler, Reihenhäuser, Campingmotive, spielende Kinder im Flussschlamm vor grauen Fabriksilhouetten - alles in einer bewusst kontrastarmen, fast blässlichen Farbfotografie, die zwar noch entfernt an William Eggleston oder Stephen Shore erinnert, dabei jedoch geradezu zart und zerbrechlich wirkt wie Hinterglaspräparate.

    In seiner Ohio-Serie hat Brohm diesen Alltagsszenerien zusätzlich humorvoll-unheimliche Effekte hinzugefügt, indem er sich auf kuriose Zufälle verlegt: ein Auto, das zufällig in Flammen aufgeht, was im ersten Moment jedoch wie Brandstiftung und Ereignisfotografie aussieht; eine Gruppe rot gekleideter Jogger, die man auf den ersten Blick für die Besatzung eines zufällig im Hintergrund geparkten Feuerwehrautos hält; ein Hundezwinger, in dem die Tiere ohne sichtbaren Anlass bellen. Derartige Pseudo-Ereignisse verstärken nur den Eindruck eines stillgelegten Menschenparks, dessen oberflächliche Ereignisse nichts an seiner verträumt-gleichgültigen Beschaffenheit ändern.

    Zwischen 1992 und 2002 widmete sich Brohm einem fotografischen Langzeitprojekt in München. Unter dem schlichten Titel "Areal" dokumentierte er in zahllosen Bildern die allmähliche Verwandlung eines Gewebeparks aus den fünfziger Jahren in ein typisches postindustrielles Dienstleistungszentrum und Wohngebiet von heute. Ein Umbruch, der sich vollkommen unspektakulär und dennoch massiv und nachhaltig vollzieht, wobei gerade die grosse Zahl an Bildern die scheinbare Unauffälligkeit des Prozesses hervorhebt.

    Schliesslich zeigt die Galerie für zeitgenössische Kunst auch noch als lange Bildstreifen Teile der Serie "Fahren" von 2004 und 2005, in der Brohm Stadtfotografie aus dem Auto betreibt. Wieder steht der beiläufige En-passant-Charakter der Bilder im Vordergrund, wieder bemerkt man auf den zweiten Blick die poetische List und Raffinesse des Fotografen. Mögen die gesammelten Alltagsmotive austauschbar sein, fällt dann jedoch auf, dass sie jedes Mal aus anderen Autos heraus aufgenommen worden sind und dass sich je nach Autotyp auch der Blick auf die unspektakuläre Umgebung verändert.

    So ist Brohm zum geduldigen Historiografen stiller, diskreter Revolutionen geworden, in einer sogenannten zweiten Moderne, deren nüchterne, abgelöste Atmosphäre er wie kaum ein anderer in seine Bilder gebannt hat.