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Lars von Triers Film "Melancholia" als Theaterstück
Weltuntergang auf der Bühne in Bochum

Mit dem Film "Melancholia" hat Lars von Trier seiner eigenen Depression ein Denkmal gesetzt. Zugleich zeichnete er ein zynisches Porträt einer Gesellschaft, die am Abgrund steht. Am Bochumer Schauspielhaus ist der Filmklassiker aus dem Jahr 2011 jetzt auf die Bühne gekommen.

Von Dorothea Marcus |
    Eine Szene aus "Melancholia" nach dem Film von Lars von Trier am Schauspielhaus Bochum: Ein weisses Pferd und zwei Schauspielerinnen stehen zwischen Stelen auf der Bühne.
    Das Theaterstück "Melancholia" in der Regie von Johanna Wehner am Schauspielhaus Bochum, März 2018 (Schauspielhaus Bochum / Foto:Thomas Aurin)
    Der Weltuntergang – auf der Bühne in Bochum scheint er längst Wirklichkeit geworden zu sein. Volker Hintermeier hat ein riesiges schwarzes, durchlöchertes Weltkugel-Gerippe gebaut, weiße Leuchtstäbe und Kunstnebel tauchen die Szenerie in unwirkliches Licht, apokalyptisch grollt es. Geisterhaft wirkt auch die Hochzeitsgesellschaft, die sich davor wie in einer Prozession versammelt und immer wieder in den Himmel blickt.
    Hochzeitsgesellschaft: "Hochzeitsbohnen! Bitte, nehmen Sie am Hochzeitsbohnen-Gewinnspiel bei."
    Mann: "Sechs!"
    Frau: "Justine, wir wollen kein Theater."
    Justine: "Was?"
    Mann: "Nein wollen wir nicht."
    Claire: "Nein, wir wollen kein Theater!"
    Junge Frau: "Wir sind uns doch einig, dass du heute kein Theater machst."
    Andere Frau: "Ich weiß, du willst es nicht hören…"
    Claire: "Ich hoffe, dass dir die Hochzeit Spaß macht, es ist mein und Johns Geschenk für dich."
    Justine: "Ich bin euch wirklich dankbar."
    Claire: "Scheiß aufs Dankbarsein, hab einfach Spaß. Sind wir uns einig? Dass du glücklich bist?"
    Chorisch und frontal von der Rampe
    Regisseurin Johanna Wehner hat den Text der Filmvorlage rhythmisiert und musikalisiert. Chorisch und frontal von der Rampe dreschen die Protagonisten die immer gleichen Phrasen, elliptische Endlosschleifen eines routinierten Glücksterrors. Er treibt die depressive Braut immer weiter in die Verzweiflung. Kristina Peters trägt blonde Kurzhaarfrisur und Punk-Stiefel, sie verschwindet fast in ihrem bauschigen Hochzeitskleid und vereint sehr schön mädchenhafte Aufrichtigkeit, abgründige Traurigkeit und zugleich die unbarmherzige Klarsicht der Depressiven, die als einzige die Sinnlosigkeit der lärmenden, hohlen Welt erkennt. Schön, wie sie auf die zerstörte Weltkugel klettert und sich flach an sie presst: Zerstörung als Erlösungshoffnung. Schon klar, dass da der liebende Bräutigam nicht weiterhelfen kann.
    Bräutigam: "Justine, es ist meine Schuld. Ich habe dich in letzter Zeit vernachlässigt. Ich sehe ja, dass es dir nicht gut geht."
    Justine: "Ich möchte so gern mit dir reden."
    Bräutigam: "Justine, ich hätte nicht gedacht, dass ich jemanden so lieben könnte."
    Justine: "Das Problem ist, dass ich einfach nicht glücklich bin."
    Dass etwas generell nicht stimmt, merkt man auch daran, dass ab und zu ein seltsames Rucken durch die regulierte Reichenwelt geht. Ansonsten erkennt man die meisten Filmszenen wieder: die entgleitenden Reden der getrennten Brauteltern, der zynische Chef auf der Jagd nach Werbeslogans, die hektische, selbstzufriedene Schwester, die Braut, die vor den Augen des Bräutigams Sex mit dem Kollegen hat und alles implodieren lässt. Doch so klug die Rhythmisierung der Bühnensprache gedacht ist - sie entfernt die Figuren meilenweit von der Empathie des Zuschauers. Der Abend wird langatmig und gleichförmig, die Charaktere werden flach und ununterscheidbar. Auch im zweiten Teil, der Planet Melancholia ist schon ganz nah, die Braut hat Monate depressiv im Bett verbracht, kaum eine Änderung: die Gesellschaft irrt ebenso hektisch und oberflächlich herum wie zuvor.
    Als der Untergang endlich da ist
    Mann: "Was ist das für ein Stern? Wunderbarer Planet. Erst war er schwarz, jetzt ist er blau. Fantastisch!"
    Anderer Mann: "Welchen Planeten meinen Sie denn?"
    Mann: "Melancholia - das ist ein Planet, der sich hinter der Sonne versteckt, und schon bald fliegt er an uns vorbei."
    Dritter Mann: "Das heißt Vorbeiflug."
    Mann: "Das ist das Schönste, was wir jemals erleben werden."
    Anderer Mann: "In fünf Tagen prallt er auf uns drauf, das ist meine Meinung."
    Mann: "Er wird an uns vorbeifliegen, Vorbeiflug, vorbei..."
    Als der Untergang endlich da ist, blenden die planetenhaft angeordneten Scheinwerfer an der Decke mit minutenlanger Helle und Hitze die Zuschauer – das ist durchaus beeindruckend gelöst. Und doch ist die schwerelose Heiterkeit der Braut, die bei Lars von Trier im Weltuntergang die einzig sinnvolle Erlösung sah, irgendwo auf der Strecke geblieben. Zum Schluss soll es ein echtes, weißes Pferd noch richten: im Angesicht des Weltendes bricht so etwas wie unverstellte Natürlichkeit durch. Der Versuch, der mächtigen Filmvorlage zu entkommen, ist in Bochum nachvollziehbar durchdacht worden – überzeugen kann er leider nicht.