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Last Order

Im vergangenen Jahr haben in Großbritannien jede Woche 27 Pubs dichtgemacht. Für den Niedergang der britischen Pubkultur gibt es viele Gründe: Unabhängige Brauereien werden von Großkonzernen aufgekauft, traditionelle Stammkneipen in anonyme Trinkhallen verwandelt, und nicht zuletzt wurden die Steuern für Schankbier deutlich erhöht. In London hat sich Ruth Rach mit Bierkennern getroffen.

05.05.2008
    Geoffrey Strawbridge hat zwei große Leidenschaften: alte Pubs und traditionelles Ale. Früher hatte er auch noch eine dritte Leidenschaft, die Labour Partei. Aber damit ist es endgültig vorbei. Das jüngste Budget von Schatzkanzler Alistair Darling brachte das Fass zum Überlaufen.

    "Anstatt die Abgaben auf Alcopops und Supermarktbier kräftig zu erhöhen, hat Darling die Steuern auf Schankbier weiter hochgekurbelt. Das bringt traditionelle Kneipen in noch größere finanzielle Bedrängnis. Gleichzeitig wird aber die Zahl der Komatrinker weiter steigen: sie werden geradezu ermutigt, sich daheim mit Billigbier aufzutanken, und anschliessend in den Bars vollends bewusslos zu trinken."

    Geoffrey Strawbridge ist Herausgeber des London Drinker, die Londoner Zeitschrift von Camra, der "Campagne for Real Ale". Camra kämpft für den Erhalt historischer Kneipen und überlieferter Braumethoden. Die Lage ist ernst. Jeden Tag schließen in Großbritannien vier Pubs. Unabhängige Brauereien werden von Großkonzernen aufgekauft, traditionelle Stammkneipen in anonyme Trinkhallen verwandelt.

    Geoff Strawbridge trifft sich regelmäßig mit Gleichgesinnten. Zum zwanglosen Recherchieren, sprich Kneipenbummel. Heute geht die Tour durch die Bezirke Bloomsbury und Holborn im Londoner Stadtzentrum.

    Das "Lamb" ist ein kleiner viktorianischer Pub in einer versteckten Seitenstraße. In der Ecke spielt ein altertümlicher Polyphon. Mit stiller Freude blickt Camra-Mitglied Jane Jephcote – von Beruf Historikerin - auf die weinrote Holzdecke, den handgeschnitzten Tresen, die feingeätzten Glasfenster. Eine historische Perle. Jane Jephcote kostet anerkennend von ihrem Ale. Dann ein tiefer Seufzer.

    "Die Immobilienspekulation der letzten zehn Jahre hat das Pubsterben akut beschleunigt. Es war schlichtweg lukrativer, Kneipen in Wohnungen umzubauen. Gewissenlose Spekulanten haben Pubs aufgekauft, und sie absichtlich in den Bankrott getrieben. "

    Wenn er seinen traditionellen Pub in East Dulwich in ein Speiselokal verwandeln würde, hätte er es leichter, weil die Gewinnmargen viel höher wären, erzählt Kneipenwirt Jamie Hooper. Aber so ein ‚Gastropub’ fände er total abartig.

    Das Kneipensterben habe auch noch andere Gründe: Früher haben sich die Leute mit Freunden im Pub getroffen – heute gehen sie lieber shoppen, oder trinken zuhause, vor dem Fernseher. Manche laden neuerdings auch ihre Freunde zum Umtrunk in ihre Garage ein. Das ist natürlich viel billiger, außerdem braucht man keine Lizenz.

    Ein paar Ecken weiter liegt der nächste Stopp: die Cittie of Yorke. Mit ihrer hohen Balkendecke, den Bogenfenstern, den verborgenen Nischen, gleicht sie einer geheimnisvollen mittelalterlichen Kathedrale. Dutzende gleissender Zapfhähne versprechen Biersorten wie Oatmeal Stout und Taddy Porter, Bio-Lager und Pure Brewed Alpine. An zufriedenen Kunden fehlt es nicht. Das Pint ist fast die Hälfte billiger als in den üblichen Kneipen. Geoffrey Strawbridge strahlt.

    "Keins dieser Biere wird beworben, die Kunden müssen also nicht für die Reklame mitzahlen. Sämtliche Getränke sind zudem frei von Chemikalien. Geoff Strawbridge ist überzeugt, dass agressive Werbekampagnen am Komatrinken mitschuldig sind. Sie müssten als erstes verboten werden. "

    Zum Abschluss zieht die Camra-Runde zur Princess Louise. Hinter einem schlichten Eingang verbirgt sich ein viktorianischer Kristallpalast. Alles glitzert: die geätzten Glaspaneele, die bunten Mosaikböden, die geschliffenen Spiegel. Der Pub wurde erst vor kurzem restauriert. Von derselben nordenglischen Spezialbrauerei, die auch die Cittie of Yorke in ihrem Besitz hat. Ihr Name wird unter Camra Mitgliedern mit größter Andacht ausgesprochen.

    "Ungewöhnliche Pubs wie die Princess Louise, die Cittie of Yorke, und das Lamb werden auch in Zukunft bestehen, sagt Jane Jephcote. Aber viele normale Eckkneipen werden die nächsten 20 Jahre nicht überleben. "