"Die Korruption, wie sie unseren lateinamerikanischen Völkern schadet, und den Demokratien dieses gesegneten Kontinents! Ein sozialer Virus, der sich überall verbreitet und vor allem die Armen und Mutter Erde schädigt. Aber Korruption lässt sich vermeiden und alle müssen dazu beitragen."
Papst Franziskus am 19. Januar während eines Besuchs in Peru. Seine mit Beifall bedachte Rede hält er im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Lima.
"Ich habe nicht gelogen. Ich bin nicht korrupt. Das ist absolut klar."
Der peruanische Präsident Pedro Pablo Kuczynski im vergangenen Dezember. Wegen seiner geschäftlichen Verbindungen zum brasilianischen Baukonzern Odebrecht, der in ganz Lateinamerika Politiker bestach, enthebt das Parlament den Präsidenten kurz vor Weihnachten fast seines Amtes.
"Es gab in meiner Regierung Funktionäre, die Korruption verübt haben. Das ist unbestreitbar, und diese Funktionäre müssen sich für ihre Taten verantworten. Aber deshalb meine ganze Regierung als korrupt zu bezeichnen, nein, das geht nicht."
Cristina Kirchner, argentinische Ex-Präsidentin. Gegen Kirchner sind vier Verfahren in der Justiz anhängig, illegale Bereicherung und Geldwäsche werden ihr unter anderem vorgeworfen.
"Die Justiz reagiert heute energischer auf die schweren Verbrechen der Korruption. Und das ist extrem positiv."
Sergio Moro bekanntestes Gesicht der Korruptionsbekämpfung in Brasilien. Im Rahmen der Operation Lava Jato, der Aufklärung des bisher größten Korruptionsskandals der brasilianischen Geschichte, hat Moro mehr als hundert Politiker, Funktionäre und Manager zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Altes Übel, neue Aufmerksamkeit
Korruption ist ein in Lateinamerika weitverbreitetes und tief verwurzeltes Problem. Wenn die Nichtregierungsorganisation Transparency International an diesem Mittwoch wie jedes Jahr ihren Korruptionswahrnehmungs-Index vorstellt, werden die meisten lateinamerikanischen Länder wohl wieder in der unteren Hälfte des Rankings landen. Aber das alte Übel der Korruption erfährt in der Region seit einigen Jahren neue Aufmerksamkeit: Die Gesellschaften begehren dagegen auf, die Presse ist wachsamer und die Justiz aktiver geworden. Delia Ferreira Rubio, eine argentinische Juristin, die seit Oktober vergangenen Jahres Präsidentin von Transparency International ist, appelliert:
"Den Bürgern muss bewusst werden, dass sie selbst die Opfer der Korruption sind. Das Geld, das durch Korruption verschwindet, fehlt für den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Straßen, fehlt für Entwicklung. Am meisten sind davon die Armen betroffen. Wir sagen immer, dass Korruption tötet. In meiner Heimat Argentinien etwa sind wegen Korruption Menschen gestorben."
Vergangene Woche im Karneval von Rio: Bei ihrer mitreißenden Parade nehmen die Sambaschulen auch eines der Hauptübel der brasilianischen Gesellschaft aufs Korn: die Korruption. Nicht überall wird so fröhlich protestiert. Die Toleranz ist gesunken. Der Mega-Skandal 'Lava Jato, bei dem es um Bestechungsgelder des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht und anderer Firmen geht, wirkte wie ein Katalysator: Er hat die Korruption grenzüberschreitend zu einem der Hauptthemen der öffentlichen Diskussion und der Medienberichterstattung gemacht.
Lava Jato-Skandal erschüttert Brasilien
Vor fast vier Jahren, im März 2014, flog in Brasilien ein weitverzweigtes korruptes Netzwerk auf: Um an Aufträge des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobraszu kommen, hatten private Unternehmen Schmiergelder in Milliardenhöhe gezahlt. Was Manager, Beamte und Politiker in die eigene Tasche oder in Parteikassen steckten, schlugen die beauftragten Firmen bei den Verträgen drauf, sodass die Ausgaben für den Staat erheblich stiegen. Die beherzte juristische Aufklärung des Skandals, bekannt geworden als Operation Lava Jato, hat bislang zur Verurteilung von mehr als 140 Personen geführt. Ermittlungsrichter Sergio Moro, der die meisten Strafen verhängte:
"Ich glaube, aufgrund der Arbeit der Polizei, der Staatsanwälte und Richter in der Operation Lava Jato sehen heute mehr Brasilianer, dass die Korruption unser Land zurückwirft. Dass die Korruption unsere Entwicklung hemmt. Wir Brasilianer haben ein Recht auf ehrliche Regierungen."
Im kommenden Oktober wird in Brasilien eine neue Regierung gewählt, es finden Präsidentschafts-, Parlaments- und Gouverneurswahlen statt. Die sich dem Ende zuneigende Legislaturperiode ist turbulent verlaufen: 2016 setzte der Kongress Präsidentin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei ab. Der Vorwurf: Rousseff habe Haushaltszahlen geschönt. Aber manch einer, der an dem umstrittenen Impeachment mitwirkte, stolperte danach über seine Verwicklung in das korrupte Lava Jato-Netz.
Der Bestechungs-Skandal ist nicht der erste in der Geschichte Brasiliens, aber er hat die politische Klasse erschüttert wie kein anderer. Und diese versucht sich zu wehren. Der konservative Präsident Michel Temer, gegen den ebenfalls Ermittlungen im Rahmen der 'Operation Lava Jato laufen, dekretierte im Dezember eine Weihnachts-Begnadigung. Mehr als dreißig wegen Korruption Verurteilte hätten von ihr profitieren können. Doch der Oberste Gerichtshof schob der stark kritisierten Maßnahme einen Riegel vor - eine klare Absage an die Straflosigkeit. Brasiliens Justiz verfolge die Korruption über Parteigrenzen hinweg, betont der Verfassungsrechtler Ivar Hartmann vom Think Tank Getulio Vargas-Stiftung.
"Die Bundesstaatsanwaltschaft hat die Lava Jato-Ermittlungen mit derselben Effizienz gegen Politiker der Linken wie der Rechten geführt."
Manch eine Verurteilung allerdings sorgt für große Kontroversen. Ende Januar bestätigte ein brasilianisches Gericht eine Haftstrafe gegen Ex-Präsident Inácio Lula da Silva, und erhöhte das Strafmaß sogar noch: von neun auf zwölf Jahre Gefängnis. In erster Instanz hatte Richter Sergio Moro den Linkspolitiker für schuldig befunden, dass ersich von der Baufirma OAS die Renovierung einer Wohnung bezahlen ließ.
Lula, auf freiem Fuß, solange der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft ist, hätte Umfragen zufolge die besten Siegchancen bei der Präsidentschaftswahl. Nach dem Urteil in zweiter Instanz hat er aber nur geringe Chancen seine Kandidatur überhaupt anmelden zu können. Für ihn und seine Anhänger steht fest: Die Richter, allen voran Sergio Moro, handelten politisch und wollten seine Rückkehr in die Politik verhindern. Verfassungsrechtler Ivar Hartmann sieht das anders.
"Ich sehe keinerlei Anlass für den Vorwurf, Lula würde politisch verfolgt. Ja, ich bin überrascht, dass so viele Brasilianer an diese These glauben. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das die typische Reaktion mächtiger Politiker überall auf der Welt ist: Wenn die Justiz gegen sie aktiv wird, prangern sie politische Verfolgung an."
Politiker werden selten verurteilt
Dass es für Lula schwer, vielleicht sogar unmöglich sein wird, als Kandidat zugelassen zu werden, liegt am sogenannten Weiße-Weste-Gesetz. Es schließt Personen, die in zweiter Instanz verurteilt wurden, von der Bewerbung für politische Ämter aus. Das Gesetz haben die Bürger selbst erkämpft: 1,6 Millionen Brasilianer unterschrieben die Initiative gegen korrupte Politiker. In Kraft trat das Weiße-Weste-Gesetz 2010 unter der Regierung Lula da Silvas - und ist nun zum Problem für ihn und andere Politiker geworden. Der Jurist Luciano dos Santos von der "Bewegung zur Bekämpfung der Wahl-Korruption", MCCE:
"Es gibt eine Menge Politiker, die bei den kommenden Wahlen wegen des Weiße-Weste-Gesetzes nicht antreten dürfen. Dazu beigetragen hat die größere Wachsamkeit der Justiz, und das entschlossenere Eintreten der Gesellschaft gegen die Korruption."
Es ist extrem selten, dass Politiker, insbesondere frühere Präsidenten, von der Justiz ihres Landes verurteilt werden. Die Tatsache, dass die brasilianische Justiz den Mut und die Standhaftigkeit gehabt hat, das zu tun, ist bemerkenswert.
Sagt der Verfassungsrechtler Ivar Hartmann. Die positive Bewertung der Fortschritte Brasiliens bei der Korruptionsbekämpfung teilen auch Experten aus anderen Ländern der Region. Traditionell verliefen Korruptionsermittlungen gegen lateinamerikanische Politiker meist im Sand und diese mussten keine Strafe fürchten. Doch das beginnt sich nun zu ändern. Der peruanische Investigativ-Journalist Gustavo Gorriti, dessen Nachrichten-Portal IDL Reporteros auf Korruptionsfälle spezialisiert ist:
"Die Arbeit der brasilianischen Justiz in der Operation Lava Jato ist ein Vorbild für andere Länder. Durch sie gab es einen historischen Durchbruch im Kampf gegen die Korruption in Lateinamerika. Und dies ist das Ergebnis tiefgreifender Reformen in Brasiliens Justiz und Polizei."
Neue Kronzeugenregelung hilft
Als höchst effizientes Instrument der 'Operation Lava Jato erwies sich die sogenannte "belohnte Denunzierung", eine Kronzeugenregelung, die in Brasilien seit 2013 gesetzlich zugelassen ist. Die Ermittler brachten rasch Licht in das Dunkel des korrupten Netzwerks, weil sie mit fast dreihundert Beschuldigten eine Kooperation vereinbarten. Diese packten aus - und wurden im Gegenzug mit einer Verringerung ihrer Strafen belohnt. Wichtigste Aussage war die von Marcelo Odebrecht, dem ehemaligen Präsident von Lateinamerikas größtem Baukonzern. Weil er die Bestechungspraktiken detailliert schilderte, wurde Odebrecht im Dezember bereits nach zweieinhalb Jahren aus der Haft entlassen und verbüßt den Rest seiner Strafe als Hausarrest.
"Die wichtigsten Ermittlungsergebnisse haben die peruanischen Staatsanwälte bisher der brasilianischen Justiz zu verdanken. Denn in Peru wie in anderen Ländern Lateinamerikas existieren zwar Kronzeugenregelungen, aber sie sind längst nicht so effizient und gut organisiert wie in Brasilien."
Skandal reicht bis nach Peru
Sagt Journalist Gustavo Gorriti. Peru gehört neben Brasilien zu den Ländern Lateinamerikas, die vom Lava Jato-Skandal am stärksten aufgerüttelt wurden. Seit der Odebrecht-Konzern Ende 2016 vor der US-Justiz zugab, dass er in Peru 29 Millionen Dollar Bestechungsgelder zahlte, sind diverse Politiker ins Visier der Justiz geraten.
Der ehemalige Präsident Ollanta Humala und seine Ehefrau sitzen in Untersuchungshaft, weil sie illegale Wahlkampf-Spenden von Odebrecht und der Baufirma OAS erhalten haben sollen. Noch gravierender sind die Vorwürfe gegen Ex-Präsident Alejandro Toledo, dem der Odebrecht-Konzern nach eigenen Angaben 20 Millionen Dollar zahlte, um mit dem Bau eines Abschnitts der Autobahn Interoceánica beauftragt zu werden. Toledo hält sich in den USA auf, wo er sich der peruanischen Justiz entzieht. Investigativ-Journalist Gustavo Gorriti:
"Die brasilianischen Firmen haben die Länder Lateinamerikas nicht mit der Korruption angesteckt. Sie haben die Korruption schon vorgefunden, und angefangen sie besser zu organisieren und systematisch zu betreiben."
Die Ermittler, die den peruanischen Ableger des Lava Jato-Skandalsaufklären sollen, kommen nur langsam voran: Verurteilungen hat es noch keine gegeben, Prozesse haben bisher nicht begonnen. Walter Albán, Ex-Ombudsmann des Staates und heute Direktorder NGO Proética:
"Der Lava Jato-Skandal offenbart die Schwäche unserer Institutionen. Als im Jahr 2000 Präsident Alberto Fujimori abtrat, zeigte sich, dass Perus Justiz nicht imstande war, die enorme Korruption seiner Regierung aufzuarbeiten. Damals wurden Reformen vorgenommen, vor allem im Strafrecht, die später seine Verurteilung ermöglichten. Doch seitdem hat es kaum weitere Fortschritte bei der Ahndung von Korruption gegeben. Die Justiz hat Schwierigkeiten, in einem komplexen Skandal wie dem Lava Jato effizient und schnell zu agieren."
Perus amtierenden Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski hätten seine Verbindungen zu Odebrecht fast sein Amt gekostet. Dass der Kongress ihn im Dezember nicht absetzte, lag allem Anschein nach auch an Absprachen mit einem Teil des Fujimori-Lagers. Denn zwei Tage nach der Abstimmung begnadigte der Präsident seinen wegen Korruption und schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilten Vorgänger. Noch ist nicht sicher, ob Kuczynski den Skandal, und seinen moralischen Ansehensverlust, politisch überleben wird. Walter Albán von Proética, der peruanischen Filiale von Transparency International:
"Korrupt ist das Überschreiten ethischer Prinzipien. Kein Zweifel: Kuczynski hat ethische Prinzipien überschritten. Er ging als Funktionär Verbindungen zu Firmen ein, die für den Staat tätig waren. Aber noch ist nicht bewiesen, ob er ein Delikt begangen hat - wir müssen die Ermittlungen abwarten."
Bestechungsgeld floss auch nach Argentinien
In Perus Kongress gibt es eine Kommission, die den Lava Jato-Skandal untersuchen soll. Doch für Investigativ-Journalist Gustavo Gorriti ist sie eine Farce.
"Die Lavo Jato-Kommission ist keine Untersuchungs-, sondern eine Vertuschungskommission. Bestimmte Politiker, die unter Korruptionsverdacht stehen, wie Keiko Fujimori oder Ex-Präsident Alan García, lässt sie in Ruhe. Die Kommission wird von Abgeordneten dominiert, die lediglich ihre politischen Feinde aufs Korn nehmen, aber die Handlungen ihrer eigenen Parteichefs vertuschen wollen."
Vielerorts in Lateinamerika wird der Lava Jato Odebrecht-Skandal genannt, weil er vor allem die grenzenlose Korruption dieses Unternehmens enthüllte. Odebrecht hat gestanden, in einem Dutzend Ländern fast 800 Millionen Dollar Bestechungsgeld gezahlt zu haben. Eines davon: Argentinien. Mindestens 35 Millionen, vielleicht sogar knapp 60 Millionen Dollar, sind dort geflossen. Odebrecht bekam dafür Bauaufträge für einen Eisenbahn-Tunnel und für zwei Wasseraufbereitungs-Anlagen. Doch die juristische Aufklärung stagniert, denn die argentinischen Ermittler und das Unternehmen konnten sich bislang nicht auf eine Kooperation einigen. Iván Ruiz, Korruptions-Experte von der Tageszeitung La Nación, erklärt, warum:
"Wenn der Odebrecht-Konzern, wie in Brasilien und Peru, der Justiz Informationen über seine illegalen Aktivitäten in Argentinien liefern würde, wären sowohl Vertreter der Opposition als auch der Regierung betroffen. Denn nicht nur der Infrastruktur-Minister der Kirchner-Regierungen wusste mit Sicherheit von den Bestechungsgeldern, sondern auch ein argentinischer Unternehmer war involviert, der ein Cousin von Präsident Mauricio Macri ist. Keiner ist daran interessiert, dass all dies ans Licht kommt und die Ermittlungen vorankommen. Keiner!"
Argentinien hat in Korruptionsfällen eine lange Tradition der Straflosigkeit. Große Teile der Justiz handeln, oder handeln eben nicht, unter politischen Einflüssen. Korruptions-Verfahren gegen Politiker nehmen meist erst Fahrt auf, wenn diese nicht mehr an der Macht sind. Erst nach der Abwahl der Kirchner-Regierung vor zwei Jahren wurde die Justiz gegen Politiker und regierungsnahe Unternehmer aus der Ära des Kirchnerismus'aktiv, die vorher nichts zu befürchten hatten. Eine Reihe von ihnen sitzt heute in Untersuchungshaft und es scheint möglich, dass im kommenden Jahr ein großer Korruptionsprozess beginnt. Ex-Präsidentin Cristina Kirchner selbst könnte aber glimpflich davonkommen, meint Journalist Iván Ruiz.
"Die rechtliche Lage Kirchners ist zwar ziemlich kompliziert, weil mehrere Verfahren gegen sie laufen. Aber ihr Vorteil ist, dass sie im vergangenen Jahr in den Senat gewählt wurde. Daher ist sie in Freiheit und genießt Immunität, bis ihr Mandat endet."
"Die Justiz ist aufgewacht"
Die amtierende Regierung des Unternehmers Macri, der viele Manager aus der Privatwirtschaft in sein Kabinett holte, hat bisher vor allem mit Interessenskonflikten zu kämpfen. Und das staatliche Antikorruptions-Büro ist kein unabhängiges Kontroll-Organ, da es von einer Parteigenossin des Präsidenten geleitet wird. Dennoch, die Vorsitzende von Transparency International, Delia Ferreira Rubio, beobachtet zumindest die juristische Korruptions-Aufarbeitung in ihrer Heimat mit vorsichtiger Hoffnung.
"Wir sehen: Die Justiz ist aufgewacht. Ich hoffe, dass dies eine nachhaltige Veränderung ist, und dass Richter und Staatsanwälte anfangen, unabhängig von den Regierungen zu handeln. Das wäre sehr positiv."