Silvia Engels: Im Regenwaldgebiet des Amazonas brennt es. Das kommt zu Beginn der Trockenzeit dort schon mal vor, doch in diesem Jahr sind es deutlich mehr Brände als sonst, und zwar schon seit Wochen und Monaten. Brandstiftung zur Brandrodung wird vielfach als Ursache ausgemacht. Das bedroht nicht nur die Region und die Anwohner, sondern auch das Weltklima, denn der Amazonas-Regenwald ist ja als grüne Lunge des Planeten bekannt.
Viele Brände im Amazonas-Gebiet sind nicht auf Naturkatastrophen zurückzuführen, sondern offenbar mutwillig gelegt. Wir wollen deshalb näher auf die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Brasilien schauen, die hier offenbar eine Rolle spielen.
Am Telefon dazu ist Daniel Flemes. Er arbeitet am GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg, auch als Redakteur der Publikation "GIGA-Fokus Lateinamerika", und er ist seit langem Experte für Brasilien. Bis zum letzten Jahr war er zum Beispiel Gastprofessor in Rio de Janeiro. Nun erreichen wir ihn wieder in Hamburg. Guten Tag, Herr Flemes!
Daniel Flemes: Ja! Guten Tag, Frau Engels.
Engels: Welche Rolle spielen denn im politischen Konzert die Großgrundbesitzer Brasiliens bei den jetzigen Bränden?
Flemes: Die Großgrundbesitzer haben in Brasilien traditionell eine sehr starke Rolle. Man kann das auch übersetzen als das Agribusiness. Die gesamte Landwirtschaft ist ja in Brasilien der wichtigste Wirtschaftszweig. Das erkennt man beispielsweise daran, dass 40 Prozent der brasilianischen Exporte aus der Landwirtschaft kommen. Das brasilianische Agribusiness gehört auch zu den wettbewerbsfähigsten der Welt, und entsprechenden Einfluss haben auch die Großgrundbesitzer dann auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Die haben teilweise so eine Art Fürstenstatus in ihren Provinzen und Regionen mit erheblichem Einfluss im Justizwesen, bekleiden teils auch politische Ämter auf Regionalebene, verfügen über Privatarmeen und Ähnliches.
"Es entsteht eine Umweltbewegung"
Engels: Die brasilianische Justiz hat Ermittlungen eingeleitet. Im Bundesstaat Pará solle geprüft werden, warum ein von Bauern angekündigter Tag des Feuers letzte Woche nicht verhindert wurde, mit dem wohl viele Brandrodungen in Gang gesetzt wurden. Inwieweit sind auch kleine landwirtschaftliche Betriebe und auch einzelne Bauern Auslöser der Brände, oder ist das gesteuert durch die Großgrundbesitzer?
Flemes: Das lässt sich natürlich aus der Ferne sehr schwer beurteilen. Aber der Verdacht liegt natürlich nahe, dass diejenigen, die in diesen Gebieten und Provinzen den größten Einfluss haben, dann auch in der Lage sind, auf kleinere Bauern, die ja in der Regel dann von denen abhängig sind, einzuwirken. Aber da würde ich mich jetzt nicht zum Urteil aus der Ferne hinreißen lassen wollen.
Engels: Wie weit ist denn in der brasilianischen Gesellschaft generell das Bewusstsein verankert, dass der Regenwald geschützt werden muss? Oder wird er doch eher als Nutzfläche überwiegend wahrgenommen?
Flemes: Überwiegend gibt es schon ein Umwelt- und Klimabewusstsein, das natürlich lange nicht so ausgeprägt ist wie in Europa, was auch damit zu tun hat, dass die Brasilianer einfach vor ganz anderen, sehr grundlegenden Problemen stehen – Stichwort die inzwischen Jahrzehnte währende Krise im Bildungssektor, im Gesundheitssektor, in der Wirtschaft, die öffentliche Sicherheit. Es ist natürlich schwierig, sich auf Umweltprobleme zu konzentrieren, wenn man es mit Problemen in der Grundversorgung zu tun hat.
Es gibt aber eine im Entstehen begriffene Umweltbewegung, und dass der Klimawandel ein Fakt ist, wird eigentlich nicht ernsthaft bestritten, außer von Jair Bolsonaro und den Leuten, die ihn umgeben, aber das ist durchaus natürlich auch mit politischen Zielen verbunden und ich glaube nicht, dass die ernsthaft davon überzeugt sind.
Sehr gut aufgestellte Agrarlobby
Aber auf einem ganz anderen Blatt steht natürlich noch mal, selbst wenn dieses Umweltbewusstsein vorherrscht, wie viel ist man bereit zu tun, persönliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen oder tatsächlich politisches Engagement dann an den Tag zu legen. Da ist es natürlich so, dass jetzt diese Katastrophe dazu führt, dass mehr und mehr Brasilianer sich für das Thema interessieren und sich auch NGOs gründen, die eine stärkere Öffentlichkeit bekommen und damit dann auch die Umweltbewegung in Brasilien größer wird.
Engels: Es gibt ja auch immer wieder Berichte, dass in der Region viel mehr Fläche in Brand gesetzt wird, als dann tatsächlich kurzfristig genutzt wird. Spielt da Landspekulation eine Rolle, national und international?
Flemes: Das ist durchaus möglich. Diese Praxis, das funktioniert in der Regel so, dass sich Dokumente illegal beschafft werden, durch den politischen Einfluss und die politischen Kontakte auf Provinzebene, wie ich das eben schon beschrieben habe, und dann auf der Grundlage dieser Urkunden mit den Gebieten Handel betrieben wird oder angestammte Kleinbauern und Indigene von diesen Gebieten vertrieben werden. Inwieweit diese Spekulation auch internationale Dimension annimmt, ist auch natürlich sehr intransparent und schwer zu beurteilen. Aber dass das erhebliche Ausmaße angenommen hat, daran bestehen keine Zweifel.
Engels: Die Großgrundbesitzer, von denen schon die Rede war, gelten ja immer als die mächtigste Stütze für die Regierung Bolsonaro. Sehen Sie es auch so, dass er nie gegen sie agieren wird?
Flemes: Die Agrarlobby gehört zu Bolsonaros Unterstützern der allerersten Stunde, lange bevor er in den Präsidentschaftspalast gewählt wurde. Das ist natürlich auch eine sehr finanzstarke Lobby, mit der er sich es nicht aus pragmatischer Sicht verscherzen sollte. Es gibt auch Akteure in der Regierung, etwa die Landwirtschaftsministerin Tereza Christina, die dieser Agrarlobby entstammt. Die haben ihre Position sehr gefestigt in der brasilianischen Regierung und übrigens auch im Parlament ist das eine sehr wichtige Fraktion. Die Agrarlobby verfügt über eigene Fernsehsender, andere Medien, in denen sie sich sehr professionell darum bemüht, in der Öffentlichkeit weiterhin auch ein positives Bild durchaus mit Umweltbewusstsein zu vermitteln. Insofern dürfte die Agrarlobby ihren Einfluss in der Regierung Bolsonaro nicht verlieren.
EU könnte über Handelsabkommen Einfluss nehmen
Engels: Stellt sich die Frage, wer Einfluss als internationaler Akteur auf Bolsonaro nehmen könnte, um mehr für den Schutz der Regenwälder zu tun. Die Iren preschen jetzt mit einem Vorschlag vor: Sie wollen das EU-Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten blockieren, wenn Brasilien den Regenwald am Amazonas nicht besser schützt. Ist das ein vielversprechender Ansatz, um Druck auf Bolsonaro aufzubauen?
Flemes: Ja, durchaus. Und da sind die Iren ja auch nicht die einzigen. Von Präsident Macron kam schon eine ähnliche Initiative. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur muss ja in den nationalen Parlamenten jeweils ratifiziert werden, übrigens auch im Deutschen Bundestag. Und dass in diesem Abkommen verbindliche Klauseln stehen sollten, die dafür sorgen, dass Agrargüter, deren Produktion direkt auch kausal mit der Waldrodung und Missachtung von indigenen Rechten in Verbindung steht, also etwa Rindfleisch und Soja insbesondere, dass diese Klauseln und auch mögliche Sanktionen da drinstehen sollten, ist eigentlich relativ unstrittig aus einer politischen oder moralischen Perspektive.
Aber es gibt natürlich auch in Deutschland und in Europa und in Irland und in Frankreich Lobbys, insbesondere die Industrieunternehmen, die daran interessiert sind, im Gegenzug dann europäische Industriegüter nach Brasilien oder nach Südamerika zu exportieren, ohne Zölle zu bezahlen, die dem entgegenstehen. Da bahnt sich auf europäischer Ebene noch ein Tauziehen an. Aber die Initiative (jetzt noch mal seitens der Iren wiederholt) ist sicher eine der vielversprechendsten, weil das ein Hebel ist, der durchaus wirkt, denn wirtschaftlicher Erfolg ist letztlich ein Faktor, an dem auch die Regierung Bolsonaro und insbesondere der Außenhandel gemessen wird.
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