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Lateinamerika-Experte
"Die Sache wird in Venezuela entschieden"

Ob der Rückhalt und die Macht von Oppositionsführer Guaidó wirklich so stark seien, wie Ausland und Presse annehmen, werde sich noch zeigen, sagte der Lateinamerika-Experte Nikolaus Werz im Dlf. Außerdem wies er auf die finanziellen Interessen hin, die Russland, China und die USA in Venezuela haben.

Nikolaus Werz im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó bei einer Rede in Caracas am 23.1.2019
    Der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó bei einer Rede in Caracas am 23.1.2019 (AFP / Federico Parra)
    Jörg Münchenberg: Der Machtkampf in Venezuela geht in die nächste Runde. Gestern hatte Venezuelas Opposition landesweit zu Protesten gegen die Regierung Maduro aufgerufen. Es kamen Zehntausende. Maduro selbst war erst vor zwei Wochen wiederum zum Staatspräsidenten vereidigt worden. Doch diesen Posten macht ihm Parlamentspräsident Juan Guaido streitig. Auch viele westliche Staaten bezweifeln die Rechtmäßigkeit von Maduros Wiederwahl.
    Am Telefon ist nun der emeritierte Politikwissenschaftler der Universität Rostock, Lateinamerika-Experte und Buchautor Nikolaus Werz. Herr Werz, ich grüße Sie!
    Nikolaus Werz: Ja! Guten Tag, Herr Münchenberg!
    Münchenberg: Herr Werz, gestern gab es ja noch mal große Demonstrationen in Venezuela. Wie bedrohlich ist derzeit die Lage dort?
    Werz: Die Lage hat sich zugespitzt zum 10. Januar, weil dann die Amtszeit von Maduro endete und er sich praktisch hat neu einschwören lassen. Da kamen die Erinnerungen an die Wahlen von 2015, die Nationalversammlung, das Parlament – freie Wahlen, wo die Opposition gewonnen hat -, und die Maduro-Wahl des vergangenen Jahres, die von der Opposition nicht anerkannt wurden. Diese Situation hat dieser junge Parlamentspräsident, der erst seit Januar im Amt ist, genutzt und hat plötzlich eine Protagonistenrolle erhalten, die ihm keiner so richtig zugetraut hatte.
    Münchenberg: Würden Sie sagen, seine Rolle wird insgesamt überschätzt?
    Werz: Das ist möglich. Wir wissen nicht, ob er ein Hasardeur ist, oder ob er gute Kontakte ins Militär hat, ob es wirklich Absprachen mit den USA und anderen Regierungen gibt. Das werden die nächsten Tage zeigen. Aber dass er die Zeitsituation besser gelesen hat als Maduro, ist offensichtlich, denn Maduro wusste ja vor drei Wochen auch noch nicht, wer dieser junge Mann eigentlich ist.
    "US-Firmen waren die einzigen, die regelmäßig für venezolanisches Öl gezahlt haben"
    Münchenberg: Nun hat Maduro auch den Tonfall gegenüber den USA noch mal deutlich verschärft, hat die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Wie ist das einzuschätzen? Wird ihn das letztlich noch mal richtig in die Bedrängnis bringen?
    Werz: Das kann sich in den nächsten Tagen zuspitzen. Denn die Frage ist ja jetzt: Müssen die 60 Diplomaten gehen? Denn die sagen ja, sie haben die Interimsregierung anerkannt und bleiben im Land. Wenn sie das machen würden, dann könnte so eine Konfliktsituation mit den USA entstehen, was man bisher vermieden hat, denn die USA oder die US-Firmen waren ja praktisch die einzigen, die regelmäßig für venezolanisches Öl gezahlt haben.
    Münchenberg: Das heißt, die USA hat sehr viele handfeste Interessen im Land?
    Werz: Die haben handfeste Interessen. Die haben aber bisher den Boykott auch nicht bis zum letzten geführt. Denn Russland und China ist ja auch deshalb an der Maduro-Regierung interessiert und deren weiterem Bestand, weil die einen Haufen Schulden bei ihnen haben. Das ist eine sehr eigenartige Situation, dass die USA einerseits der Hauptgegner aus der Sicht Maduros sind, andererseits aber ein wichtiger Finanzier seiner Regierung bisher waren.
    Münchenberg: Herr Werz, nun hat US-Präsident Trump gesagt, die USA würden ihr ganzes diplomatisches Gewicht in die Waagschale werfen, um Venezuela zurück zur Demokratie zu führen. Ist das nicht trotzdem ein ziemlich arrogantes Auftreten, denn die USA haben ja gerade Mittel- und Südamerika doch lange als eigenen Hinterhof behandelt?
    Werz: Historisch ist das so. Aber die Lage hat sich ja verändert. Die USA haben in den letzten 15, 20 Jahren nicht mehr direkt eingegriffen. Panama war eigentlich der letzte Moment. Und sie sehen ja, dass viele, sogar auch Linke keinen heißeren Wunsch verspüren, als in die USA zu gehen. Hinzu kommt, dass viele südamerikanische Regierungen diese Interimsregierungen auch schon anerkannt haben. Der Hintergrund ist natürlich die starke Migration. Nachdem fast zehn Prozent der Venezolaner ihr Land verlassen haben und in die Nachbarländer drängen, wollen die anderen Regierungen hier eine Lösung finden, und offenbar halten sie einen Regimewechsel mit Guaidó für einen geeigneten Ausweg.
    Münchenberg: Wie bewerten Sie denn als Lateinamerika-Experte die doch ja ziemlich deutliche Positionierung gerade westlicher Staaten, die sich ja doch auf die Seite von Oppositionsführer Guaido jetzt geschlagen haben?
    Werz: Von den westlichen Staaten haben sich ja nur – was heißt nur – die USA und Kanada deutlich positioniert. Die EU oder der Parlamentspräsident der EU hat gesagt, dass Guaidó oder die Nationalversammlung mehr Legitimität habe als Maduro. Dem wird sich wahrscheinlich jeder anschließen. Ansonsten denkt die EU noch darüber nach, zumal gerade die spanische Regierung, wo ja der Ex-Regierungschef Zapatero auch immer wieder Verhandlungen geführt hat, da noch sehr zögerlich ist.
    "Das Thema Venezuela ist in Spanien hoch kontrovers und Teil der dortigen Innenpolitik"
    Münchenberg: Würden Sie es denn für richtig finden, wenn sich gerade die EU da klarer positioniert?
    Werz: Ich weiß es nicht. Da die USA und vor allen Dingen die lateinamerikanischen Nachbarn sich sehr klar positioniert haben, ist es gut, wenn der Parlamentspräsident sagt, welche Wahl mehr Legitimität hat. Aber ansonsten muss man erst mal den Prozess in den Ländern abwarten, zumal das Thema Venezuela in Spanien hoch kontrovers ist und Teil der dortigen Innenpolitik.
    Münchenberg: Hat denn dieser Druck, der da von außen kommt – Russland auf der anderen Seite stützt ja Maduro -, überhaupt irgendeine Wirkung? Oder ist es am Ende tatsächlich nicht das Militär zum Beispiel, das darüber entscheiden wird, wer in Venezuela an die Macht kommt oder an der Macht bleibt?
    Werz: So ist es, meines Erachtens. Das Militär wird entscheiden, vor allen Dingen die vielen Generäle. Das sind ja über 2000. Die sind bisher sehr intensiv an den Ölgeldern beteiligt, die Truppe nicht unbedingt. Deshalb spricht ja Guaidó auch diese Truppe an. In der Vergangenheit war es immer eine Gefahr, dass die Opposition die Bereitschaft, im Ausland Unterstützung zu kriegen, überschätzt hat. Die Sache wird in Venezuela entschieden.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite ist die Versorgungslage schon jetzt prekär. Spielt denn da auch das Volk letztlich überhaupt keine Rolle?
    Werz: Das Volk zerfällt ja in ganz viele. Die Regierung besteht aus verschiedenen Gruppierungen. Das Land hat Züge eines zerfallenden Staates, muss man leider sagen, wo zum Teil die Macht geteilt wird zwischen den Kollektivos der Regierung, aber auch Drogenmafia-Interessen. Das ist eine sehr komplizierte Situation, was insofern besonders bedauerlich ist, weil Venezuela ja doch nach '58 eine halbwegs funktionierende präsidentielle Demokratie war, wo der Staat auch durchaus eine Rolle spielte.
    Münchenberg: Die Frage ist: Ist das wieder reparabel, wenn sich zum Beispiel Guaidó tatsächlich an der Macht festigen kann?
    Werz: Das wird Jahre und Jahrzehnte dauern. Dann gibt es natürlich auch – das haben Sie ja eingangs gesagt – finanzielle Interessen, die großen Ölfirmen. Die Russen können ja nicht so einfach, das Ölgeschäft ist kompliziert. Das ist nicht so einfach, da andere Leute hinzusetzen. Wenn es da wirklich zu einer Transition kommt, wird das ein Gerangel werden. Aber zunächst mal muss eine Lösung gefunden werden. Jetzt heißt es, dass Trump - wenn ich das richtig verstanden habe, kam die Nachricht – sich für eine Exit-Option auch für Maduro einsetzen würde. Das ist natürlich ein bisschen überraschend. Aber da muss man abwarten, ob es wirklich so weit kommt, ob der Rückhalt und die Macht von Guaidó wirklich so stark ist, wie das Ausland und die Presse teilweise annehmen.
    Münchenberg: Vieles bleibt im Fluss, die Lage auch ein bisschen unübersichtlich. – Das waren Einschätzungen vom Politikwissenschaftler Nikolaus Werz. Herr Werz, vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag im Deutschlandfunk.
    Werz: Ja, vielen Dank und Grüße.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.