Adelphen, heißt das Stück, das die lateinische Theatergruppe an der Kölner Universität derzeit probt, eine Komödie von Publius Terentius, geschrieben 160 vor Christus. Der Inhalt ist nicht so wichtig. Wer ein Theaterstück in Latein aufführt, der will vor allem, dass diese alte Sprache lebt, der will sie spüren:
"Das Interessante ist, man hat dann auch einzelne Passagen im Kopf und trägt sie immer im Herzen bei sich. Anstatt sie im Regal stehen zu haben, hat man auch im Kopf oder im Herzen sozusagen ein Stück von Aristophanes oder von Terenz."
Latein ist eine Weltanschauung, und diese Weltanschauung ist bedroht. Denn die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will die Lateinpflicht etwa für künftige Englisch-, Französisch- oder Geschichtslehrer weitgehend abschaffen. Eine schlechte Idee, finden die Schauspieler:
"Jeder Mensch, der von sich behaupten will, er sei gebildet, der sollte wenigstens rudimentäre Kenntnisse, denn mehr erwirbt man ja doch nicht im Latinum, haben."
Angriff auf das Lateinische
Der Angriff auf das Lateinische kommt aus Bochum, 100 Kilometer nordöstlich von Köln. Der Wind weht hier rauer als am Rhein. Auf einem Hügel vor der Stadt stehen die massigen Beton-Gebäude der Ruhruniversität. Der Bau strahlt den robusten Charme der 60er aus, als das Ruhrgebiet im Strukturwandel nach neuen Chancen suchte und die sozialdemokratische Bildungsreform hier ihre Wurzeln schlug.
Anders als in Köln oder Bonn hat das Lateinische in der Gegend um Bochum keine ausgeprägte Tradition. Schon vor 2.000 Jahren, als die Römer drüben am Rhein das lateinische Wort führten, da herrschten hier die Germanen und sorgten in der Schlacht im Teutoburger Wald dafür, dass das auch so blieb.
Zwei Jahrtausende später geht der Widerstand gegen den Einfluss des Lateinischen wieder von dieser Region aus. Moritz Fastabend von der Studentenvertretung AStA:
"Die Latinumpflicht ist eine Bildungshürde, sie ist völlig sinnlos, eigentlich braucht sie kein Mensch. Es gibt auch einige Lehrende, die sagen an der Uni, eigentlich ist es völlig überflüssig fürs Studium.
Dann haben wir gesagt, okay, dann, unnötige Hürden, die müssen nicht sein und dementsprechend haben wir gesagt, okay, da kann man ja mal schauen, ob man die vielleicht abschaffen kann."
Dann haben wir gesagt, okay, dann, unnötige Hürden, die müssen nicht sein und dementsprechend haben wir gesagt, okay, da kann man ja mal schauen, ob man die vielleicht abschaffen kann."
"Für mich war es immer ein Zwang"
Vor eineinhalb Jahren hat Moritz Fastabend für den AStA-Bochum eine Petition gegen das Latinum ins Internet gestellt. In kurzer Zeit haben 9.000 Studenten unterschrieben, Studenten wie Anja Kleinschmidt:
"Für mich war es immer ein Zwang, und dadurch, dass ich auch den Sinn dahinter nicht erkenne, regt es mich eher auf und führt bei mir zu regelmäßigen Wutanfällen."
Anja Kleinschmidt hat in der Schule Englisch, Französisch und Spanisch gelernt. Aber eben nicht Latein, und das muss sie nun an der Uni nachholen. Drei Semester sind Minimum:
"Der Kurs an sich hat vier Semesterwochenstunden, man muss aber nebenbei pro Tag noch mal zwei bis drei Stunden aufwenden, um das im Kurs Erarbeitete nachzuholen und Vokabeln zu lernen und für Übersetzungen. Also es ist verdammt viel Aufwand neben dem normalen Studium, das ja weiter läuft."
Anja Kleinschmidt wurde das irgendwann zuviel. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Englisch-Studium darunter leidet. Sie hat dann einen privaten Intensivkurs in den Semesterferien belegt.
Solche Kurse werden inzwischen überall angeboten, für 800 bis 1.000 Euro. Vor allem Stundenten aus einfachen Familien zahlen lieber für den Intensivkurs als dass sie ihre Studienzeit überziehen. Denn wer länger studiert als für sein Fach vorgesehen ist, der verliert den Anspruch auf das BAföG und muss die letzten Semester irgendwie selbst finanzieren.
"Leute, die das Latinum nachholen müssen, überschreiten die Regelstudienzeit eigentlich immer. Ich kenne kaum jemand, der es in der Regelstudienzeit geschafft hat und das Latinum noch nebenbei nachgeholt hat."
Für den AStA-Referenten Fastabend ist die Lateinpflicht ungerecht. Arbeiterkinder, sagt er, würden seltener auf humanistische Gymnasien geschickt, und wenn sie dann an der Uni das Latinum nachholen müssten, riskierten sie, zum Schluss ohne Ausbildungsförderung dazustehen.
Nicht nur unter Studenten, auch bei vielen Dozenten in Bochum gilt Latein als Luxus, den sich nicht alle leisten können. Jan Kassel studiert Geschichte und Englisch.
"So ist zum Beispiel die Lehrmeinung im Englischen Institut, dass das Latinum zwar einen Benefit geben würde, dass aber das Grundstudium im Englischen derzeit so gut ist, dass Lateinkenntnisse nicht zwangsläufig vorhanden sein müssen."
Reform für das Frühjahr geplant
Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Sylvia Löhrmann scheint diese Ansicht zu teilen. Irgendwann im Frühjahr will die grüne Ministerin eine Reform der Lateinpflicht vorlegen, heißt es aus Düsseldorf. Genaueres ist nicht zu erfahren, nur, dass das bislang sehr anspruchsvolle Latinum weitgehend abgeschafft werden soll. Künftig sollen für Lehramtskandidaten einfache Lateingrundlagen ausreichen, die man in einem Semester nebenher lernen kann.
Moritz Fastabend verweist darauf, dass die Lateinvoraussetzungen schon heute von Bundesland zu Bundesland und oft sogar von Universität zu Universität verschieden sind. Manche verlangen fürs Lehramt das große Latinum, andere das kleine, manche nur einfach das Latinum. Und jeder versteht etwas anderes darunter.
"Selbst in Bayern, das ja bildungspolitisch immer eher ein Stück weit zurücksteht, sind sie schon deutlich weiter, da gibt es nur noch relativ geringe Anforderungen, was Latein angeht."
Zurück an der Universität in Köln, Philosophische Fakultät. Vor etwas mehr als einem Jahr haben Studenten hier die Initiative "Latein lebt" gegründet, die das Latinum für Lehrer verteidigt:
"An der Schule geht's ja auch darum, dass man Inhalte ins große Ganze einordnet. Und gerade darauf hin müssten die Lehrer auch ausgebildet werden, dass sie eben nicht nur ihr Fach sehen, sondern gerade in den Geisteswissenschaften, das ins große Ganze der geisteswissenschaftlichen Geschichte Europas einordnen können."
Die Kölner Studentin Hannah Birken hat eine Gegenpetition verfasst und fast 5000 Unterschriften für den Erhalt der Lateinpflicht eingesammelt. Das sind zwar deutlich weniger als die 9000 Lateingegner von Bochum, aber man habe auch von anderen Universitäten viel Zustimmung bekommen, sagt Birken. Volker Ladenthin ist Professor am Haus für Lehrerbildung in Bonn:
"Um die Geschichte unserer Kultur zu kennen, muss man Zeit verschwenden, um sie dann woanders zu gewinnen. Das ist ein Teil dessen, was unsere Identität ausmacht, und wenn wir diese Vergangenheit abschneiden, dann haben wir nicht mehr die Identität, die wir eigentlich wollen."