Archiv


Lauschangriff im Jugendradio

Zehn Jahre ist es her, da bekam WDR 1 ein gänzlich neues Gesicht. Im Zuge einer Programmreform, die den einzelnen Wellen des Kölner Senders ein spezifisches Publikum zuordnete, wollte sich sein erstes Radioprogramm fortan an den Hörgewohnheiten und dem Musikgeschmack der unter Dreißigjährigen orientieren. Aus WDR 1 wurde Eins Live, dessen Hörerschaft indessen weit bis in die Vierziger reicht. Auch Hörspiele und Feature sind bei diesem Teil der Bevölkerung beliebt. Lauschangriff nennt sich der entsprechende Sendeplatz täglich von 23 bis 24 Uhr, der neben Reportagen und Talks dienstags und donnerstags auch Hörspiele bietet. WDR-Dramaturgin Isabell Platthaus habe ich zum runden Geburtstag befragt.

Von Frank Olbert |
    Frank Olbert: Frau Platthaus, Eins Live wird zehn, kommt die Jugendwelle jetzt in die Pubertät?

    Isabell Platthaus: Mindestens. In gewisser Hinsicht befindet sich Eins Live ja permanent in der Pubertät. Das ist ja auch ein Konzept des Senders. Deshalb werden auch die Leute, die hier arbeiten, immer wieder erneuert, genauso, wie sich das Publikum in gewissem Grad erneuert. Natürlich hören die Leute nicht mit Strich Dreißig auf, "Eins Live" zu hören. Das tun sie nicht im Tagesprogramm und im "Lauschangriff" um so weniger.

    Frank Olbert: Gab es, als der "Lauschangriff" vor zehn Jahren eingeführt wurde, ein konkretes Konzeptpapier oder wurde da erst einmal experimentiert?

    Isabell Platthaus: Der "Lauschangriff" war eine der ersten Sendungen von "Eins Live", die wirklich stand. Verschiedene Redakteure haben sich zusammen überlegt, dass sie auf dieser Welle etwas machen wollen, das auch die großen Radioformate integriert und das damals erstellte Konzept hat sich auch nicht sehr geändert. Die Formate, wie sie jetzt sind, waren bis auf den Freitagtermin von Anfang an so: Montags gibt es die Reportage, dienstags Hörspiel, mittwochs die Talksendung und donnerstags der Krimi.

    Frank Olbert: War das selbstverständlich, dass man auf einer Jugendwelle eine so lange Sendung etabliert?

    Isabell Platthaus: Das war alles andere als selbstverständlich. Es gab viele, die gesagt haben: "Unmöglich, so lange hört da keiner zu, eine Stunde vollkommen entgegen den Hörgewohnheiten der Zielgruppe". Es war der damalige Intendant Fritz Pleitgen, der sehr dahinter stand.

    Frank Olbert: Wie sind die Hörerzahlen?

    Isabell Platthaus: Die neuesten Zahlen, die ich habe, gehen bis zu 150.000 Hörern, wobei der erfolgreichste Termin der Krimitermin ist.

    Frank Olbert: Musste man für dieses Format spezielle Autoren suchen?

    Isabell Platthaus: Das tun wir heute noch. Wir versuchen schon immer, Leute zu finden, die speziell etwas für unser Format schreiben. Zum einen sind es natürlich auch Leute, die schon länger im Hörspiel unterwegs sind, zum andern sprechen wir aber auch immer wieder neue, junge Leute an, die aus anderen Bereichen kommen, vom Theater, von der Popmusik, Performancekünstler. Das ist sicherlich das besondere Profil des Hörspiels auf "Eins Live", dass die Schnittstellen andere sind. Es bewegt sich in einem Kontext, der ein anderer ist als beim Kulturradio und deshalb müssen irgendwelche Schnittflächen zu irgendeiner Art Jugendkultur auch vorhanden sein.

    Frank Olbert: Sie nutzen ja auch interaktive Möglichkeiten ...

    Isabell Platthaus: Ja, da gibt es speziell den "Eins Live Decoder", ein interaktiver Krimi, an dem sich die Hörer per Telefon oder per e-mail beteiligen können. Das läuft auch sehr, sehr gut. Es gibt nach mittlerweile drei Jahren eine gute Stammhörerschaft. Das merken wir besonders, wenn wir nach draußen gehen und die Sendung Live auf der Bühne präsentieren.

    Frank Olbert: Stichwort Performancecharakter, was gibt es da sonst noch?

    Isabell Platthaus: Es gibt Pläne, gegebenenfalls kontinuierlicher etwa mit einem Theater zusammenzuarbeiten. Wir haben aber auch in der Vergangenheit schon Einiges gemacht. Zum Beispiel sind die verschiedenen Stücke von Ammer und Console, "ISDN" und "The Official Olympic Bootleg" zunächst live aufgeführt und danach noch einmal abgemischt worden, sodass das Hörspiel aus der Live-Aufzeichnung entstanden ist. Auch Paul Plamper hat sein Stück "Hüttenkäse" nachträglich noch einmal auf der Bühne inszeniert. Es ist einfach ein rasender Aufwand, wenn man wirklich etwas hinstellen will, dass überzeugend ist und nicht bloss ein öffentliches Abspielen mit Playbackcharakter.

    Frank Olbert: Was haben wir zum Zehnjährigen zu erwarten?

    Isabell Platthaus: Ein Mann der ersten Stunde, Walter Filz, macht ein Stück zum Zehnjährigen von "Eins Live", das das Ganze ein bisschen ins Absurde und in die Zukunft drehen und mit Sicherheit kein reiner Rückblick sein wird - was man ja von Walter Filz auch nicht erwarten kann und nicht erwarten will.

    Frank Olbert: Welche besonderen Stücke sind in nächster Zukunft geplant?

    Isabell Platthaus: Wovon ich mir sehr viel verspreche, ist ein Stück mit dem Titel "Scheitern für Fortgeschrittene". Inzwischen schon ein Klassiker auf "Eins Live" ist Jörg Buttgereit, der aus der Splatter- und Horrorfilm-Szene kommt. Er macht ein Stück mit dem Titel "Video Nasty", in dem es um die frühe Videokultur in den Siebziger Jahren.

    Frank Olbert: Das ist ja auch interessant, dass solche Leute dann für das Radio arbeiten. Werden sie konkret angesprochen?

    Isabell Platthaus: Ja, in dem Fall war das tatsächlich so. Das ergibt sich auch manchmal, wenn Leute im anderen Zusammenhang bei "Eins Live" auftauchen, zum Beispiel Musiker, die in der Talksendung zu Gast sind. Darüber kann man natürlich gut einen Kontakt herstellen.

    Frank Olbert: Und wenn jemand wie Buttgereit dann ein Mal etwas macht, ist dann ein Interesse am Radio geweckt?

    Isabell Platthaus: Ja. Das wird jetzt das fünfte Stück von Jörg und das ist auf seine Initiative hin entstanden.
    "10 plus" hat Walter Filz seinen Rückblick auf zehn Jahre Lauschangriff genannt. Er ist zu hören am 29. März um 23 Uhr auf Eins Live. Jörg Buttgereits neues Hörspiel "Video Nasty" sendet Eins Live am Donnerstag, den 14. April. Das Hörspiel "Scheitern für Fortgeschrittene" des Autorenduos Serotonin steht am Dienstag, den 19. April auf dem Programm, jeweils um 23 Uhr.