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Lausitzer Seenland

Rund 120 Kilometer südöstlich von Berlin entsteht das Lausitzer Seenland. Die einstigen Braunkohlegruben der Region wurden geflutet, entstanden sind mehr als 20 neue Gewässer. Die Region ist zweisprachig, geprägt durch zahlreiche Sorben, die hier ihre Heimat haben.

Von Thomas Gith |
    Die Altstadt von Hoyerswerda empfängt in sonniger Ruhe: In einem Straßencafé am Marktplatz sitzen einige Pärchen und Familien, gelegentlich fährt ein Auto über das Kopfsteinpflaster der umliegenden Gassen. Ansonsten Stille – durchbrochen nur von einem beständigen Plätschern.

    Wasser fließt unter freiem Himmel aus einer hohen Steinsäule, auf der stolz ein sorbisches Bauernpaar thront: Der Mann mit geöffneter Arbeitsjacke, Hut und lässig auf den Rücken gelegten Händen, die Frau mit vor der Brust verschränkten Armen, einfachem Kopftuch und ausstaffiertem Rock. Denkmal auch für eine typische Sorbentracht, sagt Kirsten-Ann Böhme.

    "Das ist ein Brunnen auf dem Marktplatz von Hoyerswerda und Hoyerswerda war ein Ackerbürgerstädtchen, wo also die Mehrzahl der Bevölkerung sorbisch stämmig war. Und das ist einfach die Erinnerung daran, also wo wir uns hier befinden und eine Erinnerung an dieses Ackerbürgerstädtchen, weil Hoyerswerda ja sonst auch anders bekannt geworden ist, mit den Plattenbaugebieten und anderen Ereignissen, die hier stattgefunden haben."

    Anfang der 90er-Jahre gab es in Hoyerswerda mehrere rassistische Angriffe auf Flüchtlingswohnheime, die das Bild der Stadt bis heute prägen. Doch es gibt auch die andere Seite, und die repräsentiert der Brunnen auf einmalige Weise: Wasser und Sorbentum - beides wird sich als bezeichnend für die Region um Hoyerswerda herausstellen.

    "(Begrüßung auf Sorbisch)…und auf Deutsch: Guten Tag, herzlich willkommen. Ich begrüße Sie ganz herzlich bei uns in Hoyerswerda. Ja, das war's erst mal dazu."

    Birgit Sarodnick, die im Trachtenladen von Kirsten-Ann Böhme arbeitet, lebt diese sorbische Tradition bis heute. Folklore sei das nicht, sagt sie, im Gegenteil: Denn schließlich spricht sie sorbisch, in ihrem Verein und mit Freunden etwa, hat außerdem durch ihre Eltern und Großeltern sorbische Wurzeln.

    "In Hoyerswerda sind wir die Obersorben. Das Besondere daran ist, dass wir in Hoyerswerda auch noch sorbisch sprechen, wir können auch die sorbische Tracht noch anziehen und wir pflegen noch das Brauchtum."

    Rund 60.000 Sorben leben heute verteilt im südlichen Brandenburg und nördlichen Sachsen. Etwa Zweidrittel von ihnen sind dabei in der Oberlausitz zu Hause, zu der auch die Region um Hoyerswerda gehört. Sie sind deutsche Staatsbürger – haben ihre Ursprünge aber im slawischen Volk der Sorben, das vor rund 1400 Jahren erstmals in diesem damals unbevölkerten Gebiet siedelte. Die Sorben begleitet eine wechselvolle Geschichte, die in den vergangenen knapp 100 Jahren vor allem durch den Braunkohletagebau in der Region beeinflusst wurde, sagt Alexander Harter.

    "Also zunächst einmal bedeutet natürlich der Abbau der Braunkohle halt quasi Verlust von sorbischem Siedlungsgebiet, ja. Das ist ein Prozess, der bis heute ja noch anhält, vor allem so im niedersorbischen Bereich, im Brandenburger Bereich. Hier im Obersorbischen halt ist das ja eher nicht mehr der Fall. Und man muss aber sagen, dass letztendlich ja mit dem Verlust von Wald, von Ackerland gewissermaßen die sorbische Kultur ja auch zunächst einmal beeinträchtigt wird."

    Alexander Harter selbst ist nicht sorbisch. Er stammt ursprünglich aus der Pfalz und zog als Landschaftsplaner 2006 in die Region. Heute betreut er das Naturschutzgroßprojekt "Lausitzer Seenland". Zahlreiche der ehemaligen Braunkohletagebaue werden dafür geflutet – und dort, wo noch vor dem Tagebau oft sorbische geprägte Dörfer standen, entstehen heute neuen Seen, Mischwälder und weitläufige Offenlandflächen. Einige Dörfer sind verschwunden, neue entstanden – die sorbische Kultur ist geblieben.

    "Also ich erlebe auf jeden Fall die sorbische Kultur anhand der Zweisprachigkeit. Also man fährt hier die Straße entlang und die Straßen und Hinweisschilder sind grundsätzlich zweisprachig. Es ist manchmal nicht unbedingt toll zu lesen, aber es hat schon etwas und auch so die eigene Straße, wo ich wohne, in Hermsdorf, Hermanecy, der Lindenring, der ist auch zweisprachig, da fahr ich jeden Tag dran vorbei und ein Stück weit bekommt man dann auch sorbische Kultur mit."

    Die sorbische Kultur und das neu entstehende Seenland sind auch das, was die Region für Besucher so reizvoll macht. Eines der Gewässer, das mitten in sorbischem Gebiet liegt, ist ein rund fünf Kilometer nördlich von Hoyerswerda gelegener, flacher See. Von einem hochgelegenen Holzpavillon blickt man über das Wasser, das am Ufer beginnende weitläufige Offenland und denn dahinter liegenden Wald.

    "Also wir stehen hier am ehemaligen Tagebaurand Spreetal. Hier blicken wir quasi auf den Bergener See, er ist benannt hier nach der Ortslage Bergen, ja. Früher hieß er hier Südostrandschlauch. Uns ist etwa seit 2005/6 ein Gewässer, was sich von selbst gefüllt hat, durch Grundwasserwiederaufgang. Wir haben hier ungefähr so eine durchschnittliche Wassertiefe von zwei Metern."

    In den vergangenen Jahren konnten Besucher bereits am Bergener See mit dem Rad entlangfahren, zurzeit aber ist die Strecke gesperrt – weil Sand am Ufer weggerutscht ist. Das Ziel allerdings ist klar: Der einstige Tagebau soll ein Naturreservat werden, Heimat für viele seltene Tiere und Pflanzen – und Erholungsgebiet für Besucher. Und das, obwohl sich hier noch vor wenigen Jahrzehnten eine öde Sandwüste ausbreitete.

    "Also bis 1983 ist zuletzt hier die Kohle abgebaut worden. In den 90er-Jahren wurde hier der Tagebau zwecks Rekultivierung und auch Sanierung auch noch entwässert. Und ab 2000 hat man hier quasi komplett die Entwässerung eingestellt. Und ab dem Zeitpunkt kann man sagen, ist dann das Grundwasser wieder angestiegen, ja."

    Die Natur hat das Gebiet mittlerweile zurückerobert – und der Mensch greift bis heute lenkend ein: Statt monotoner Kiefernwälder, die sich hier von selbst ausbreiten würden, wachsen Mischwälder heran. Und auf den weiten Offenlandflächen finden sich etwa behaarter Ginster, Besenheide, Silbergras und die blau blühende Kugelblume.

    Eine Pflanzenvielfalt, die sich mit der im Garten von Birgit Pattoka messen lässt: Frau Pattoka lebt in Bergen – dem Dorf, das dem See seinen Namen gab und das schon jetzt Besucher anzieht. Die kommen auch, um ihren in sorbisch-bäuerlicher Tradition geschmückten Garten zu bewundern.

    "Es sind viele alte Bauernstauden. Althergebrachterweise, die sollten nicht viel Arbeit machen, es sollte einfach den Garten verschönen. Und so haben wir das auch gemacht. Buchsbaumhecken gehören dazu, die vielen Hortensien, die ganzen Sonnenhüte oder überhaupt Heliotropen, alle gelben Blumen, die hier blühen, Schmetterlingsblumen könnte man sagen, man sieht ja auch viele Schmetterlinge jetzt zurzeit, das macht natürlich hier diesen Garten aus."

    Haus und Garten der Pattokas sind dabei heute noch Zeugnis der 400-jährigen Geschichte Bergens. Ursprünglich lebten hier ausschließlich Sorben, die auf den umliegenden Feldern als Bauern arbeiteten. Und von dieser Vergangenheit erzählt auch die alte Schrotholzscheune, die auf dem Anwesen der Pattokas steht. Es ist ein aus Holz gezimmertes Gebäude mit Reetdach, das früher als Speicher und Arbeitsplatz diente. Birgit Pattoka öffnet das Scheunentor und tritt hinein.

    "Jetzt befinden wir uns im Innenraum dieser 240 Jahre alten Scheune. Wir stehen jetzt auf der sogenannten Tenne, die beiden Seitenfächer sind die sogenannten Bansen, dort hinein ist das ganze Getreide befördert worden, während auf der Tenne die Arbeiten vor sich gingen. Hier stand der Dreschflegel und hier wurde wirklich weitestgehend nur geschuftet. Was wir jetzt im Bereich der Tenne sehen, sind Bänke, ein Tisch, und wenn ein sorbisches Sprichwort auch sagt, in der Scheune stehen keine Bänke, bedeutet das ja eigentlich nur, dass wirklich in der Scheune nur gearbeitet wurde, während heute hier eine Begegnungsstätte draus geworden ist."

    Und Begegnungen gibt es viele: mit am Sorbentum interessierten Besuchern oder aber mit den Kindern aus der zweisprachigen Kita in Bergen. Die sprechen Deutsch und lernen zusätzlich spielerisch sorbisch. Auch so soll die sorbische Kultur lebendig gehalten werden, die sich durch den Bergbau in der Region massiv verändert hat.

    "Also, wenn man sich mit der Geschichte des Ortes befasst hat, dann weiß man, dass die Überbaggerung hier in den 20er Jahren in der Lausitz losging. Es hat sich natürlich die Landschaft verändert, dort wo einst Teiche waren, sind jetzt die Seen. Natürlich auch an einigen Stellen, wo Dörfer standen. Aber es hat sich natürlich auch die ganze Kultur, die ganze Bevölkerungsstruktur verändert. Während man früher, ich sag mal vor 150 Jahren, noch von einhundert Prozent Sorben hier im Ort sprach, hat sich das durch die ganze Industrialisierung natürlich weitgehend verändert."

    In Folge der Braunkohleförderung zogen viele Bergbauarbeiter in die Lausitz, die sorbische Kultur geriet zunehmend in ein Nischendasein: Sorbisch galt als unmodern, als Sprache der ländlichen Bevölkerung. Vor allem in den 60er-Jahren verlor das sorbisch als Alltagssprache stark an Bedeutung. Heutzutage gibt es noch geschätzte 20 bis 30.000 aktive Sprecher. Und eine Gefahr ist, dass das Sorbische in die Folklore abrutscht - auch durch die Besucher, die die Region künftig anlocken wird.

    Denn schöne und für Touristen attraktive Orte entstehen bereits. So wie der Neuwieser See, an dessen Ufern sich Wald ausgebreitet hat und der künftig 17 Meter tief sein wird, erzählt Alexander Harter.

    "Also wir stehen hier an der Badestelle Neuwieser See. Und ich denke mal, dass man ab 2020 hier vermutlich baden kann. Bis dahin ist das Gewässer quasi um fünf Meter noch mal höher geflutet, angestaut. Dann haben wir also wirklich auch hier einen Strandbereich, eine Situation, wo man auch baden kann, auch von der Wasserqualität. Jetzt ist das eigentlich so stark sauer, dass man das nicht unbedingt anraten kann, hier länger zu baden. Und ich denke zurzeit ohnehin geht’s nicht, weil einfach auch die Flächen hier gesperrt sind, weil man nicht ausschließen kann, dass man hier noch von einer rutschungsbedingten Schwallwelle erfasst wird."

    Die Natur braucht also Jahrzehnte, bis aus aufgebaggerten Braunkohlegruben schöne Seen geworden sind – und der Mensch hilft kräftig nach, auch, was das Umland betrifft. Am südwestlichen Ufer des Neuwieser Sees ist bereits ein Radweg entstanden, der auch zum Inlineskaten einlädt und der weiterführt bis zum angrenzenden Partwitzer See. Und schon in weniger als zehn Jahren sollen möglichst alle Lausitzer Seen zur Nutzung freigegeben sein, sagt Alexander Harter.

    "Und insofern denk ich mal, 2020 wird schon ein Zeitpunkt sein, wo man hier einen Großteil der Landschaft, die meisten Seen dann auch befahren darf, ja, mit Booten, wo man auch die Innenkippenflächen mit Fahrrad oder zu Fuß dann befahren darf, vereinzelt, in Randbereichen, auch mit Quad, wenn sie denn geführt werden. Nicht vorgesehen ist, dass jetzt hier im größeren Stil auch Straßen gebaut werden und normaler Verkehr stattfindet."

    Das Lausitzer Seenland könnte so zum naturnahen Reisegebiet werden – für die sorbische Kultur in der Region muss das nicht schlecht sein, im Gegenteil. Eine Herausforderung sieht Birgit Sarodnick allerdings darin, die Kultur lebendig zu halten – und nicht in den Vorführungscharakter abzurutschen. Denn so ein Erlebnis gab es bereits: mit einer geführten Reisegruppe, die sich auf einen sorbischen Folkloreabend eingestellt hatte.

    "Wir haben uns auf die Bräuche im Jahresverlauf vorbereitet und im Nachhinein wurde uns bekannt, dass so ein Folkloreabend gebucht war. Die haben eine Tanzveranstaltung mit einer Kapelle erwartet, haben dann aber Einblick gekriegt in das sorbische Leben, was ihnen sehr gut gefallen hat. Aber da haben wir eben gemerkt, dass ohne unser Zutun das eigentlich schon fast in die andere Richtung gegangen ist. Weil es so vermarktet war."

    Die Besucher werden vermehrt ins Lausitzer Seenland kommen – und dann auch auf die sorbische Kultur treffen. In der Trachtenschneiderei von Katrin-Ann Böhme versucht man, dem öffentlichen Interesse schon jetzt zu begegnen: In einer kleinen Ausstellung sind Trachten präsentiert, die etwa zur Hochzeit getragen werden, in einer Vitrine sind bemalte Eier zu sehen, die es zum Osterfest gibt. Und der Verein zur Pflege der Regionalkultur, in dem Katrin-Ann Böhme Mitglied ist, fördert dieses Leben auch nach innen.

    "Wir haben hier also noch gelebte Tradition. Wir sind noch nicht in den Bereichen, wo es zur puren Folklore abgerutscht ist, das ist gut. Und der Verein, dem ich also auch im Vorstand angehöre, der engagiert sich also auch ganz, ganz stark dafür, dass also die Hintergründe der Bräuche erhalten bleiben und das die bewusst sind: Warum gibt’s die Bräuche, wann gibt’s die Bräuche, und natürlich auch, warum wird welche Tracht zu welchem Anlass getragen. Und das versuchen wir halt, im Gedächtnis zu halten."