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Corona-Pandemie
Lauterbach (SPD): Müssen im Herbst schnell reagieren können

Der kommende Pandemie-Herbst müsse gut vorbereitet werden, mahnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dlf. Es werde bereits an Impf- und Testkonzepten gearbeitet. Die Wiedereinführung geeigneter Schutzmaßnahmen werde geprüft und das Infektionsschutzgesetz dann entsprechend verändert.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Silvia Engels |
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, äußert sich bei einer Pressekonferenz.
Man werde das Infektionsschutzgesetz verlängern und vermtulich auch anpassen müsse, sagte Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, im Interview (picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)
Am 8. Juni hat der Corona-Expertenrat der Bundesregierung seine Einschätzung für den kommenden Herbst und Winter abgegeben: Die Expertinnen und Experten erwarten eine erneute erhebliche Belastung des Gesundheitssystems und der für Bevölkerung und Staat kritischen Infrastruktur. Es brauche daher eine Rechtsbasis für schnelle Reaktionen.
"Wir müssen jetzt Dinge vorbereiten", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Deutschlandfunk. Es brauche Konzepte für Impfungen und Tests, zudem müssten Daten aus den Krankenhäusern schneller verfügbar sein. An entsprechenden Verordnungen und Gesetzen werde im Bundesgesundheitsministerium bereits gearbeitet.
Was der Experten-Rat konkret empfiehlt:
  • Vorausschauende Vorbereitung mit kurzen Reaktionszeiten. Dazu brauche es eine solide rechtliche Grundlage für Infektionsschutzmaßnahmen.
  • Zentrale Koordination der Pandemiemaßnahmen zwischen Bund und Ländern und eine bundesweit möglichst einheitliche und schnelle Kommunikation aller bestehenden Regelungen und Empfehlungen.
  • Für Krankenhäuser und Pflegeheime schlägt der Rat ein regelmäßiges Screening auf Corona- und Grippeviren vor.
  • Test sollen bei stabiler Infektionslage auf symptomatische Fälle, begründete Verdachtsfälle sowie auf den Schutz von Risikogruppen begrenzt werden. Testinfrastuktur müsse schnell aktivierbar sein.
  • Falls eine neue und gefährlichere Virusvariante auftaucht, brauche es auch wieder Maskenpflichten und Abstandsgebote.
  • Kontaktbeschränkung werde man auch im Falle einer neuen und gefährlichen Variante eher nicht brauchen.

Lauterbach: Müssen Infektionsschutzgesetz verlängern

Auch das Infektionsschutzgesetz werde man verändern und insbesondere verlängern müssen. Das aktuelle Gesetz läuft Ende September aus. Lauterbach sagte, er folge gerne dem Wunsch der FPD, zunächst die Bewertung des bisherigen Gesetzes durch die Expertenkommission abzuwarten. Das Gutachten soll am 30.6.2022 vorliegen.
Im Infektionsschutzgesetz wird dann festgelegt werden, ob und unter welchen Bedingungen Maskenpflichten oder Zutrittsbeschränkungen wie 2G-Regeln wieder möglich sind. Man werde im Herbst ein gutes Infektionsschutzgesetz haben, sagte Lauterbach. Die Ampelkoalition habe dabei ein gemeinsames Ziel: "Mit möglichst wenig Freiheitseinschränkungen der Lage angepasst schnell reagieren zu können."
Einen an Omikron angepassten Impfstoff erwartet Lauterbach frühestens für September. Die Daten der Hersteller stimmten ihn zuversichtlich, dass man gute Vakzine haben werde. Neue Varianten könne man weiterhin nicht auszuschließen, diese könnten ansteckender und gefährlicher sein, darauf müsse man sich vorbereiten. Aktuell seien aber keine gefährlichen Mutationen in Sicht. Der Omikron-Subtyp BA.5 sei keine besonders gefährliche Variante.

Das Interview im Wortlaut:

Silvia Engels: Sie haben gestern das Expertenratsschreiben als Basis für den Corona-Herbstplan gewertet. Leiten Sie daraus jetzt auch schon spezielle Schutzpläne ab?
Karl Lauterbach: Na ja, wir müssen jetzt Dinge vorbereiten, die länger brauchen, zum Beispiel es müssen Impfstoffe beschafft werden, wir brauchen ein Impfkonzept, wir brauchen ein Testkonzept, also wer soll getestet werden, also wer hat Anspruch auf Tests, wir brauchen eine gute Vorbereitung, dass wir die Daten aus den Krankenhäusern viel früher bekommen als in der Vergangenheit, tagesaktuell. Das sind Dinge, die müssen jetzt vorbereitet werden und daran wird auch gearbeitet bereits im Bundesgesundheitsministerium, da werden entsprechende Verordnungen und auch Gesetze vorbereitet und das kann nicht warten

"Das Infektionsschutzgesetz muss auf jeden Fall wieder verändert werden"

Engels: Das sind die Vorbereitungen. Muss auch das Infektionsschutzgesetz wieder geändert werden, um möglicherweise Mittel in die Hand zu bekommen, wenn es schlimmer kommt, auch wieder Schutzmasken anzuordnen und Ähnliches?
Lauterbach: Das Infektionsschutzgesetz muss auf jeden Fall wieder verändert werden, muss auch vor allen Dingen verlängert werden, es läuft ja am 23.09. aus. Da ist es der Wunsch der FDP – und dem kann ich ohne Wenn und Aber folgen –, dass man da erst einmal das Gutachten abwartet der Kommission, die das Infektionsschutzgesetz rückwirkend bewertet. Also da haben wir ja eine Kommission, die zum 30.06. die Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit genutzt haben, noch einmal auswertet. Das soll zuerst auf dem Tisch liegen. Dann soll das auch noch berücksichtigt werden, und dann verändern wir auch noch das Infektionsschutzgesetz. Aber es gibt zahlreiche Vorbereitungen, die jetzt getroffen werden, die mit dem Infektionsschutzgesetz nichts zu tun haben, zum Beispiel die Impfkampagne, die Impfstoffbeschaffung, Testkonzept, Reiseverordnungen und so weiter, daran wird schon gearbeitet.
Engels: Wenn Sie gerade das Impfen ansprechen, kurz die Frage: Wann ist eigentlich der auf Omikron angepasste Impfstoff endlich auf dem Markt?
Lauterbach: Wir haben da jetzt Daten von Moderna gesehen, die vielversprechend sind, wir sind auch mit BioNTech in Kontakt. Ich gehe davon aus, dass wir diese Impfstoffe frühestens im September haben werden, weil an diesen also angepassten Impfstoffen auch gegen Omikron wird derzeit intensiv gearbeitet, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sehr gute, angepasste Impfstoffe haben werden.
Engels: Dann kommen wir jetzt wieder auf die politische Diskussion zurück. Grünen-Parteichef Nouripour hatte ja am Wochenende gesagt: Je früher wir auf den Herbst vorbereitet sind, desto besser ist es, denn Länder und Kommunen brauchen einen Vorlauf, Zitat Ende. Sie wollen nun der FDP entgegenkommen und noch bis Ende Juni warten, bis die nächste Expertise auf dem Markt ist. Ist das nicht zu spät?
Lauterbach: Es gilt ja nur für das Infektionsschutzgesetz, also die Frage beispielsweise, ob meinetwegen Maskentragen in den Innenräumen wieder erlaubt sein soll oder ob Zugangsbeschränkungen, 2G, 2G+, 3G, ob diese Dinge erlaubt sein sollen oder nicht. Also das müssen wir im Infektionsschutzgesetz regeln. Viele andere Dinge müssen vorher gemacht werden und werden auch vorher gemacht, wie zum Beispiel Testverordnungen, Impfen, die Frage, wie die Daten ausgewertet werden, und und und. Das muss bis dahin längst stehen, daran wird jetzt gearbeitet. Aber die FDP trägt vor, dass das Infektionsschutzgesetz, ich sage mal, ausgewertet werden soll, daran arbeitet die Kommission, die am 30.06. vorliegt, und dem kann ich auch folgen, wenn das der Wunsch des Koalitionspartners ist, dann sollte das genauso gemacht werden. So haben wir es auch vereinbart. Wir werden rechtzeitig mit dieser also Vorbereitung fertig sein.

"Mit möglichst wenigen Freiheitseinschränkungen der Lage angepasst schnell reagieren zu können"

Engels: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, können Sie sich schon sehr gut vorstellen oder wollen darauf drängen, dass im Infektionsschutzgesetz wieder mehr zur Maskenpflicht und auch mehr zu Abstandsregelungen steht, oder? 
Lauterbach: Es spielt keine Rolle, darüber jetzt zu spekulieren. Es ist ganz klar, dass wir ein gutes Infektionsschutzgesetz brauchen werden, dass wir es auch haben werden, und darüber also zu spekulieren, bevor wir es wirklich verhandelt haben, hilft nicht weiter. Ich glaube, dass wir alle hier das gleiche Ziel haben: mit möglichst wenigen Freiheitseinschränkungen der Lage angepasst schnell reagieren zu können. Das schulden wir auch den Bürgern, da sind wir in der Pflicht, und genauso wird es auch kommen.
Engels: Sie hatten ja im Frühjahr auch im Werben um die am Ende gescheiterte allgemeine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 mehrfach von neuen gefährlichen Varianten zum Herbst hin gewarnt. Wie ist denn hier mittlerweile der Stand? Gibt es Anzeichen, dass diese Varianten tatsächlich kommen?
Lauterbach: Das können wir nach wie vor nicht sagen, das ist auch im Expertenrat-Gutachten von gestern noch einmal aufgelistet worden in dem dritten Szenario, dem pessimistischen Szenario: Wir können nicht ausschließen, dass es zu Varianten kommt, die sowohl ansteckender als auch gefährlicher sind, was den Verlauf der Erkrankung angeht. Und weil dem so ist, müssen wir auch für solche Varianten vorbereitet sein. Ich hoffe nicht, dass sie kommen werden. Zum Glück haben wir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Anzeichen. Im Moment sieht es so aus, als wenn das mittlere Szenario das wahrscheinlichste wäre, weil wir eine Zunahme der sogenannte BA.5-Variante derzeit sehen. Andere Varianten sind aber nicht ausgeschlossen. Und wir haben ja hier eine lange Zeit vor uns. Es ist ja nicht nur die Situation, die wir im Oktober vor uns haben, sondern – das steht ja auch im Gutachten des Expertenrats – selbst wenn die mittlere Variante kommt, dann werden wir also viele Monate mit der Pandemie noch zu tun haben. Und dass sich in dieser Zeit gefährliche Varianten entwickeln können, kann niemand ausschließen. Wir hoffen es aber alle nicht.
Engels: Sie sprechen es an, das mittlere Szenario sieht dann ja vor: allgemeine Schutzmaßnahmen in Innenräumen. Können Sie es nicht doch etwas konkreter machen? Was soll das dann sein, wenn Sie den Experten folgen wollen?
Lauterbach: Ich würde es einfach aus Respekt auch vor den Verhandlungen, die noch vor uns liegen, nicht mit Spekulationen belasten wollen. Wir müssen hier gemeinsam verhandeln. Wir werden schnell zusammenkommen. Wir warten jetzt dieses zweite Gutachten noch ab, dann werden wir konstruktiv an die Arbeit gehen. Und ich würde mich freuen, wenn wir ohne großen Streit, relativ geräuschlos das vorbereiten könnten neben den Vorbereitungen, die jetzt schon anlaufen.

"Pauschale Freiheitseinschränkungen haben wir ja noch nie praktiziert"

Engels: Aber FDP-Chef Lindner, wir haben es ja gehört, hat sich offenbar schon ziemlich weit festgelegt. Er sagte ja gestern, Zitat: Freiheitseinschränkungen pauschal solle es nicht mehr geben. Ist damit nicht schon der Handlungsrahmen in der Koalition begrenzt, egal ob nun gefährliche Varianten kommen oder nicht?
Lauterbach: Das verstehe ich nicht so, denn pauschale Freiheitseinschränkungen haben wir ja noch nie praktiziert. Das wäre ja quasi der Lockdown. Den haben wir ganz am Anfang der Pandemie mal kurz gehabt, auch nicht so vollständig wie in anderen Ländern. Ich glaube, wir haben hier viele Spielräume, wir werden zu einer Lösung kommen, auch in der Zeit kommen. Und wir sollten nicht vorab darüber spekulieren.
Engels: Sie haben es eben schon angedeutet: Die Omikron-Subvariante BA.5, die vor allen Dingen in Portugal unterwegs ist, sorgt durchaus für Beobachtung hier. Aber das wird Ihrer Ansicht nach nicht die gefürchtete, gefährliche Variante sein?
Lauterbach: Nein, BA.5 wird keine gefährliche oder keine besonders gefährliche Variante. BA.5 ist ansteckender als BA.2 und BA.1 nach dem, was wir derzeit wissen, und auch solche Varianten sind natürlich gefährlich, weil sie würden dazu führen, wenn wir die Pandemie laufen ließen, dass wir täglich dreistellige Todesfälle beklagen müssten. Das ginge dann möglicherweise über eine lange Zeit. Und das will natürlich niemand. Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern. Somit ist auch eine solche Variante gefährlich genug, als dass wir Maßnahmen ergreifen müssen. Aber es gibt durchaus noch viel gefährlichere Varianten. Die sind aber zum jetzigen Zeitpunkt zum Glück nicht zu erkennen.

Lauterbach: Versorgen Schwerverletzte aus der Ukraine

Engels: Herr Lauterbach, kurz noch zu einem anderen Thema. Sie haben gestern angekündigt, heute zu einer Reise in die Ukraine aufbrechen zu wollen. Dort geht es im Treffen mit dem ukrainischen Gesundheitsminister vor allen Dingen um die Versorgung verletzter Menschen. Was können Sie da konkret tun?
Lauterbach: Na, wir sind mit der Ukraine im Gespräch schon seit Längerem. Zum einen versorgen wir in Deutschland Schwerstverletzte, die operiert werden müssen, die versorgt werden müssen, die werden ausgeflogen. Es gibt aber auch andere Bedarfe, die in der Ukraine versorgt werden müssen, zum einen diejenigen, die vor Ort behandelt werden müssen, die sehr schwere Verbrennungen haben, und da arbeiten wir an einem Konzept, wie wir helfen können, diese Menschen mit schwersten Verbrennungen zu versorgen. Darüber hinaus haben viele, auch Kinder, junge Menschen, aber auch Erwachsene haben Arme oder Beine oder beides verloren, brauchen Prothesen, und da arbeiten wir an einem Konzept, arbeiten wir an einer Lösung, wie wir die Ukraine besser mit Prothesen versorgen können. Das sind zwei konkrete Ziele. Es gibt noch einige andere. Auf jeden Fall ist das ein Arbeitsbesuch, wo wir versuchen zu helfen, die Gesundheitsversorgung in der Ukraine zu verbessern.
Engels: Ein Arbeitsbesuch, sagen Sie. Nun steht das Ganze ja speziell aus deutscher Sicht immer auch unter der Beobachtung, dass jetzt wieder ein Mitglied des Kabinetts reist, aber der Bundeskanzler eben nicht. Dieser Besuch von Scholz war ja lange umstritten nach der Auslandung des Bundespräsidenten. Wie sehen Sie da die Symbolkraft, wenn Sie jetzt fahren?
Lauterbach: Also ich halte mich mit Symbolkraft nicht auf. Ich sehe es genauso wie Olaf Scholz, der ja gesagt hat, wenn er reisen würde, muss er etwas Konkretes anbieten können, und das ist aus meiner Sicht die richtige Einstellung, die er dort hat, und das ist auch die Einstellung, die also mich leitet. Ich habe hier was Konkretes mitzuteilen und zu verhandeln und anzubieten und bin ja auch um die Reise durch den dortigen Gesundheitsminister gebeten worden, ich reise auf Einladung. Von daher ist das eine wichtige Reise. Und ich glaube, dass Olaf Scholz auch alles Wichtige zu diesem Thema schon gesagt hat und in der Linie auch vollkommen richtig liegt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.