Kommentar zu Corona
Fehlende Aufarbeitung muss endlich beginnen

Nach zwei Jahren Pandemie wollte das Robert-Koch-Institut das Corona-Risiko im Frühjahr 2022 herabstufen – doch Gesundheitsminister Karl Lauterbach verhinderte das wohl monatelang. Die Corona-Pandemie muss nun endlich aufgearbeitet werden.

Von Volker Finthammer |
Bei einer Pressekonferenz im Jahr 2022 stehen der damalige Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar H. Wieler zusammen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zusammen und unterhalten sich. Beide tragen FFP2-Masken.
Nur wenn jetzt die Corona-Pandemie aufgearbeitet wird, kann man die damaligen Entscheidungen bewerten und aus Fehlern lernen. (imago / NurPhoto / Christian Marquardt)
Die neuerlichen Berichte über die Weisung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an das Robert-Koch-Institut (RKI), und der Streit über die Corona Risikostufe im Frühjahr 2022 zeigen einmal mehr: Es fehlt an einer angemessenen und schonungslosen Aufarbeitung der Corona Pandemie. Bislang haben sich alle maßgeblichen Parteien und Politiker, die in diesen Jahren Verantwortung getragen haben, vor dieser Aufarbeitung gedrückt.
Jetzt werden immer wieder einzelne Ausschnitte bekannt, die mögliche Verfehlungen markieren. Da haben die umfangreichen, vom RKI veröffentlichten internen Protokolle, mit denen auch dieser Ausschnitt, über den wohl politisch motivierten Eingriff von Gesundheitsminister Karl Lauterbach bekannt wurde, schon einen wichtigen Beitrag geleistet. Für Lauterbachs Entscheidung mag es wohl auch politische Abwägungsgründe gegeben haben, die aber an keiner Stelle wirklich ausreichend vermittelt wurden.

"Wir werden einander noch viel verzeihen müssen"

So aber bleibt einmal mehr der Eindruck, einer selbstherrlichen Entscheidung des Gesundheitsministers, der sich damit über den Rat der RKI-Experten und deren fachliche Kompetenz hinweggesetzt hat. Wir werden einander noch viel verzeihen müssen, hatte der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon während der Pandemie erklärt, der selbst mit den vielfach unkontrollierten Maskengeschäften einen erheblichen finanziellen Schaden hinterlassen hat. So vorausschauend Spahns Hinweis seinerzeit gewesen sein mag. Verzeihen kann man nur, wenn man weiß, wie Entscheidungen wirklich Zustande gekommen sind.
Selbst wenn die Beurteilung im Nachhinein deutlich härter ausfallen muss, kann es in der jeweiligen Situation konkrete und nachvollziehbare Gründe gegeben haben, mit der sich die Entscheidung rechtfertigen ließ. Das ist kein politisches Versagen, sondern jeweils eine Abwägung, bei der man nur im Nachhinein bewerten kann, ob man damit falsch oder richtig gelegen hat.
Karl Lauterbach gehörte damals zum Team Vorsicht und war sicherlich niemand, der zu schnellen Lockerungen bereit war, zumal die heftig umstrittene Debatte über eine Impfpflicht damals noch im Zentrum der politischen Auseinandersetzung stand. Auch das dürfte ein Motiv für Lauterbachs Entscheidung gewesen sein.

Nicht einzelne Entscheidungen aufgreifen

In jedem Fall ist es nicht hinreichend, wenn man jetzt einzelne Entscheidungen aufgreift und die in einem engen Korsett - wie etwa einem konkreten Mailverkehr - bewertet, ohne sie in den größeren gesellschaftlichen und politischen Kontext dieser Zeit zu stellen. Das verengt den Blick und wird der Sache kaum gerecht. Zumal es parallel zu Lauterbachs Vorgaben eine weitreichende Öffnungsdebatte in Deutschland gab.
Umso mehr käme es darauf an, die Corona Zeit und alle darin getroffenen Entscheidungen wirklich gründlich aufzuarbeiten, um die Jahre in ihrem konkreten gesellschaftlichen und politischen Kontext zu bewerten und daraus wirklich angemessene Schlussfolgerungen zu ziehen.