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Corona-Impfpflicht gescheitert
Lauterbach rechnet mit Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes im Herbst

Ohne Impfpflicht werde man im Herbst wieder strengere Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus brauchen, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dlf. Im Herbst sei wieder mit einer deutschlandweiten Überlastung des Gesundheitssystems zu rechnen, darauf müsse man frühzeitig reagieren.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) (picture alliance/dpa/ Bernd von Jutrczenka)
Im Bundestag sind am 7. April 2022 sämtliche Vorschläge zu einer Impfpflicht gegen das Coronavirus durchgefallen. Ein Gesetzentwurf für eine Impfpflicht ab 60 Jahren, der von vielen Mitgliedern der Ampel-Koalition unterstützt wurde, fand ebenso wenig eine Mehrheit wie ein Antrag der Union, der auf die Vorbereitung einer möglichen späteren Corona-Impfpflicht abzielte.
Nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wären durch eine Impfpflicht auch im Herbst vergleichsweise lockere Maßnahmen möglich geworden. "Da sehe ich jetzt schon die Notwendigkeit, dass wir dann den Instrumentenkasten im Herbst wieder ausdehnen", sagte Lauterbach im Deutschlandfunk. Das aktuell gültige Infektionsschutzgesetz laufe zum einen am 23. September 2022 aus, sehe derzeit aber ohnehin zu wenige Maßnahmen vor. Im Herbst drohe durch das Coronavirus und die noch bestehende Impflücke wieder eine Überlastung des Gesundheitssystems. Und dann sei auch wieder eine Begründung etwa für eine allgemeine Maskenpflicht gegeben.

Impfkampagne intensivieren

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich nach dem Scheitern einer allgemeinen Corona-Impfpflicht gegen einen erneuten Anlauf ausgesprochen. Auch Lauterbach schätzt die Chancen für einen zweiten Anlauf als gering ein. Der Fokus müsse stattdessen darauf liegen, die Impfkampange noch einmal neu aufzustellen. Es gebe weiterhin eine Gruppe von Menschen, die sich zwar bisher nicht haben impfen lassen, die dazu aber im Prinzip bereit seien. Das betreffe insbesondere auch Menschen mit Migrationshintergrund. "Die müssen erreicht werden. Da dürfen wir nicht aufgeben", sagte Lauterbach. Dazu brauche es mehr Kreativität in der Ansprache.
Lauterbach entschuldigte sich im Interview für die Verwirrung um die Isolation von Infizierten. Er hatte bekannt gegeben, dass Infizierte sich ab dem 1. Mai nur noch freiwillig in Isolation begeben sollten – diese Entscheidung hatte er am Tag darauf aber wieder zurückgenommen. Die Isolation nach Infektion solle doch weiter durch die Gesundheitsämter angeordnet und kontrolliert werden. Er habe die Gesundheitsämter entlasten wollen, erklärte Lauterbach im Dlf, denn diese könnten die Isolation ohnehin nicht wirksam kontrollieren. "Ich bin zuerst diesen Wünschen nachgegangen, habe dann gesehen, das gibt das völlig falsche Signal", so der Gesundheitsminister.

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Das Interview im Wortlaut:
Jürgen Zurheide: Herr Lauterbach, was wiegt heute Morgen für Sie schwerer mit ein paar Stunden Schlaf wahrscheinlich, wenn Sie die denn gehabt haben? Ist es die persönliche Niederlage oder die inhaltliche Niederlage? Jetzt sterben mehr Menschen, als Sie das eigentlich gehofft hatten.
Karl Lauterbach: Es geht natürlich um die Niederlage, die wir hingenommen haben, für die Bevölkerung. Es kann nicht um mich hier gehen. Ich habe mich natürlich sehr stark geärgert, das ist gar keine Frage, aber wichtig ist mir, was passiert im Herbst, und da hätte ich mir gewünscht und das hätten wir auch gebraucht, eine bessere Vorbereitung als wir jetzt erwarten können. Wir müssen hier klar festlegen. Für die Bevölkerung ist das schwierig, was jetzt kommt, oder kann schwierig sein, und das geht mir nahe.
Zurheide: Darüber werden wir gleich reden, was man tun kann. Aber ich muss Ihnen heute Morgen natürlich die Frage stellen: Sie haben mal geschworen, der Amtseid lautet so ungefähr, frei gesprochen, Sie wollen Schaden abhalten vom deutschen Volk. Das ist nicht gelungen. Treten Sie zurück?
Lauterbach: Nein, natürlich nicht. Und außerdem: das mache ich ja. Ich versuche, wirklich in jeder Situation das Beste herauszuholen, und das werde ich auch weiter tun. Ich glaube, die Bevölkerung versteht ja, dass es nicht allein meine Schuld gewesen ist, dass es nicht funktioniert hat. Wir können noch darüber reden, wenn das jetzt ein Regierungsantrag gewesen wäre, für den ich verantwortlich gewesen wäre. Das war es ja nicht. Es war ein Gruppenantrag oder es waren Gruppenanträge und somit will ich da meine eigene Rolle nicht kleiner machen, aber es war ja nicht das Verfahren, was ich selbst durchgezogen hätte.

"Verfahren über den Bundestag bei Ethikfragen üblich"

Zurheide: Na gut. Darüber kann man streiten. Sie haben das getan, weil Sie keine Mehrheit in der Koalition haben. Über die Koalition will ich gleich noch mal reden. Ich will jetzt erst mal fragen: Was passiert inhaltlich? Bleiben wir bei der vielleicht viel wichtigeren Frage. Der Kanzler hat gesagt, es gibt keinen neuen Anlauf, und das, obwohl viele heute Morgen sagen, eigentlich brauchten wir das, wenn ich Herrn Holetschek, den CSU-Gesundheitsminister höre. Sie haben ja auch zunächst solche Überlegungen gehabt. Ist das jetzt vom Tisch, Impfpflicht in Deutschland?
Lauterbach: Bleiben wir erst mal dabei, ob das Verfahren, das über den Bundestag zu machen, richtig war oder nicht. Im Nachhinein kann man darüber spekulieren, aber es war eine klare Entscheidung. Das ist bei solchen Ethikfragen eigentlich das übliche Verfahren. Das Verfahren nachträglich zu kritisieren, das bringt wenig.
Nach vorne blickend, man darf sich Gesprächen nie verwehren. Das ist richtig. Und die Union hat ja gesagt, es sollen Gespräche geführt werden. Ich habe gestern aber in meiner Rede schon gesagt, die haben wir ja über Monate hinweg geführt, und gestern war der Tag, wo die Union sich hätte bewegen müssen, aus meiner Sicht, aus staatstragenden Gründen. Dafür hätten wir uns auch alle bedankt, das wäre würdig gewesen, wenn wir so zu einer Mehrheit gekommen wären.
Ich teile die Einschätzung von Olaf Scholz, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir über Gespräche jetzt noch irgendetwas erreichen werden, sehr gering ist. Ich glaube eher – aber wie gesagt, man soll sich Gesprächen nie verwehren –, dass es so ist, wie ich auch gestern in der Rede gesagt habe, dass die Union die Verantwortung nicht übernehmen will zu sagen, wir blockieren hier die allgemeine Impfpflicht, aber nicht ernsthaft daran interessiert ist, das umzusetzen. Daher bin ich sehr skeptisch, dass wir da etwas erreichen können. Das sehe ich genauso wie Olaf Scholz.
Zurheide: Olaf Scholz hat klar gesagt, das ist jetzt vorbei. Der Bundestag hat keine Mehrheit gehabt und er wird sich da nicht noch mal reinbegeben. So habe ich ihn klar und eindeutig verstanden.
Lauterbach: Das wird sich jetzt zeigen. Olaf Scholz ist auf jeden Fall der Meinung, dass Gespräche jetzt nichts bringen, und diese Einschätzung ist wahrscheinlich richtig, wenn man den Verlauf von gestern sich anschaut und wenn man die Gespräche sich vor Augen führt, die wir in den letzten Monaten geführt haben beziehungsweise auch zum Teil nicht führen konnten.

"Den Instrumentenkasten im Herbst wieder ausdehnen"

Zurheide: Aber wie wollen Sie jetzt die Menschen schützen? Offensichtlich alle Appelle, die Menschen eher zum Impfen zu bewegen, scheitern daran, dass es eine harte Gruppe gibt, eine kleine zwar, aber die gibt es in allen Altersgruppen, selbst über 60, die das nicht wollen. Was wollen Sie tun?
Lauterbach: Hier sind die Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Zum einen: Wir müssen noch einmal uns mit einer wirklich wirksamen Impfkampagne gezielt an die richten, die zwar bisher sich nicht haben impfen lassen, aber im Prinzip bereit sind. Wir wissen aus der Kosmos-Studie, dass das eine Gruppe ist, die es gibt, insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund. Die müssen erreicht werden. Da dürfen wir nicht aufgeben. Da müssen wir übrigens auch kreativer werben und da bereiten wir gerade etwas vor. Die Werbekampagnen, die wir bisher gehabt haben, waren nicht so erfolgreich, wie ich mir das gewünscht hätte. Die haben wir ja zum Teil auch entsprechend schon zurückgenommen oder verändert. Da muss noch einmal etwas gemacht werden.
Zum zweiten: Wir müssen tatsächlich dann auch – das wird nicht anders gehen –, wenn wir im Herbst die Probleme bekommen, frühzeitig reagieren können, und da wird das Infektionsschutzgesetz, was ja am 23.9. ausläuft und wenige Instrumente noch hat, zum Beispiel sogar die allgemeine Maskenpflicht nicht mehr vorsieht, nicht reichen. Da muss man realistisch sein. Da sehe ich jetzt schon die Notwendigkeit, dass wir dann den Instrumentenkasten im Herbst wieder ausdehnen.
Wir haben jetzt die Lockerungen gemacht, die man machen kann, aber da sind wir am Ende der Fahnenstange angekommen. Es muss jetzt zu einem Ende kommen bei den Lockerungen. Es kann übrigens auch nicht sein, dass diejenigen im Bundestag, die die Impfpflicht, die Möglichkeiten für weitere Lockerungen gegeben hätte, ablehnen, auf der anderen Seite weitere Lockerungen verlangen. Das macht keinen Sinn. Hätten wir die Impfpflicht hinbekommen, wäre der Spielraum für Lockerungen im Herbst viel größer geworden. Jetzt sehe ich das so, dass im Herbst wahrscheinlich das Infektionsschutzgesetz noch einmal frühzeitig angepasst werden muss.

"Bedrohung des Gesundheitssystems wird es im Herbst geben"

Zurheide: Aber, Herr Lauterbach, das ist ja genau der Punkt. Sie sagen jetzt frühzeitig. Dann ist Herbst zu spät. Da sagen diejenigen, die im Moment kritisch darauf sehen, dann muss das eher passieren. Oder haben Sie nicht gelernt aus den Fehlern der Vergangenheit?
Lauterbach: Wir haben, was das Infektionsschutzgesetz angeht, keine Fehler gemacht, sondern da ist ja die rechtliche Prüfung des Bundesjustizministers, der das verantworten muss und die Kompetenz und auch die Zuständigkeit dafür hat, die, dass wir derzeit ein schärferes Infektionsschutzgesetz nicht haben können, weil im Moment nicht die Bedrohung der Überlastung des Gesundheitssystems da ist. Wenn der Justizminister das sagt, dann ist das verbindlich, und da habe ich keinen Grund, daran zu zweifeln. Das ist der Grund gewesen, weshalb zum Beispiel die Maskenpflicht deutschlandweit gefallen ist.
Aber diese Bedrohung wird es natürlich im Herbst geben. Das ist ganz klar, weil im Herbst haben wir die Impflücke noch, die wir noch nicht komplett schließen können. Dann kommt möglicherweise wieder die Omikron-Variante, vielleicht sogar etwas Schlimmeres, aber wenn die Omikron-Variante käme, dann hätten wir wieder die Situation von jetzt – mit einem Unterschied: Jetzt steht der Sommer vor uns und dann der Herbst und der Winter. Dann ginge das ja nicht zurück, sondern immer weiter nach vorne. Von daher brauchen wir dann ein neues Infektionsschutzgesetz. Da bin ich relativ sicher und da müssen wir früh herangehen. Denn wenn man das zum 23.9. sich anschauen muss, wenn das im Herbst wirken soll, muss man früh darüber nachdenken, wie kann das aussehen.

Isolation für Infizierte nicht nur freiwillig

Zurheide: Dann gibt es noch eine zweite Geschichte in dieser Woche. Die müssen Sie auf Ihre Kappe nehmen. Die Nummer mit der Quarantäne. Dass das nicht glücklich war, haben Sie wahrscheinlich selbst inzwischen gemerkt. Was gilt denn da jetzt nun? Quarantäne für diejenigen, die infiziert sind, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder?
Lauterbach: Ja! Es gilt ja auch weiter. Die neue Regelung wäre zum 1. Mai gekommen. Da hatte ich einen Vorschlag gemacht und diesen Vorschlag habe ich sehr schnell – das mache ich typischerweise nicht – wieder zurückgenommen, weil der Vorschlag, der von der Sachebene vorbereitet gewesen ist, wäre nicht gut gewesen. Der hätte bedeutet, dass diejenigen, die infiziert sind, selbst entscheiden hätten müssen, ob sie sich isolieren oder nicht. Wir hätten eine dringende Empfehlung gegeben, aber es gäbe keine Anordnung vom Gesundheitsamt mehr. Das habe ich sofort zurückgenommen.
Zurheide: Aber wie kann so was passieren, Herr Lauterbach? Sie wissen doch, worum es da geht. Ist das ein Fehler aus Ihrer Sicht?
Lauterbach: Ja! Habe ich doch gesagt. Ich habe das Wort gesagt. – Erstens finde ich es richtig, dass ein Minister, wenn er einen Fehler macht, das erstens auf seine eigene Kappe nimmt und zum zweiten auch schnell abräumt, und ich habe beides versucht zu tun. Ich bekomme dafür übrigens von der Bevölkerung viel Zustimmung.
Aber lassen Sie mich folgendes sagen: Das war hier dem Wunsch folgend, das habe ich ja nicht willkürlich gemacht. Die Gesundheitsämter argumentieren, wir können diese Isolation nicht mehr richtig aussprechen und wir können sie auch nicht nachverfolgen, wir binden damit aber viele Mitarbeiter, die wir für dringendere Sachen brauchen. Das war der Wunsch und das ist ja auch nicht unvernünftig. Das hatten einige Gesundheitsämter und auch einige Länder gesagt und diese Länder kämpfen jetzt noch dafür, dass die Isolation fällt. Das habe ich aber nicht für richtig gefunden.
Ich bin zuerst diesen Wünschen nachgegangen, habe dann gesehen, das gibt das völlig falsche Signal. Das gibt das Signal, wir wären noch weiter unterwegs, Lockerungen zu machen. Das ist falsch! Das Ende der Fahnenstange der Lockerungen ist jetzt erreicht und wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, die Krankheit nicht zu verharmlosen. Omikron ist auch gefährlich, trotz der hohen Impfquote oder der guten Impfquote, nicht perfekt, aber immerhin sterben jeden Tag 200 bis 300 Menschen an Omikron.

"Das Koalitionsklima ist gut"

Zurheide: Was heißt das jetzt für die Koalition? Wie sauer sind Sie auf die FDP, denn der haben Sie das am Ende zu verdanken, dass es hier jetzt nicht zu einer Einigung innerhalb der Koalition gekommen ist, die eine breite Mehrheit hat. Was heißt das für das Koalitionsklima, was da jetzt passiert ist?
Lauterbach: Das Koalitionsklima ist gut. In der Koalition ist zunächst einmal die Corona-Pandemie nicht das einzige Thema. Wir haben im Moment beispielsweise das sehr, sehr wichtige Krisenmanagement im Ukraine-Krieg im Vordergrund, auch viele andere Themen. Die Energiewende muss kommen. Im Großen und Ganzen, glaube ich, macht die Koalition eine gute Arbeit. Das wird ja auch von der Bevölkerung honoriert. Hier ist es so: Schuldzuweisungen bringen hier überhaupt nichts. Ich habe gestern von Schuldzuweisungen Abstand genommen. Das sollte innerhalb der Koalition erst recht gelten. Wir müssen das Manöver noch gut auswerten.
Das war gestern, was die Corona-Politik angeht, für die Bevölkerung ein schwarzer Tag, aber nach einem schwarzen Tag dringt Licht durch einen Spalt hinein. Wir werden jetzt an den Maßnahmen weiter arbeiten. Wir werden noch mal auf die Bevölkerung zugehen mit einer besseren Impfkampagne, gezielteren Impfkampagne, und wir werden im Herbst trotz dieser Problematik gut aufgestellt werden. Und vielleicht bewegt sich ja doch noch etwas bei der Impfpflicht.
Zurheide: Auf der anderen Seite: Sie müssen heute feststellen – wir haben nicht mehr viel Zeit –, mit der FDP kommen Sie da nicht übereinander. Das ist ein Fakt heute.
Lauterbach: Dass in der FDP Widerstände gegen die Impfpflicht bestehen, ist kein Geheimnis. Es ist aber auch so, dass zum Beispiel ein Antrag mit dem Arzt Andrew Ullmann von der FDP gemeinsam entwickelt wurde. Somit: Es muss immer nach vorne geblickt werden. Das ist jetzt keine Koalitionskrise, sondern in dem Punkt haben wir erstens eine andere Meinung mit vielen Abgeordneten der FDP, und wie gesagt, es war ein Verfahren des Bundestages und nicht der Bundesregierung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.