Es war der übliche Lauterbach: Ein weites aus dem Fenster lehnen auf Basis einer so nicht vorhandenen Studienlage. Bei Twitter ein häufigeres Ereignis, jetzt eben in einem Zeitungsinterview. Daran haben sich Journalismus und Wissenschaft ja fast schon gewöhnt, dass der Bundesgesundheitsminister Evidenz recht großzügig interpretiert.
Doch inzwischen läuft es anders, das Thema versandete nicht bei Twitter, sondern es wurde offiziell aufgegriffen, es gab reichlich Gegendarstellungen, zum Beispiel in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung, von Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin, die alles andere als im Ruf steht, Corona zu verharmlosen.
Fehler im Ministerium?
Karl Lauterbrach schürt also auch Ängste, wenn er sagt: Studien zeigten, dass Menschen nach mehreren Corona-Infektionen häufig mit nicht mehr zu heilender Immunschwäche zu tun hätten. Das zeigen sie so nämlich nicht. Auch wenn er inzwischen nachgereicht hat, dass die Interview-Äußerung so nicht freigegeben werden sollte. Da sei ein Fehler im Ministerium passiert.
Wie oft werden andere, Minister, Politiker, Experten, für alarmistische oder gar falsche Äußerungen auf die öffentliche Anklagebank gesetzt? Und wie selten passierte es bei Lauterbach? Wer hierauf Antworten sucht, kommt schnell bei einem grundlegenden Problem in der Pandemie an: Wissenschaft und wie sie im Zusammenspiel mit uns Medien kommuniziert.
Panikmache in der Pandemie
Im Pressekodex als ethischem Standardwerk steht zum Thema Medizinberichterstattung: unangemessen sensationelle Darstellungen sind zu vermeiden. Egal, ob es um Panikmache oder ums Hoffnungen wecken geht. Jede Redaktion kann sich fragen, wie gut das in der Pandemie gelungen ist. Und jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler, die hier kommuniziert haben, kann sich fragen, ob sie oder er hier gut zugeliefert haben. Denn es ist ja so, wie es dänische Politikwissenschaftler sagen, die zur Pandemiekommunikation forschen: Ehrlich währt am längsten.
Wer Unsicherheiten benennt, auch sagt, wo etwas noch nicht klar ist, was belegt und was nicht belegt ist, der erarbeitet sich auch Vertrauen. Eine der wichtigsten Aufgaben ja – eigentlich – auch für einen Gesundheitsminister, wenn er die Menschen hinter sich haben will.
Es ist doch so: Dank Corona bekommen wir gerade so viel neues Wissen über Viruserkrankungen, dass sich manche die Augen reiben. Und ja, vielleicht führt das dazu, dass am Ende klar wird Corona, aber auch eine Grippe oder Pfeiffersches Drüsenfieber, das kann langfristige Folgen habe, die wir bisher nicht kannten. So dass wir auch unseren Umgang mit dem krank sein überdenken. Dass es vielleicht gut wäre, auch Grippe & Co nicht einfach laufen zu lassen. Und dass wir – gerade in unserer hektischen Gesellschaft – zum Beispiel wirklich zuhause bleiben, wenn wir krank sind. Auskurieren als Pflicht, statt als Last für Arbeitgeber.
Nur dazu trägt ein Unsicherheit und Unklarheit schürender Gesundheitsminister nicht bei, im Gegenteil. Er spielt damit nur all jenen in die Hände, die das Thema Corona für Polarisierung und mehr ausnutzen. Und Helfer sind alle, die ihn weiter solche Einordnungen abwerfen lassen.
Kathrin Kühn, geboren Ende der 1970er in Paderborn, aufgewachsen in Dortmund an nicht-akademischem Küchentisch. Studium Journalistik und Volkswirtschaftslehre, mit Auslandszeit in Katowice/Polen. Volontariat im nordrhein-westfälischen Lokalfunk. Promotion in Kulturwissenschaften, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Dortmunder Erich-Brost-Institut, parallel freiberufliche Nachrichtenmoderatorin im WDR. Später crossmediale Redakteurin und Volontärsausbilderin im WDR-Newsroom. 2021 dann Rückkehr in die Wissenschaft – zum Deutschlandfunk.