Die Gesundheitsminister fordern Corona-Tests für Reiserückkehrer. Wer aus sogenannten Risikogebieten im Ausland einreist, soll künftig unmittelbar nach der Rückkehr auf das Coronavirus getestet werden. Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält diese Tests für dringend notwendig. Lauterbach forderte zudem Vorkehrungen für eine mögliche zweite Infektionswelle im Herbst.
Jürgen Zurheide: Wenn die Gesundheitsminister sich heute, mitten in den Ferien mit der Frage beschäftigen, was mit jenen passiert, die zurückkommen, was fällt Ihnen ein, wenn ich Sie das frage?
Karl Lauterbach: Ja, das ist eine sehr wichtige Frage, dass man sich vielleicht sogar noch früher damit hätte beschäftigen können. Aber auf jeden Fall trifft man sich wahrscheinlich nicht zu früh für diese wichtige Frage.
Test für Reiserückkehrer dringend notwendig
Zurheide: Jetzt hat man heute gesagt, Tests im Prinzip ja, Entscheidung doch nicht, möglicherweise am Freitag. Wann und wo helfen denn dann Tests? Sie würden sie für notwendig erachten?
Lauterbach: Ja, ich würde Tests für Reiserückkehrer für dringend notwendig halten. Ich glaube, wir sind sonst im Blindflug unterwegs. Von dem, was wir bisher gesehen haben im Ausland, wissen wir, dass viele, gerade jüngere Reisende die Sicherheitsabstände nicht immer einhalten konnten, auch nicht immer Masken getragen haben, und es gibt hier sehr viele Bilder, die, ich sage mal, besorgniserregend sind. Man kann sich auch auf der Rückreise dann infizieren. Somit: Wir gingen schon ein nicht unerhebliches Risiko ein, wenn wir ungetestet Urlauber wieder ins Land ließen. Ich glaube, das können wir uns derzeit nicht leisten, denn wenn uns tatsächlich, wie ähnlich in Ischgl, einige Superspreader ins Land kämen und wir hätten dann wieder Herde, dann würde das die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle im Herbst doch deutlich erhöhen.
Zurheide: Nun ist aber doch die Grundfrage: Es heißt ja nun, in Europa brauchen wir das nicht, sondern nur in Ländern, wo Risiken sind. Aber gerade was Sie schildern, die Bilder von Mallorca oder anderswo werten und wägen, ist die Unterscheidung dann überhaupt sinnvoll?
Lauterbach: Aus meiner Sicht ist die Unterscheidung nicht sinnvoll. Ich würde wirklich jeden Fernurlauber prüfen. Urlaub in Deutschland können wir ja vor Ort kontrollieren. Dafür haben wir ja unsere eigenen Möglichkeiten. Aber das Urlaubsgeschehen im Ausland zu kontrollieren, das entzieht sich unseren Möglichkeiten, und daher wäre ich vorsichtig, hier zu trennen zwischen einem Risikogebiet und einem Nichtrisikogebiet. Wir haben Bilder aus Spanien gesehen, aber auch aus Österreich und aus den Niederlanden beispielsweise, die allesamt eher bestürzend gewesen sind, und von daher würde ich nicht in Risikoländer und Nichtrisikoländer unterteilen, sondern alle testen, die zurückkommen.
Der Logistik wegen Soforttests an Flughäfen anbieten
Zurheide: Dann reicht es ja auch übrigens nicht, das am Flughafen zu machen. Das sind ja dann auch wieder nur bestimmte Leute. Die, die mit dem Auto fahren, muss man dann ja auch kriegen, oder? – Das heißt, Sie würden jeden testen?
Lauterbach: Ich würde es jedem empfehlen, auch der mit dem Wagen zurückgekommen ist. Aber ich würde an den Flughäfen einfach der Logistik wegen eine Soforttestung anbieten, denn diejenigen, die sich dann am Flughafen testen lassen, die haben den Test schon hinter sich. Das hätte auch übrigens den Vorteil, wenn ich am Flughafengebäude Menschen finde, die ich positiv teste, dann weiß ich, die sind in einem Flugzeug unterwegs gewesen, wo sie möglicherweise andere infiziert haben können. Dann ist man einfach sehr viel schneller mit der Nachvollziehung der Fälle. Das ist einfach so viel besser und schneller, als wenn ich nachträglich versuche, die Personen durch die Gesundheitsämter noch am Wohnort wieder zu identifizieren.
Zweite Welle ist die Regel und nicht die Ausnahme
Zurheide: Jetzt kommen wir schon mal auf den Begriff zweite Welle. Sie haben ihn gerade angesprochen. Wie kann man die verhindern, oder ist es nicht angesichts der Tatsache, dass all das, was wir beide gerade besprechen, weder umgesetzt ist, und selbst wenn es Freitag möglicherweise beschlossen wird, ist es ja nicht Samstagfrüh da. Laufen wir da sehenden Auges wieder in ein Risiko, zumal die Zahlen übrigens jetzt schon wieder leicht steigen?
Lauterbach: Wir laufen auf jeden Fall in ein Risiko. Man kann nicht häufig genug betonen, dass es noch nie eine weltweite Pandemie gegeben hat, die ohne zweite Welle ausgekommen wäre. Es wäre wirklich das allererste Mal, dass es keine zweite Welle gibt. Somit: Die zweite Welle ist die Regel und nicht die Ausnahme. Wir sehen es jetzt ja auch in vielen Ländern, die an und für sich eine gute Arbeit gemacht hatten am Anfang, wie beispielsweise in Japan, dort sind die Zahlen wieder gestiegen, aber sehr stark auch in Australien, in Singapur, die eine vorzügliche Arbeit an und für sich gemacht hatten. Da sind überall zweite Wellen jetzt zu sehen. Somit: Ich glaube, dass wir realistisch sein müssen. Eine zweite Welle könnte gut kommen. Das Gegenteil wäre die Überraschung, nicht die Neuigkeit. Und um die möglichst klein zu halten, um den Erfolg bei der Bekämpfung der ersten Welle noch einmal reproduzieren zu können, würde ich Vorkehrungen treffen.
Meisten Impfstoffe scheitern in Phase 3
Zurheide: Jetzt kann es ja vielleicht sein, dass mancher denkt, wir hören so viel über den Impfstoff, die Entwicklung ist da relativ weit. Führt das möglicherweise auch zu dieser Sorglosigkeit? Zunächst mal diesen psychologischen Aspekt, und dann sprechen wir gleich über den Impfstoff.
Lauterbach: Ja, unbedingt! Das ist tatsächlich ein Risiko. Die Impfstoff-Nachrichten sind jetzt erst mal positiv gewesen. Es gibt vier Impfstoffe, die relativ weit sind, zwei RNA-Impfstoffe und zwei mit einem Adenovirus. Die sind quasi alle vor der Phase-3-Testung, wo ich dann Menschen untersuche, ob sie sich infizieren oder nicht.
Jetzt kommt aber die schlechte Nachricht. Das ist die Phase, die Phase 3, wo die allermeisten Impfstoffe scheitern. Das heißt, wir wissen derzeit zwar, es gibt eine Immunantwort, aber ob ich damit tatsächlich Infektionen vermeiden kann, das weiß kein Mensch. Daher ist es etwas besorgniserregend, dass die guten Nachrichten, die Zwischennachrichten von den Impfstoffen hier den Leichtsinn vielleicht befördern können. Es ist nach wie vor durchaus möglich, dass wir, wie bei anderen Corona-Viren, keinen Impfstoff hinbekommen. Wir haben es ja auch bei den anderen nicht geschafft.
Schulöffnungen: müssen auf jeden Fall Vorbereitungen treffen
Zurheide: Was heißt das zum Beispiel für Schule und Schulöffnungen? Wir sind jetzt zumindest in Nordrhein-Westfalen ungefähr in der Mitte der Ferien. Was heißt das eigentlich? Wie kann und soll man da weitermachen? Das ist ja dann der nächste Punkt. Nach den Ferien kommen die Kinder wieder an Orte, wo sie zusammen sind mit anderen.
Lauterbach: Es hat sich zunächst einmal klar bestätigt in den internationalen Studien, dass Kinder auch ansteckend sind und sich anstecken können. Sie können sich untereinander anstecken und sie können auch Lehrer und Erwachsene, ihre Eltern anstecken. Das gilt insbesondere für Kinder, die älter als zehn Jahre sind. Für kleinere Kinder ist das etwas anders zu diskutieren, aber bei den Kindern, ich sage mal, zehn und aufwärts ist die Ansteckung da, und bei den Teenagern ist sie wahrscheinlich nicht viel weniger ausgeprägt als bei Erwachsenen. Das bedeutet: Wenn wir jetzt tatsächlich viele Fälle in der Bevölkerung haben, dann hätten wir natürlich auch wieder Kinder, die sich infiziert hätten, zum Beispiel bei ihren Eltern, die wir uns dann in die Schultragen tragen. Daher müssen wir aus meiner Sicht auf jeden Fall eine Vorbereitung treffen, wie können wir den Unterricht stattfinden lassen, wenn das passiert, dass beispielsweise in vielen Klassen sich jemand infiziert, wie geht man damit um, wen isoliert man und so weiter.
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es riskant ist, sich darauf zu verlassen, dass der Schulunterricht so stattfinden kann, wie er letztes Jahr stattgefunden hat. Niemand will hier, dass gar kein Unterricht stattfindet. Davon kann keine Rede sein. Aber dass man so etwas macht wie in Dänemark beispielsweise, dass mit größeren Abständen gearbeitet wird - in den Berufsschulen halte ich es zum Beispiel auch bei den Berufskollegs für diskutabel, dass man mit Maske am Unterricht teilnimmt oder zumindest mit Masken zum Unterricht kommt, größere Abstände, und man muss auch überlegen, ob wir ein Testkonzept machen, dass wir Lehrer regelmäßig testen, zum Beispiel zwei Wochen …
Vorhandene Test-Kapazitäten werden nicht ausgereizt
Zurheide: Das wäre jetzt gerade meine Frage, Herr Lauterbach. Ist es nicht so, dass wir eigentlich viel mehr testen müssen, und wie hoch sind die Kapazitäten im Moment? Denn alles, was Sie mir gerade erzählen oder uns erzählen, deutet ja darauf hin: Wir müssen viel mehr testen.
Lauterbach: Es stimmt. Wir reizen die Kapazitäten, die wir haben, zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht aus und wir haben noch immer kein richtiges Testkonzept. Was sich in den Studien gezeigt hat, ist: Wenn man ein gutes Testkonzept hat, insbesondere die Risikogruppen, Lehrer, Erzieher, Pflegekräfte, Altenpflegerinnen, wenn man die zweimal pro Woche testet und vor allen Dingen das Ergebnis der Tests dann sehr schnell mitteilt, dann kann man damit eine Menge erreichen. Wenn man das noch kombiniert mit so etwas wie dem japanischen System, dass man um Cluster-Ausbrüche, um Häufungsausbrüche herum sehr intensiv testet, das nach hinten aufarbeitet, die sogenannte japanische Strategie, schafft man eine Menge.
Wir hätten die Tests und wir können die Testkapazität sogar noch wesentlich erweitern, indem wir die Tests poolen. Das ist so ein System, wo ich mehrere Tests in eine PCR-Auswertung bringe, und wenn ich dann dort positive Fälle finde, dann werden die einzeln geprüft. Damit kann ich wie in einem Hebel mit weniger Testmaterial viel mehr und viel schneller testen. Auch diese Möglichkeiten bestehen, werden aber noch nicht genutzt.
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