Der Test müsse für die Betroffenen kostenlos sein, betonte Lauterbach. Aus Bonn war ein Fall bekannt geworden, wo eine Klinik einem 22-jährigen Studenten 130 Euro dafür berechnen wollte.
Das bisherige Krisenmanagement in Deutschland bezeichnete Lauterbach, der selbst Mediziner ist, als "im Großen und Ganzen gut gelaufen". Wenn sich das Virus weiter ausbreite, werde aber der Mangel an hochqualifiziertem Pflegepersonal das Problem Nummer eins. Es gebe viele Krankenhäuser, aber nicht genug Pflegekräfte. "Da sind wir nicht ganz so gut gerüstet", sagte der SPD-Politiker.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Lauterbach, ich würde gerne mit einer Geschichte aus Nordrhein-Westfalen beginnen, wo Sie ja auch herkommen, und zwar aus Bonn. Dort wurde am Wochenende ein 22-jähriger Student positiv getestet, nach dem Besuch zahlreicher Karnevalsfeiern. Er wurde allerdings erst bei seinem zweiten Besuch in der Klinik getestet. Das berichtet der "Bonner General-Anzeiger". Beim ersten Mal, da habe die Klinik ihm nämlich 130 Euro für den Test berechnen wollen, weil er nicht zur Risikogruppe eins gehört habe. Daraufhin sei er dann wieder gegangen, am nächsten Tag wiedergekommen, war natürlich in der Zwischenzeit in der Öffentlichkeit, hätte Menschen anstecken können. Ein Infizierter, der nicht direkt getestet wurde, weil er den Test hätte selbst bezahlen müssen. Ist da was kaputt in unserem Gesundheitssystem, wenn im Fall einer Epidemie Tests selbst bezahlt werden müssen?
Karl Lauterbach: Dass der Test selbst bezahlt werden muss – der Test ist sehr teuer und er wird sowieso zu wenig gemacht in Deutschland -, das ist falsch. Das ist ganz klar. Der Test muss so nicht mehr erschwinglich sein, er sollte eigentlich kostenlos sein. Dort wo er begründet eingesetzt wird – und das war ja hier klar der Fall nach der Risikobeschreibung, die hier ja unstrittig steht -, hätte der Test nicht bezahlt werden müssen. Das ist kein Test, der zu Lasten der Versicherten abgerechnet werden muss.
"Der Test sollte kostenlos angeboten werden"
Büüsker: Hätte das eher geregelt werden müssen? Inzwischen hat Minister Spahn es ja den Ärzten vereinfacht, den abzurechnen. Aber hätte man das schon eher machen müssen?
Lauterbach: Es ist müßig, darüber nachzudenken, aber auf jeden Fall sollte der Test den Betroffenen nicht günstig, sondern schlicht kostenlos angeboten werden.
Büüsker: Wieso finden Sie es müßig, darüber nachzudenken?
Lauterbach: Weil es jetzt passiert ist und man kann sich das nachträglich überlegen, aber ich glaube nicht, dass der Test oft nicht gemacht wurde, weil er etwas kostet. Die meisten, die den Test in Anspruch nehmen, haben keine Ahnung, wie teuer er ist, und dass jemand weggeht, weil der Test ihm zu teuer ist, das höre ich jetzt auch zum ersten Mal. Da sind keine weiteren Fälle bekannt. Dennoch ist es richtig: Der Test muss kostenlos sein für die Betroffenen.
Büüsker: Haben Sie nicht die Sorge, dass solche Einzelfälle, wo Dinge schieflaufen, etwas fundamental auch am Vertrauen der Menschen in das System kaputt machen?
Lauterbach: Das kann passieren, das ist wahr. Aber im Großen und Ganzen, glaube ich, ist das Krisenmanagement in Deutschland bisher einigermaßen gut gelaufen. Ich bin jetzt ein paar Tage in den USA gewesen und habe mich dort mit Kollegen an der Harvard-Uni ausgetauscht. Dort ist man in einer ganz anderen Situation und die haben bisher die großen Fehler vermieden. Man muss das Positive hier betonen und von daher, glaube ich, sind wir in keiner schlechten Verfassung bisher. Es gibt immer nachträglich Dinge, wo man weiß, das hätte man etwas anders gestalten müssen, aber ich halte nicht viel davon. Wenn jetzt etwas wäre, was mir auffiele, was ich definitiv ganz anders machen würde, dann würde ich es auf jeden Fall sagen.
"Wir sind jetzt in einer kritischen Phase"
Büüsker: Sie finden, bisher alles hervorragende gelaufen?
Lauterbach: Nicht hervorragend, aber nicht schlecht. Ich glaube, dass man bei der Absage der Großveranstaltungen noch einmal nachdenken muss. Ich stimme auch der Position persönlich zu, die da zum Teil geäußert wurde, dass wir jetzt Großveranstaltungen nur durchführen sollten, wenn sie wirklich sehr gut begründet sind und wenn die Sicherheit gewährleistet ist, dass niemand aus Risikogebieten kommt. Sonst sollten wir uns überlegen, von Großveranstaltungen im Moment abzusehen, weil wir sind jetzt in einer kritischen Phase des Geschehens. Man darf nicht vergessen: Die Fälle, die wir heute bemerken, die jetzt heute festgestellt werden, die heute Symptome bringen, die sind vor einer Woche oder oft schon vor zwei Wochen entstanden. Man schaut bei so einer Infektion immer nach hinten in die Vergangenheit und die Leute, die sich heute anstecken, die werden wir in einer Woche oder vielleicht auch erst in zwei Wochen bemerken. Das heißt, wir sind in einer kritischen Phase, dass gerade das Absagen von Großveranstaltungen zum jetzigen Zeitpunkt sehr wichtig ist. Das wäre auch meine Empfehlung übrigens an die Bürger, Großveranstaltungen zu meiden und die bekannten Sicherheitsregeln einzuhalten, die da wären: Kontakt meiden zu Infizierten, wenn man infiziert ist, sich sofort zurückziehen, telefonisch Kontakt aufzunehmen mit Ärzten und sich testen zu lassen, wenn das einem empfohlen wird, und das Händewaschen und die Hygieneregeln. Das ist sehr wichtig im Moment.
Büüsker: Herr Lauterbach, wenn Sie sagen, Großveranstaltungen lieber zur Sicherheit absagen, gilt das auch für Fußballspiele?
Lauterbach: Bei den Fußballspielen sind die Experten uneinig und ich glaube, wir haben bisher noch eine Durchdringung, eine Zahl von Fällen, die das nicht unbedingt notwendig macht. Aber wir müssen auf jeden Fall mehr testen, um ein Gefühl davon zu bekommen, ab wann wir eine kritische Grenze erreichen. Das heißt, dann hat man so viele Fälle, die schon infiziert sind, ohne Symptome zu machen, dass so etwas auch erwogen werden muss. Noch sind wir nicht so weit. Von dem, was wir bis zum jetzigen Zeitpunkt wissen, ist es noch nicht so weit. Wir müssen aber mehr spontan testen. Wir haben noch kein gutes Gefühl dafür, wie weit das Virus zum jetzigen Zeitpunkt verbreitet ist in Deutschland.
"Mangel an Personal insbesondere in der Intensivpflege"
Büüsker: Schauen wir vielleicht noch mal auf unser Gesundheitssystem und inwieweit das vorbereitet ist. Vor wenigen Wochen ist ein neues Krankenhaus-Barometer veröffentlicht worden, und darin ist die Rede von 17.000 vakanten Pflegestellen in deutschen Krankenhäusern. Wie nervös macht Sie so eine Zahl mit Blick auf die aktuelle Lage?
Lauterbach: Wir haben da einen Flaschenhals. Das ist ganz klar. Wir haben zwar viele Krankenhäuser. Wir haben fast 2.000 Krankenhäuser. Das ist im europäischen Vergleich sehr viel, das ist ja bekannt. Aber uns fehlt es an Pflegekräften und die Sorge, die ich hätte, ist: Bei der Zahl der Pflegekräfte, die wir haben, können uns nicht viele Pflegekräfte ausfallen durch Krankheit selbst, um in eine kritische Lage zu kommen. Das heißt, tatsächlich sind wir an der Stelle nicht ganz so gut gerüstet. Wir müssen dann umbauen. Da gibt es natürlich auch Maßnahmen. Dann müssten die Eingriffe, die planbar sind, die aber nicht eilig sind, die müssten dann abgesagt werden. Die Krankenhäuser werden vorbereitet, aber in der Tat ist der Flaschenhals, das fehlende Personal im Bedarfsfall, insbesondere da wir in die Grippesaison hineingekommen sind – wir haben derzeit Glück, kann man sagen, weil der Winter relativ leicht verläuft, aber wir sind noch lange nicht aus dem Schneider und die nächsten zwei Wochen werden kritisch sein.
Büüsker: Woran liegt es denn, dass die Krankenhäuser nicht gut personell ausgestattet sind? Ist das tatsächlich Fachkräftemangel, oder liegt das auch daran, dass die Krankenhäuser, insbesondere die in privater Hand, auf Rendite aus sind?
Lauterbach: Die Rendite spielt auch eine Rolle, aber tatsächlich ist es so: Wir haben über zehn Jahre hinweg an der Pflege gespart. Wir haben aus dem Grunde ja jetzt auch die Pflege aus den Fallpauschalen rausgenommen. Wenn Sie pro Fall eine Pauschale bekommen, liegt das auch daran, dass Sie gerne am Pflegepersonal sparen, um damit zum Beispiel dann Ärzte einstellen zu können. Dann können Sie mehr Fälle abrechnen und Sie machen ein Geschäft. Das haben wir gerade in dieser Legislaturperiode geändert, weil das ein unhaltbares System war. Das wird aber eine Zeit lang dauern, bis die Pflege wieder besser dasteht, und man muss im Nachhinein sagen, wir hätten mehr bei der Pflege schon vor ein paar Jahren machen müssen. Da ist immer wieder was unternommen worden; das hat aber noch nicht durchschlagend geholfen. Der Mangel an hochqualifiziertem Pflegepersonal insbesondere in der Intensivpflege ist das Nummer-eins-Problem, wenn die Epidemie sich wirklich stark ausbreiten würde in Deutschland.
Büüsker: Diese Situation in den Krankenhäusern, dazu viel Unsicherheit, was die Verbreitungswege angeht – können Sie nachvollziehen, dass es vielen Bürgerinnen und Bürgern gerade nicht so wohl ist mit Blick auf diese Epidemie?
Lauterbach: Das kann ich durchaus. Das ist auch nicht unangemessen. Allerdings Panik ist auch der schlechteste Ratgeber hier. Hier muss jeder schauen, dass er insbesondere versucht, selbst alles zu tun, um sich nicht zu infizieren, und wenn er das Gefühl hat, er könnte infiziert sein, dann muss schnell getestet werden. Wir brauchen hier einen kühlen Kopf. Man darf die Situation nicht runterspielen. Wir werden deutlich mehr Fälle sehen. Das Fallgeschehen wird noch eine Zeit lang steigen. Wir müssen lernen, in den nächsten Wochen damit zu leben. Wir dürfen keine Fehler machen. Dazu gehört einfach, dass man auch sehr stark darauf achtet, selbst keine Fehler zu machen. Die Aufklärung, die jetzt überall stattfindet, auch in Sendungen wie den Ihrigen, ist daher wichtig.
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