Es könnte sein, dass Kunst nur eine Idee ist. Ein Hirngespinst. Lawrence Weiner jedenfalls behauptet das. Dieser durchaus platonische Ansatz war einst, in den 1960er-Jahren, die Gegenposition zum Abstrakten Expressionismus: Weiner, der noch heute mit seinem langen Bart aussieht wie ein Rabbi, formulierte sein Credo in drei Sätzen: Der Künstler kann das Werk herstellen (wir ergänzen: er muss nicht). Das Werk kann angefertigt werden (Klammer auf: von wem auch immer). Und: Das Werk muss nicht ausgeführt werden. (Also: es kann auch nur Idee bleiben).
Dieser radikale Ansatz ist derzeit – in diversen Schrift-Bildern - im Kunsthaus Bregenz zu besichtigen, wo der mittlerweile 74-jährige Weiner gerade gelandet ist. Weiner gilt als Vaterfigur der Konzeptkunst, bezeichnet sich selbst aber als Bildhauer. Sein Material sind Worte, und zwar ausschließlich Worte. Sie werden in Eisen gegossen oder an Hauswänden im öffentlichen Raum angebracht, sie erscheinen auf Lampenschirmen oder Streichholzschachteln. Sie irritieren den Besucher, weil sie eine Assoziationskette aufmachen oder einfach nur durch die Schönheit der Typographie auffallen. Buchstaben sind etwas Körperliches, Gegenständliches, so lehrt es Weiner. Am Anfang war das Wort, aber es ist immer klar, dass es auch etwas gibt, das vor den Worten liegt, eine sprachlose Erfahrung.
Großbuchstaben stiften Beziehung zwischen Sprache und Raum
An der Innenwand im Erdgeschoss des Bregenzer Kunsthauses driftet eine popfarbene, schwarz gerandete Schrift in einer schwungvollen Kurve nach oben: "build up with stones fallen down from the sky". So steht es da. Der Besucher, konfrontiert mit der apokalyptischen Idee, dass Steine vom Himmel fallen, dass aber möglicherweise auch das Kunsthaus aus vom Himmel gefallenen Steinen gebaut ist, ist leicht verdattert: Ist das Kunsthaus nicht aus Beton? Die Böden aus Terrazzo? Im nächsten Stock heißt es: "Masses of Stone/ Closing off the light of the day" – Steinmassen, die das Tageslicht abschotten.
Kann schon sein: Die blanken Wände des Kunsthauses haben etwas Abschließendes, Kaltes. Der trübe Novembertag dringt nur durch ein kompliziertes Oberlichtsystem herein. Aber man ist schlecht beraten, diese Sätze wörtlich oder gar metaphorisch zu nehmen. Es gibt keine Botschaft, sagt Weiner mit seiner ehrfurchtgebietenden Bass-Stimme.
"It’s a sculpture. There is no message. When you come across the sculpture in a museum, there is no message: it says what it says."
Die Großbuchstaben an der Wand sind ganz physisch zu erfahren, sie stiften eine Beziehung zwischen Sprache und dem Raum, in dem das Publikum steht. Und das Verhältnis von Körper und Raum: Das ist Bildhauerei…
Weiner ist allergisch gegen "Bedeutung"
Im leeren Kunsthaus muten die Buchstaben, trotz ihrer poppigen Buntheit, durchaus sakral an und haben eine enorme Plastizität. Auch Lawrence Weiner als Person vereint diese Widersprüche: ein studierter Sprach-Philosoph, der in der Bronx aufwuchs, lange 'on the road' war und mit Cowboystiefeln, Baseballkappe und Tattoos sich gibt wie ein Freak. Aber seine Kunsttheorie ist priesterlich ernst gemeint: Weiner ist allergisch gegen "Bedeutung". Bedeutung wurde erfunden, um Kunst zu verkaufen, sagt er. Aber Jeder stelle seine eigene subjektive Wahrheit her…
"When you say stone, it depends on who you are, what you think what a stone looks like. Water is the same thing – it depends on who you are when you look upon the water.”
Die Worte "Stein" und "Wasser" kommen in seinen Bregenzer Sprachspielen vor, weil das Kunsthaus am Rand der Alpen und des Bodensees steht. Je höher man steigt, bis in den dritten Stock des Kunsthauses, desto größer werden die Schrifttypen, um im obersten Stock wieder kleiner zu werden. Vorbild für diese Anordnung sei das aufsteigende Wasser des Geysirs, das hochsprudelt, mit stärker und dann wieder schwächer werdendem Strahl.
Der 74-jährige Lawrence Weiner ist leider sehr krank. Aber er hat seinen Humor behalten; er macht Witze über das Wort Concept Artist, Conceptional Artist, Empfängnis-Künstler. Immerhin habe er eine Tochter gezeugt, das ja. Ansonsten sei er Bildhauer. Und sein Deutsch habe er nicht zu Hause, sondern in der Kneipe gelernt. Die Wahrheit sei: Er habe kein großes Innenleben. Aber wenn Jemand von der Straße in diese Bregenzer Ausstellung komme und keine Ahnung von Gegenwartskunst habe: hier könne er es lernen.