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Leben auf den Golanhöhen
Krieg durchs Fernglas

Seit sechs Jahren wird gekämpft in Syrien, ein Ende des Bürgerkriegs ist nicht abzusehen. Dennoch gibt es in Israel viele Stimmen, die Diktator Baschar al Assad weiter an der Macht sehen wollen - aus Angst vor dem, was danach kommen könnte. Die Bewohner der Golanhöhen und Touristen erleben den Krieg im Nachbarland als Zaungast.

Von Silke Fries |
    Schilder an der syrisch-israelischen Grenze auf den Golanhöhen
    Die syrisch-israelische Grenze auf den Golanhöhen (dpa/picture-alliance/Reinhard Kaufhold)
    Tausend Meter über dem Meeresspiegel pfeift der Wind – trotz des heißen Sommers ist es noch grün auf den Golan-Höhen. Im Sommer ist es hier kühl und trocken, im Winter kalt. Der vulkanische Basalt ist ideal für den Weinbau. Ein Grund, weshalb der Winzer Tal Pelter aus der Nähe von Tel Aviv hier in den Kibbutz Ein Zivan gezogen ist. Außerdem wollte der große schlanke Mann Einsamkeit und Ruhe. Jetzt erlebt er Krieg, quasi als Zaungast.
    "Die Grenze ist gerade mal etwas mehr als einen Kilometer entfernt. In den letzten vier Jahren gab es Tage, da konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen, so nah waren die Kämpfe. Vor zwei Jahren hat´s die Halle mit dem koscheren Wein erwischt. Eine Rakete ist durchs Dach eingeschlagen, hat einen Mitarbeiter verletzt und Weinfässer zerstört. Meine Kinder waren hier. Wir haben die Kinder weggeschickt und tatsächlich ging der Beschuss noch weiter."
    Tal Pelter führt in die Lagerhalle und zeigt auf die Stelle, wo die Rakete durchs Dach gekommen ist. Mittlerweile sind die Fässer erneuert und die Arbeit geht weiter wie immer. Aufgeregt ist heute niemand mehr, auch nicht sein Mitarbeiter.
    Gelassen trotz des benachbarten Bürgerkriegs
    "Ängstlich, nein! Wir leben nun mal neben der syrischen Grenze. Tal passt auf uns auf. Alles ist cool. Als hier die Rakete eingeschlagen ist, war ich nicht hier. Ich hab dann das Loch gesehen und einer unserer Jungs ist verletzt worden. Das ist es schon. So leben wir und das ist normal in Israel."
    Einbar Pelter ist die Frau des Winzers. Die 46-Jährige steht in ihrer Käserei, die ebenfalls auf dem Weingut liegt. Sie schöpft mit ruhigen Bewegungen Ziegenkäse in Formen. Auch sie bleibt gelassen trotz des Bürgerkriegs in der Nachbarschaft. Nur in der Nacht, als die Rakete einschlug, war es mit der Gelassenheit vorbei.
    "Natürlich war das ein Schreck. Aber kurz danach haben wir die Trümmer aufgeräumt. Ich hatte zwei Wochen vorher mein fünftes Kind geboren und die anderen Kinder spielten hier im Hof. Gott sei Dank war ich zuhause und habe den Einschlag nicht direkt gesehen. Das war natürlich sehr dramatisch, aber wir haben nicht darüber nachgedacht, deswegen hier wegzugehen."
    Die einzigen, die hier nervös sind, sind Touristen aus Europa oder Amerika. Dennoch ist das Kibbutzhotel oft ausgebucht. Touristen sitzen dann an langen Tischen vor ihrer Weinprobe und Ziegenkäse, und oft geht´s anschließend zum nahen Aussichtspunkt. Hier gibt´s Krieg durchs Fernglas. Für Außenstehende ist das befremdlich, das gibt auch Einbar Pelter zu.
    "Verrückt, wir fühlen uns hier sicher"
    "Vor ein paar Wochen war eine Verwandte aus Amerika zu Besuch. Und sie konnte es kaum fassen, dass unsere Kinder hier alleine auf die Berge klettern und ihre Freunde besuchen. Sie sagte, dass Kinder in Los Angeles nichts ohne Begleitung, sie werden überall hingefahren. Und dann hörten wir Bombeneinschläge aus Syrien. Eine verrückte Welt: Wir schließen hier weder Haus noch Auto ab und fühlen uns sicher. Und in Syrien bombardieren sie sich gegenseitig. Das ist alles sehr traurig. Aber es macht mir keine Angst."
    Syrer werden in Israel behandelt
    Ab und zu fahren Militärfahrzeuge am Kibbutz vorbei. Syrische Zivilisten und Kämpfer werden in israelische Krankenhäuser gebracht. Offiziell aber gibt es keinen offenen Grenzübergang mehr zwischen Syrien und Israel, noch immer befinden sich beide Länder im Kriegszustand. Zipke Harel ist auch eine Kibbutzbewohnerin. Die 76-Jährige lebt mit ihrer Familie seit rund 50 Jahren hier, seit dem Ende des Sechstagekriegs.
    Armeeangehörige des israelischen Militärs versorgen hier einen syrischen Verwundeten in einem Militärlazarett auf den Golan-Höhen.
    Armeeangehörige versorgen einen syrischen Verwundeten in einem Militärlazarett. (imago stock&people)
    "Das alles nimmt mich sehr mit, das wühlt einen auf. Die Zivilisten in Syrien zahlen einen hohen Preis. Und wir haben nichts gegen sie, das sind nicht unsere Feinde. Die Feinde Israels sind die Politiker dort. Und wenn verletzte Zivilisten hier in Israel behandelt werden, dann ist das unsere Pflicht. Das sind alles Menschen, die irgendwann vielleicht unsere Nachbarn sein werden."
    Zipke Harel denkt, dass Israel mit dem Diktator Assad besser fährt als ohne. Eine Meinung, die weit verbreitet ist in Israel. Schließlich sei die Grenze in den letzten Jahrzehnten trotz allem die sicherste Außengrenze Israels gewesen. Und ohne Assad – man wisse nicht, ob dann Islamisten an die Macht kämen oder andere wenig berechenbare Kräfte. Auch Winzer Tal Pelter hält die Golanhöhen für sicher – sicherer als Frankfurt bei Nacht, wie er sagt. Aber er ist wenig optimistisch was Frieden angeht jenseits des Zauns.
    Jenseits des Zauns sterben die Menschen
    "Man sieht die ganze Zeit Aktionen auf der anderen Seite. Vor kurzem brannte eine syrische Siedlung nicht weit entfernt von uns. Es keine angenehme Umgebung hier. Aber was immer hier rüber geschossen wird – ich glaube nicht, dass die Syrer uns ernsthaft mit reinziehen wollen. Die haben ihre eigenen Probleme. Ich hoffe aber für die Menschen dort, dass alles ein Ende findet. Ob die Russen sich jetzt reinhängen, die Amerikaner oder Europäer – alle verdienen ihr Geld mit dem Krieg. Aber irgendjemand muss sich kümmern."
    Das Leben auf den Golan-Höhen geht weiter wie bisher. Israelische Touristen suchen die Ruhe und die weite Landschaft für Jeep-Touren und Wanderungen. Die israelische Armee schickt ihre Beobachtungsdrohnen Richtung Syrien und beobachtet den Krieg beim Nachbarn. Und jenseits des Zauns sterben die Menschen.