"Am Anfang war das Erdbeben nicht so schlimm, deswegen habe ich mir auch nichts dabei gedacht, aber dann wurde es immer stärker, und es schien auch gar nicht mehr aufzuhören. Ich hatte einen großen Topf mit heißem Öl auf dem Herd, das war ungefähr 200 Grad heiß, weil wir Tempura frittieren wollten, und der Topf wackelte immer stärker. Ich wollte ihn festhalten, aber es ging nicht, und das heiße Öl, es hat mir Angst gemacht. Ich bin dann schnell vom Herd weg, und da ist der Topf auch schon auf den Boden gekracht, mit all dem Öl, aber Gott sei Dank hat es nicht angefangen zu brennen."
Am Abend des 11. März, da hatten er und alle anderen Dorfbewohner in der örtlichen Schule Unterschlupf gesucht, hörte Maeda die ersten Gerüchte. Im Atomkraftwerk habe es einen Unfall gegeben, hieß es, doch niemand wusste etwas Genaues. Gerade einmal drei Kilometer ist Maedas Dorf Futabacho von den Reaktoren entfernt, es liegt direkt hinter den Meilern.
Jetzt steht der 65-Jährige an die Brüstung eines silbernen Metall-Geländers gelehnt. Hinter und über ihm der gewaltige und kalt wirkende Betonklotz der sogenannten Super Arena, des großen Sportstadions in der Stadt Saitama in der Nähe von Tokio. Shigeru Maeda ist ein hagerer Mann. Er hat graue Haare und ein freundliches Gesicht, man kann sich gut vorstellen, wie er mit seinen Enkelkindern scherzt, lacht und spielt. Er wirkt gütig. Doch inmitten der modernen Architektur erscheint er nun verloren und sehr klein.
Seit einigen Tagen ist er mit seiner Ehefrau, der Tochter und einem Enkelkind und 2000 anderen Evakuierten hier in Saitama untergebracht. Während der vergangenen drei Wochen musste er eine wahre Odyssee hinter sich bringen. Jedes Mal, wenn die Evakuierungszone ausgeweitet wurde, fuhr man ihn und seine Familie schnell an einen neuen Ort.
"Am Anfang war es sehr schlimm, weil wir kein Essen hatten. Wir waren in Schulen, und die ersten Tage hatten wir nur ein Reisbällchen am Tag oder mal ein Stück Toast, aber sonst nichts. Es gab niemanden, der sich um uns kümmerte, und wir hatten keine Futons, auf die wir uns legen konnten. Zum Schlafen hatten wir nur ein paar Pappkartons."
In Saitama ist es nun endlich besser. Denn viele Freiwillige kümmern sich um die Evakuierten. Vor der Eingangshalle der Sportarena ist eine Art kostenloser Flohmarkt aufgebaut. Dort können sich die Evakuierten mit all dem versorgen, was für sie gespendet wurde. Auf dem Boden ordentlich aufgereiht: mehrere Pappkisten. Darin Kleidung, Spielzeug Plastikbecher oder Handtücher. Kleine rote und blaue Gummistiefel stehen daneben.
Weil es für die 2000 Evakuierten nicht genug Geschirr gibt, schneiden einige Helfer aus Pappkartons für jeden Evakuierten eine Art Tablett für das Mittagessen zurecht. Mit der Schachtel in der Hand ziehen die Evakuierten wenig später an den Tischen entlang, die rechts und links an den Wänden aufgebaut sind. In ihre Pappschachtel legen sie, was immer sie wollen: Plastikflaschen mit grünem Tee, Brötchen, Schokolade, Tofu oder Frankfurter Würstchen. Am Ende der Tische warten ältere Japanerinnen mit einer Flasche Ketchup in der Hand. Wer will, bekommt einen Klecks für die Würstchen.
Japan steckt wegen des Unfalls in Fukushima in einer dramatischen Krise. Doch die Evakuierten hier erfahren von der Bevölkerung eine Welle der Solidarität. Allein in Saitama melden sich jeden Tag rund 1000 Freiwillige, um mitzuhelfen. Wer nicht gebraucht wird, lässt sich etwas einfallen: Zwei Frauen halten Schilder hoch und bieten Haarwäsche und Maniküre an, andere verschenken kleine Blumensträuße in der Hoffnung, den Evakuierten eine kleine Freude machen zu können. Zwei Akrobaten unterhalten auf einem sonnigen Platz Erwachsene wie Kinder.
Auch Shigeru Maeda ist dankbar für die Hilfe. Aber zum Lachen ist er dennoch nicht aufgelegt. Seine Gedanken wandern immer wieder in sein Heimatdorf Futabacho zurück. Die Vorstellung, dass er wegen der Strahlung möglicherweise nie mehr sein Zuhause mit all den Dingen, die ihm lieb und teuer sind, sehen kann - man sieht, wie sehr ihn das schmerzt:
"Wenn ich ein Auto hätte, dann würde ich jetzt heimfahren, auch wenn es da Strahlung gibt. Ich fühle mich, als wenn am 11. März meine Zeit stehen geblieben wäre. Ich habe nie gedacht, dass so etwas einmal passieren kann, und jetzt darf ich vielleicht nie mehr in mein Haus zurück. Mein Nachbar ist Bauer, und er hat Kühe im Stall, die haben seit Tagen nichts zu fressen. Er sorgt sich um seine Kühe. Weil alles so schnell ging, haben wir alle Dinge zurücklassen müssen, die uns wichtig sind. Manche haben Haustiere, Hunde oder Katzen, und wir fragen uns natürlich, wie es denen jetzt geht."
Aus seinem alten Leben besitzt er nichts mehr. Keine Kleidung, keine Fotos. Nichts. Nun lebt er mit den Dingen, die andere ihm schenken. Und er hat keine Vorstellung, wie es weitergehen soll.
"Ich habe ein paar Freunde oder Verwandte an anderen Orten in Japan, zu denen könnte ich ziehen. Aber die Stadt Saitama sagt, wer das Evakuiertenzentrum jetzt verlässt und woanders hingeht, kann später nicht noch einmal Hilfe beanspruchen. Das macht es schwierig, eine Entscheidung zu fällen. Wenn ich hier im Evakuiertenzentrum bleibe, dann kann ich immerhin essen und schlafen und die Stadt sorgt für mich, obwohl es natürlich schlimm ist, so auf andere angewiesen zu sein. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin jetzt 65 Jahre alt, es wird schwer, noch einmal ganz neu anzufangen."
Sendereihe "Die verwundete Nation"
Deutsche Welle: "Die verwundete Nation"
Am Abend des 11. März, da hatten er und alle anderen Dorfbewohner in der örtlichen Schule Unterschlupf gesucht, hörte Maeda die ersten Gerüchte. Im Atomkraftwerk habe es einen Unfall gegeben, hieß es, doch niemand wusste etwas Genaues. Gerade einmal drei Kilometer ist Maedas Dorf Futabacho von den Reaktoren entfernt, es liegt direkt hinter den Meilern.
Jetzt steht der 65-Jährige an die Brüstung eines silbernen Metall-Geländers gelehnt. Hinter und über ihm der gewaltige und kalt wirkende Betonklotz der sogenannten Super Arena, des großen Sportstadions in der Stadt Saitama in der Nähe von Tokio. Shigeru Maeda ist ein hagerer Mann. Er hat graue Haare und ein freundliches Gesicht, man kann sich gut vorstellen, wie er mit seinen Enkelkindern scherzt, lacht und spielt. Er wirkt gütig. Doch inmitten der modernen Architektur erscheint er nun verloren und sehr klein.
Seit einigen Tagen ist er mit seiner Ehefrau, der Tochter und einem Enkelkind und 2000 anderen Evakuierten hier in Saitama untergebracht. Während der vergangenen drei Wochen musste er eine wahre Odyssee hinter sich bringen. Jedes Mal, wenn die Evakuierungszone ausgeweitet wurde, fuhr man ihn und seine Familie schnell an einen neuen Ort.
"Am Anfang war es sehr schlimm, weil wir kein Essen hatten. Wir waren in Schulen, und die ersten Tage hatten wir nur ein Reisbällchen am Tag oder mal ein Stück Toast, aber sonst nichts. Es gab niemanden, der sich um uns kümmerte, und wir hatten keine Futons, auf die wir uns legen konnten. Zum Schlafen hatten wir nur ein paar Pappkartons."
In Saitama ist es nun endlich besser. Denn viele Freiwillige kümmern sich um die Evakuierten. Vor der Eingangshalle der Sportarena ist eine Art kostenloser Flohmarkt aufgebaut. Dort können sich die Evakuierten mit all dem versorgen, was für sie gespendet wurde. Auf dem Boden ordentlich aufgereiht: mehrere Pappkisten. Darin Kleidung, Spielzeug Plastikbecher oder Handtücher. Kleine rote und blaue Gummistiefel stehen daneben.
Weil es für die 2000 Evakuierten nicht genug Geschirr gibt, schneiden einige Helfer aus Pappkartons für jeden Evakuierten eine Art Tablett für das Mittagessen zurecht. Mit der Schachtel in der Hand ziehen die Evakuierten wenig später an den Tischen entlang, die rechts und links an den Wänden aufgebaut sind. In ihre Pappschachtel legen sie, was immer sie wollen: Plastikflaschen mit grünem Tee, Brötchen, Schokolade, Tofu oder Frankfurter Würstchen. Am Ende der Tische warten ältere Japanerinnen mit einer Flasche Ketchup in der Hand. Wer will, bekommt einen Klecks für die Würstchen.
Japan steckt wegen des Unfalls in Fukushima in einer dramatischen Krise. Doch die Evakuierten hier erfahren von der Bevölkerung eine Welle der Solidarität. Allein in Saitama melden sich jeden Tag rund 1000 Freiwillige, um mitzuhelfen. Wer nicht gebraucht wird, lässt sich etwas einfallen: Zwei Frauen halten Schilder hoch und bieten Haarwäsche und Maniküre an, andere verschenken kleine Blumensträuße in der Hoffnung, den Evakuierten eine kleine Freude machen zu können. Zwei Akrobaten unterhalten auf einem sonnigen Platz Erwachsene wie Kinder.
Auch Shigeru Maeda ist dankbar für die Hilfe. Aber zum Lachen ist er dennoch nicht aufgelegt. Seine Gedanken wandern immer wieder in sein Heimatdorf Futabacho zurück. Die Vorstellung, dass er wegen der Strahlung möglicherweise nie mehr sein Zuhause mit all den Dingen, die ihm lieb und teuer sind, sehen kann - man sieht, wie sehr ihn das schmerzt:
"Wenn ich ein Auto hätte, dann würde ich jetzt heimfahren, auch wenn es da Strahlung gibt. Ich fühle mich, als wenn am 11. März meine Zeit stehen geblieben wäre. Ich habe nie gedacht, dass so etwas einmal passieren kann, und jetzt darf ich vielleicht nie mehr in mein Haus zurück. Mein Nachbar ist Bauer, und er hat Kühe im Stall, die haben seit Tagen nichts zu fressen. Er sorgt sich um seine Kühe. Weil alles so schnell ging, haben wir alle Dinge zurücklassen müssen, die uns wichtig sind. Manche haben Haustiere, Hunde oder Katzen, und wir fragen uns natürlich, wie es denen jetzt geht."
Aus seinem alten Leben besitzt er nichts mehr. Keine Kleidung, keine Fotos. Nichts. Nun lebt er mit den Dingen, die andere ihm schenken. Und er hat keine Vorstellung, wie es weitergehen soll.
"Ich habe ein paar Freunde oder Verwandte an anderen Orten in Japan, zu denen könnte ich ziehen. Aber die Stadt Saitama sagt, wer das Evakuiertenzentrum jetzt verlässt und woanders hingeht, kann später nicht noch einmal Hilfe beanspruchen. Das macht es schwierig, eine Entscheidung zu fällen. Wenn ich hier im Evakuiertenzentrum bleibe, dann kann ich immerhin essen und schlafen und die Stadt sorgt für mich, obwohl es natürlich schlimm ist, so auf andere angewiesen zu sein. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin jetzt 65 Jahre alt, es wird schwer, noch einmal ganz neu anzufangen."
Sendereihe "Die verwundete Nation"
Deutsche Welle: "Die verwundete Nation"