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Leben einer Einsiedlerin
Die spirituelle Einzelkämpferin

Maria Anna Leenen wohnt als Einsiedlerin in einer Klause zwischen Cloppenburg und Ankum. Dort schreibt die ehemalige Sportlehrerin Bücher und Radio-Andachten. Bei ihr könne jeder anklopfen, erzählt sie. "Dann lasse ich alles stehen und liegen, und dann habe ich Zeit."

Von Andrea Lieblang |
Die Einsiedlerin Maria Anna Leenen blickt am 08.12.2014 in Bippen bei Fürstenau (Landkreis Osnabrück) (Niedersachsen) auf ein Feld.
Maria Anna Leenen hat sich für ein Leben in der Abgeschiedenheit entschieden (Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch)
"Mein Zivilname ist Constanze. Meine Mutter war ein Mozart-Fan, und also hieß die erste Tochter dann Constanze. Aber ehrlich gesagt: mein Ordensname Maria Anna ist mir hundertmal lieber, weil ich das so mit meiner Berufung verbinde: Ich bin nichts Besseres, ich bin nichts Wichtigeres, sondern ich bin ein Mensch, der Gott sucht; und dieser Mensch heißt eben Maria Anna!"
Maria Anna Leenen ist seit 25 Jahren Eremitin. Die 63-Jährige lebt im Irgendwo, zwischen Ankum und Cloppenburg, auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von Feldern und Wäldern. Ihr weißes Haar ist kurz geschnitten. Sie trägt Jeans, einen dicken Pullover und darüber eine wattierte Jacke. Brennholz ist teuer. Nur in ihrer kleinen Küche bullert ein Ofen. Die lebhafte Frau strahlt eine unerschütterliche Zufriedenheit aus. Dabei war ein Leben als Eremitin alles andere als vorgezeichnet: Mit Anfang zwanzig, als junge Sportlehrerin, begleitet sie ihren Freund nach Venezuela:
"Wir wollten eine große, große Büffelfarm aufbauen. Das haben wir auch gemacht, und es war ein absolut fantastisches Leben dort. Ein Viertel von meinem Herzen ist da immer noch geblieben - ist ein wundervolles Land und momentan leider natürlich ziemlich am Boden."
Von der Taufschein-Christin zur Nonne
In Venezuela überkommt sie, wie sie sagt, ein unglaublicher Lesehunger. Deutsche Bücher gibt es kaum, für spanische reichen ihre Sprachkenntnisse nicht. Eines Tages drückt der Chef ihr ein religiöses Buch in die Hand:
"Ich habe gedacht: Was soll ich damit? Und habe aber angefangen zu lesen, weil, es lockte natürlich dann doch. Und es gibt einen Satz: Und der hat mein ganzes Leben um 180 Grad gedreht. Und dieser Satz war: 'Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.'"
Nach eineinhalb Jahren kehrt sie nach Deutschland zurück und löst sich von ihrem Freund. Bis dahin war sie eine protestantische Taufschein-Christin, erklärt sie lachend: Ein Mal im Jahr ein Gottesdienst, immer zu Weihnachten, weil es so schön romantisch war. Doch nach ihrer Rückkehr konvertiert sie zum katholischen Glauben und tritt einige Jahre später in ein Kloster ein:
"Aber ich merkte dann irgendwann: Es stimmt nicht ganz. Ich habe eine sehr, sehr gute Novizen-Meisterin gehabt, Gott sei Dank, die Luzia. Und die hat sich mit mir dann wirklich hingesetzt und sich viel Mühe gegeben, um mich sozusagen zu öffnen auf das hin, was Gott will. Und da war dann irgendwann die Entscheidung, dass sie sagte: 'Eigentlich müssten Sie ja Einsiedlerin werden!' Ich bin eh ein Einzelkämpfer, das ist von meiner Natur einfach so vorgegeben."
"Ich habe oft nichts zu essen gehabt"
Sie verlässt das Kloster, schnappt sich ein Rad und fährt kreuz und quer durch ihr Bistum Osnabrück: immer auf der Suche nach einem geeigneten Ort für ihren Rückzug. Schließlich findet sie eine Flüchtlingsbaracke aus dem Zweiten Weltkrieg.
"Mein geistliches Leben als Eremitin, so fing das einfach an. Ich bin in dieser kleinen Hütte erst mal neun Jahre geblieben, mit Schwengel-Pumpe, im Winter kein Holz und habe oft nichts zu essen gehabt. Ich sage immer, das war toll für die Figur! Ich hatte Hosengröße 36, das hat sich inzwischen etwas geändert. Aber danach musste ich einfach raus."
Sie entdeckt ein kleine Kate, in der sie bis heute lebt: windschief, mit Ställen und etwas Land. Es gibt eine Küche, drei kleine Kammern und einen großen Raum. Maria Anna ist sofort klar: Das wird ihre Kapelle! Sie verlegt Holzdielen, verputzt die Wände und verziert sie mit Symbolen, die ihre persönliche Spiritualität ausdrücken:
"Das Wichtigste ist das Kassian-Kreuz. Das ist so ein Lebensbaum-Kreuz. Es ist nicht so dunkel, hat also etwas hellere Farben und hat grüne Blättchen und grüne Spitzen, grüne Knospen, und da drum die griechische Umschrift 'Jesus Christus Nica'. Und 'Nica' bedeutet 'siegt': 'Jesus Christus siegt'. Das ist ein ganz starkes Wort an dem Kreuz, da kann man sich festhalten, wenn es mal heftig wird!"
Warum lässt du das zu?
Rechts vom Kreuz, in der Zimmerecke, hat sie mit eigenen Händen eine Tabernakel-Säule gemauert:
"Und da drüber steht ein Teil vom Spruch von Rupert Mayer, und zwar: 'Wie du willst - was du willst - wann du willst.' Rupert Mayer ist ein Jesuit aus dem 20. Jahrhundert, und er hat diese Sätze gesagt, und die fand ich sehr wichtig für jemanden, der versucht, im Gebet zu leben. Ich symbolisiere den einzelnen Menschen, der von Gott bedingungslos geliebt ist, bedingungslos: Gott liebt mich, ohne dass ich irgendetwas tue oder leiste."
Die Einsiedlerin Maria Anna Leenen blickt am 08.12.2014 in ihrem Haus in Bippen bei Fürstenau (Landkreis Osnabrück) (Niedersachsen) in ein Gotteslob.
In ihrer Kate hat Maria Anna Leenen eine Kapelle eingerichtet (Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch)
Trotzdem ist auch sie nicht vor Krisen gefeit:
"Weil das Leben hier in dieser Ausgesetztheit zwangsläufig dazu führt, dass ich mit mir selber konfrontiert werde, mit meinem Gottesbild konfrontiert werde. Ich lese ja auch Nachrichten. Ist ja nicht so, dass ich also nur die Bibel lese! Zum Beispiel diese Missbrauchsfälle - ich habe wirklich heulend in der Kapelle gesessen und habe gesagt: Verdammt noch mal, warum lässt du das zu? Ich verstehe das nicht! Ich habe in der Zeit ganz viel Hiob gelesen, wo es ja darum geht, dass Gott Dinge zulässt, und der Mensch einfach nicht versteht, wie das sein kann."
"Unkomplizierte Orte werden wichtiger werden"
Wie die anderen Eremitinnen und Eremiten auch hat Maria Anna einen festen geistlichen Begleiter, den sie regelmäßig trifft.
Im Jahr 2003 hat sie ihre ewige Profess abgelegt – wie Ordensfrauen es auch tun. Doch gibt es einen Unterschied zwischen klösterlichem und eremitischem Leben:
"Ich bekomme keinen Scheck vom Bischof. Das ist auch richtig, weil Eremiten müssen für ihren Lebensunterhalt selber aufkommen. Wir versuchen natürlich, immer in der Klause irgendetwas zu tun. Bei mir ist das Bücherschreiben, Texte schreiben für Zeitungen oder jetzt Morgen-Andachten. Und damit verdiene ich natürlich auch Geld!"
Rund dreißig Bücher hat sie inzwischen geschrieben. Im Februar dieses Jahres erschien ihr letztes mit dem Titel: "Ziegen wie du und ich". Maria Anna liebt diese Tiere und hat eine kleine Herde: 13 Böcke und Ziegenmädchen, wie sie die weiblichen Tiere liebevoll nennt.
"Jede ist eine einzelne Persönlichkeit, sehr, sehr klar konturiert. Und sie haben ein Empathie-Vermögen für Menschen, das kann man sich nicht vorstellen! Ich kriege viele Menschen, die zum Gespräch kommen, die wirklich ein dickes Päckchen zu tragen haben. Manchmal können die nicht sprechen über das, was sie belastet. Und dann sitzen wir draußen oder wir gehen zu den Ziegen rein. Und das löst sie, das lockert, und dann können die Menschen reden."
"Ich möchte hier bleiben, bis ich nicht mehr kann", wünscht sich die Eremitin:
"Denn ich glaube, solche kleinen Orte, die sozusagen unkompliziert sind, die niederschwellig sind, wie man immer sagt, die werden in der Zukunft noch wichtiger werden: Wir haben im Moment nicht nur in Deutschland, sondern wir haben weltweit eine fundamentale Krise in der Kirche, nicht nur durch die Missbrauchsfälle. Ich glaube, dass der einzelne Mensch aus dem Blick geraten ist. Und da sind wir natürlich immer so ein ganz unproblematisches Feld. Also, bei uns kann jeder anklopfen und sagen: 'Haste mal Zeit?' Dann habe ich Zeit. Dann lasse ich alles stehen und liegen, und dann habe ich Zeit."