Archiv


Leben für 90 Minuten

Eine Blut-, Schweiß- und Tränenmentalität ist tief im Erbgut des britischen Fußballs verankert. Und das prägt auch die Fans. Für sie ist Fußball mehr als eine x-beliebige Freizeitbeschäftigung, für Einige ist der Sport sogar der wichtigste Lebensinhalt.

Von Ruth Rach und Norbert Weber; Redakteur am Mikrofon: Thilo Kößler |
    England ist das Mutterland des Fußballs, hier wurde der größte Massensport der Neuzeit geboren, hier wurden seine Regeln festgeschrieben, hier wurde aus dem feinen Zeitvertreib der Oberschicht der Sport der working class. Doch nur ein einziges Mal ist England Fußball-Weltmeister geworden - 1966 war das, im Wembley-Stadion. Seither nie wieder. Umso größer sind jetzt die Hoffnungen, die die Engländer in ihre Mannschaft setzen. Fußball ist in England weit mehr als nur ein Sport, er ist für viele Passion und Lebensinhalt. Bis heute gilt die Liebe zum Verein als die erste große Liebe eines jeden Jungen. Und diese Verbindung hält oft länger als so manche Ehe.


    Wie eine große Familie - Die West-Ham-Fans im Londoner East End

    Die Kneipe "The Green Man" im Londoner East End ist bereits Stunden vor Spielbeginn knallvoll. Es ist Mittwochabend. West Ham United spielt im FA-Cup-Achtelfinal-Rückspiel gegen Bolton Wanderers. Gwenn, Sullivan und Steve sind direkt von der Arbeit hierher gekommen. Zusammen mit anderen Fans belagern sie den Tresen. Das Bier fließt.

    "Es gibt nur ein Team im East End, es gibt nur eine Mannschaft in London und das ist West Ham. Wenn Du im East End lebst, da kannst Du nur für West Ham sein."

    Gwenn ist, wie seine Freunde, Mitte, Ende 30, ein bulliger Typ mit kurzem Haarschnitt. Er ist Maurer. Sullivan ist Zimmermann, Steve städtischer Angestellter. Sie tragen Jeans, Turnschuhe, darüber ein Kapuzen-T-Shirt. Steve ist vor einigen Jahren aus beruflichen Gründen aus dem East End weggezogen. Jede Woche nimmt er eine einstündige Autofahrt auf sich, um mit seinen Freunden zum Fußball zu gehen.

    "Ich bin im East End geboren und zur Schule gegangen, deshalb bin ich West-Ham-Fan. Meine Mutter hat an einer Tankstelle gearbeitet, gleich hier in der Nähe des Stadions. Sie hat damals all die Stars der 60er und 70er Jahre bedient: Bobby Moore, Geoff Hurst und Martin Peters, die Weltmeister von 1966. Ich war schon als Kind West-Ham-Fan und werde es auch immer bleiben, auch wenn ich jetzt nicht mehr hier lebe."

    Gwenn und Sullivan nehmen einen tiefen Schluck aus ihren Biergläsern und nicken dabei zustimmend.

    "Einmal West-Ham-Fan, immer West-Ham-Fan!"

    "Man darf die Farben niemals wechseln – niemals! Das ist die Regel."

    Fußball schweißt die Freunde zusammen. Es geht gar nicht in erster Linie um den sportlichen Erfolg, sagt Steve, viel wichtiger sei, mit den Freunden zusammen zu sein, die Leidenschaft zu teilen, gemeinsam zu jubeln und gemeinsam zu trauern.

    "Ja, ich bin stolz darauf ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein – sehr stolz. Das ist das Salz der Erde, diese Leute. Wir kümmern uns umeinander. Wir sind wie eine große Familie. Fußball ist unsere große Liebe. Für viele von uns bedeutet Fußball mehr als eine Beziehung zu einer Frau."

    Dennis, bullig, Anfang 30 mit Hooligan-Vergangenheit, mischt sich ein.

    "Das ist wie eine Droge. Ich muss da einfach immer wieder hin, jedes Wochenende und jeden Mittwoch. Im Sommer, in der spielfreien Zeit, wenn keine Welt- oder Europameisterschaft ist, geht es mir miserabel. Ich bekomme Depressionen. Da weiß ich gar nicht, was ich mit mir anfangen soll."

    Sullivan bestellt noch eine Lage Bier. 3,20 Pfund kostet ein Glas, das sind 4,50 Euro. Im Pub werden nur Runden ausgegeben, das gehört zum Ritual - und geht schwer ins Geld. Was Sullivan für sein Hobby im Jahr ausgibt, möchte er gar nicht erst zusammen zählen.

    "Es sind ja nicht nur die Eintrittskarten, sondern auch das ganze drumherum. Das kostet tausende und tausende Pfund im Jahr. Aber für Fußball mache ich alles."

    39 Pfund, rund 60 Euro, hat jeder für seine Eintrittskarte ausgegeben. Das ist der Preis für die billigeren Plätze im Stadion und noch günstig verglichen mit den Preisen des Londoner Nobelklubs Chelsea. Dort beim verhassten Nachbarn kosten die Tickets zwischen 60 und 180 Pfund. Doch deren Fans kommen mit Anzug und Krawatte ins Stadion.

    "Das ist doch das Ende des Fußballs für die Arbeiterklasse. Aber Chelsea-Fans sind sowieso Idioten, wenn sie so viel bezahlen. Das sind keine echten Fans. Unsere Tickets sind auch nicht gerade billig. Das ist eine Menge Geld für einen einfachen Arbeiter. Aber zu bestimmten Spielen werden wir immer gehen, und wenn es uns den letzten Penny kostet, denn ohne West Ham können wir nicht leben."

    Es ist halb acht. Die drei machen sich auf den Weg zum Stadion, vorbei an den heruntergekommenen Arbeitersiedlungen in denen heute überwiegend Ausländer leben, vor allem aus Pakistan. An den meisten Häusern bröckelt der Putz. Vor dem Stadion Upton Park massiert sich eine stattliche Polizeieinheit. An jeder Ecke eine Videoüberwachungskamera. Ein vorerst letztes Bier in den Stadionkatakomben, dann gehen die drei hinauf auf ihre Tribünenplätze. Der Stadionsprecher liest die Mannschaftsaufstellung vor.

    Jeder einzelne West-Ham-Spieler wird mit Beifall empfangen. Dann ertönt die Klubhymne. Jeder große Klub hat in England seine eigene Hymne und alle grölen mit. Das gehört dazu wie das Bier vor und nach dem Spiel, meint Gwenn.

    "Natürlich singen wir, sonst macht es ja keinen Sinn, ins Stadion zu gehen. Wir verbeugen uns mit diesen Liedern vor der eigenen Mannschaft und verspotten die Spieler und die Fans des Gegners. Wir Fans von West Ham sind wirklich erbarmungslos."

    Das Spiel beginnt. Gwenn und seine Freunde haben erst gar nicht Platz genommen. Gebannt verfolgen sie das Spielgeschehen unten auf dem Platz.

    Ein Spiel zu verlieren ist eigentlich nicht so schlimm, sagt Steve, nur auf die Haltung komme es an.

    "Was zählt ist ihr Kampfgeist, ihre Leidenschaft. Die Spieler müssen alles geben, was sie haben. So lange sie sich 100-prozentig einbringen, ist das Ergebnis nicht so wichtig. Du bezahlst schließlich dafür, dass Deine Mannschaft bis zum Letzten kämpft."

    Auch oben auf der Tribüne geben die drei Fans ihr Bestes. Sie scheinen mehr zu leiden als die Spieler auf dem Platz, wo es kräftig zur Sache geht.

    "Ich bin tagelang traurig, wenn meine Mannschaft verliert. Das geht mir wochenlang nach. Das ist wie ein schwerer Verlust. Ich bin dann völlig niedergeschlagen. Als wir abgestiegen sind, war ich so deprimiert, dass ich meine Jahreskarte erst Mitte der Saison abholte. Aber so ist der Fußball. Mal ist man oben, mal ist man unten."

    West Ham schießt das 1:0. Gwenn, Steve und Sullivan liegen sich in den Armen. Kurz darauf fällt der Ausgleichstreffer. Es wird ruhig im Stadion. Doch nur für kurze Zeit.

    Schlusspfiff im Upton Park. West Ham gewinnt mit 2:1 in der Verlängerung. Auch Sullivan, Gwenn und Steve gehen in die Verlängerung, zurück in die Kneipe.


    Erfunden wurde der britische Fußball im 19. Jahrhundert in den vornehmen public schools der Oberschicht – in jenen Eliteschulen und Internaten also, in denen die Knaben auf die Grundprinzipien der viktorianischen Gesellschaftsdoktrin vorbereitet wurden: auf Männlichkeit, Konformität und Militarismus. Der Mannschaftssport Fußball bot sich dafür besonders an. Pubertierende Internatszöglinge kamen so nicht mehr auf dumme Gedanken, sondern lernten entscheidende Lektionen fürs Leben: Einstecken können, sich keine Schmerzen anmerken lassen, kämpfen bis zum Umfallen - Ideale, die sich die Arbeiterklasse später zueigen machte. Die Blut-, Schweiß- und Tränenmentalität ist tief im historischen Erbgut des britischen Fußballs verankert. Die damit verbundenen Männlichkeitsrituale beschreibt der Schriftsteller Nick Hornby in seinem Roman" Fever Pitch" (Ballfieber). Ein jugendliches Urerlebnis beim ersten Stadionbesuch.

    "Ich weiß nicht mehr viel vom Fußball an jenem ersten
    Nachmittag. (…) Alles, was ich an diesem Tag wirklich sah,
    war eine verwirrende Aneinanderreihung von unverständlichen Vorfällen, an deren Ende alle um mich herumstanden und schrieen. Falls ich das auch tat, muss es peinliche zehn Sekunden nach dem Rest der Menge gewesen sein.

    Aber ich habe andere, verlässlichere und wahrscheinlich bedeutsamere Erinnerungen. Ich erinnere mich an die überwältigende Männlichkeit der ganzen Geschichte - Zigarren- und Pfeifenrauch, verdorbene Sprache ( Worte, die ich zwar schon gehört hatte, aber nicht von Erwachsenen und nicht in dieser Lautstärke ), und erst Jahre später ging mir auf, dass das fast zwangsläufig Auswirkungen auf einen Jungen haben musste, der mit seiner Mutter und seiner Schwester zusammenlebte. Ich erinnere mich, dass ich mehr ins Publikum als auf die Spieler schaute. (…) Es war aber nicht der Umfang der Zuschauermenge oder die Tatsache, dass Erwachsene das Wort 'Wichse'" so laut sie wollten schreien konnten, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen, was mich am stärksten beeindruckte, sondern wie sehr die meisten Männer um mich herum es hassten, wirklich hassten, hier zu sein .(…) Der natürliche Grundzustand des Fußballfans ist bittere Enttäuschung, egal wie es steht .(…) Sich zu amüsieren, indem man leidet, war für mich ein vollkommen neuer Gedanke."

    Heute ist Fußball zwar kein schichtenspezifischer Sport mehr – in England sind nur noch acht Prozent der Fans Industriearbeiter. Die größte Klientel sind Besserverdienende. Doch ein geschlechtsspezifischer Sport ist Fußball immer noch – eben reine Männersache.

    Fußball ist ein Lebensgefühl. Und Frank will es nach Deutschland exportieren. Dort hat der bekennende Ex-Hooligan bereits seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht.



    Export des Lebensgefühls Fußball - Eine Punkband auf dem Weg in deutsche Stadien
    "The Well" ist ein Pub der sich auf das Wesentliche beschränkt. Ein langer Tresen, ein paar Holztische, ein Feuerlöscher. Zwei Dutzend Gäste mit Dauerdurst. In der Ecke eine schwindsüchtige Topfpflanze; darüber eine Videoüberwachungskamera. An der nikotinbraunen Wand das Menu: Burger und Fritten; Fisch und Fritten; Wurst, Schinken und Fritten. Im hinteren Raum ein Pool-Tisch, ein Gewirr von Kabeln und Scheinwerfern und eine pechschwarze Bühne, mit bleichen Lettern: "The Well" (der Brunnen). Hier treten heute die "Inselaffen" auf, eine englische Punkrock-Band eigens für die WM in Deutschland gegründet.

    Bandleader: "mad" Frank, Anfang 40. Zerschlissene Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Breit wie ein Schrank, Gesicht eines Barockengels, massenhaft Tattoos.

    "Das passiert nur einmal in deinem Leben, dass Fußball direkt vor deine Haustür kommt. Und dann gleich noch der Erzfeind. England - Deutschland, das größte Spiel der Welt."

    Frank ist Bauarbeiter, ursprünglich aus Liverpool. Jetzt wohnt er in Luton, eine halbe Autostunde nördlich von London. Frank hatte eine unruhige Kindheit. Aber in seinem Leben gibt es eine Konstante, eine allumfassende Leidenschaft.

    "Fußball ist mein Leben. Ich würde für Liverpool sterben. Ich war bei allen Liverpool-Spielen dabei, auch damals bei der Tragödie im Heysel-Stadion. Ich bin wohl als Fußballfanatiker geboren. Jimmy, mein kleiner Sohn, ist noch schlimmer. Der trägt selbst im Bett nur Fußballsachen. Natürlich ist auch Jimmy ein Liverpool-Anhänger. Sonst würde ich ihn glatt vor die Tür setzen."

    Frank holt sich zwei Pints auf einmal, dann stellt er seine Band vor. Dom: über zwei Meter groß, Schlagzeuger, Skinhead und – mitleidiges Grinsen - unverbesserlicher Southampton-Fan. John, Leadguitarre, er grölte angeblich bereits in der Wiege für Chelsea – schon damals ein Opportunist, frozzelt Frank. Der dritte im Bunde: "Toxic" Ian, Rhythmus guitarre, sein Herz schlage ebenfalls auf der falschen Seite - für Luton Town. Und am allererbärmlichsten: Joe – Bassist und Fußballwaise, der gehöre zu gar keinem Team.

    Trotz aller Rivalitäten, trotz der halb-ernsten, halb-gespielten Beleidigungen: beim Schlagwort WM werden die "Inselaffen" zu Seelenbrüdern.

    "Schneide mich in der Mitte auseinander, und wirst in meinem Innersten das große rote Georgskreuz finden. Und das gilt für jeden Einzelnen von uns."

    Frank hat seine Bandmitglieder in Deutschland kennen gelernt. Dort malochten sie auf dem Bau. Das war in den 80er Jahren, damals war die britische Wirtschaft marode. Erst arbeitete Frank im Westen: Köln, Düsseldorf, Hamburg, nach der Wende auch im Osten, Leipzig, Ost-Berlin und Weißenfels. Frank nimmt einen tiefen Schluck Bier.

    "Am Anfang war ich der einzige Engländer in Weißenfels. Die Stadt war eine totale Ruine. Meine Kumpel waren Maurer aus Ostberlin. Wenn ich von der Kneipe heimkam, war mein Auto regelmäßig zerkratzt, zerdellt, eingeschlagene Windschutzscheiben, kaputte Scheinwerfer, und so weiter. Die Bevölkerung hat uns gehasst, mich am meisten."

    Frank zog zurück nach Berlin. Dort besuchte er jedes erdenkliche Fußballspiel. Seine Kommentare über Hertha BSC sind nicht druckreif.

    "Die Deutschen spielen effizienten Fußball, wir Engländer spielen schönen Fußball. Wir sind nicht cool. Wir spielen auf Tempo, wir spielen mit Leidenschaft. Wir sind verrückt. Deswegen verlieren wir öfters als die Deutschen. Aber wir zwingen ihnen unser Spiel auf, wir stacheln sie an."

    Frank gibt freimütig zu: In ihm steckt immer noch ein Hooligan.

    "Wenn ich zu einem Spiel gehe, lasse ich mein Gehirn daheim. Ich trage teure Klamotten, das gehört dazu."

    Dann eine praktische Jacke mit vielen Taschen, und – für alle Fälle – Frank lächelt ominös - bequeme Schuhe." Deutsche Fußballfans sehen wie Bahnhofspenner aus, findet Frank:

    "Englische Fans sagen mit ihren Klamotten: Ich bin jemand. Sie wollen imponieren. Das ist so, als zögen sie in den Krieg."

    Frank seufzt. Mit 45 werde er allmählich zu langsam für Straßenschlachten, und zu alt für den Knast. Außerdem möchte er seinen kleinen Jimmy aufwachsen sehen.

    Frank fährt oft nach Berlin. Die tollste Stadt der Welt, findet er. Früher wurde er dort hart angemacht. Frank reibt nachdenklich an einem Tattoo das sich über seinen Oberarm schlängelt. Ein labyrinthisches Gewirr von Mustern, Formen, Pflanzen- und Körperteilen. Am Hals hat sich Frank ein Schimpfwort eingravieren lassen. Damit halte er sich die Leute vom Leib, sagt er: sie halten ihn schlichtweg für einen Wahnsinnigen.

    "Die meisten Tattoos sind ziemlich morbide. Dabei bin ich eigentlich eine fröhliche Seele. Aber ich gebe zu, es macht mir Spaß, andere zu schockieren. Ich bin sehr direkt, ich sage was ich meine. Ich lasse mich lieber auf eine Schlägerei ein, als dass ich mich davonschleiche."

    "Seid Ihr bereit für Deutschland? Seid Ihr bereit für die WM?"

    Die "Inselaffen" springen erneut auf die Bühne. Auf einem Plasmabildschirm flimmern Bilder von den österreichischen Alpen, von grünen Bergwiesen, Edelweiß und der Trappfamilie.

    Nach Deutschland reisen die "Inselaffen” – so betont Frank - zu rein friedlichen Zwecken:

    "Wir wollen viel trinken, möglichst wenig Geld ausgeben, Spaß haben, und natürlich unsere Nationalmannschaft unterstützen. Warum wir uns 'Inselaffen' nennen – ganz einfach: Damit brechen wir das Eis. Dann sehen die Deutschen schon am Namen, dass wir harmlos sind und uns selbst auf die Schippe nehmen."

    "Ich bin ein Teil des Clubs, genauso wie der Club ein Teil von
    mir ist. Und ich sage das in dem vollen Bewusstsein, dass der Club mich ausbeutet, meinen Ansichten keine Beachtung schenkt und mich gelegentlich schludrig behandelt. Folglich basiert mein Gefühl einer organischen Verbindung nicht auf einem wirren, sentimentalen Missverständnis darüber, wie der professionelle Fußball funktioniert. Dieser Sieg in Wembley gehörte mir ganz genau so, wie er Charlie Nicholas oder George Graham gehörte (erinnert sich Nicholas, der von Graham in der folgenden Saison nicht mehr berücksichtigt und dann verkauft wurde, auch so liebevoll an diesen Nachmittag?) Und ich habe ganz genauso hart dafür gearbeitet wie sie. Der einzige Unterschied zwischen mir und ihnen ist, dass ich mehr Stunden, mehr Jahre, mehr Jahrzehnte in diesen Nachmittag investiert hatte als sie und deshalb ein besseres Verständnis, eine süßere Dankbarkeit für ihn empfand – und daher scheint noch immer die Sonne, wenn ich an ihn denke."

    Der Kitt, der Vereine und Fans so eng zusammenhält, ist in den letzten Jahren brüchiger geworden - den Vereinen droht die Gefolgschaft wegzubrechen: Die Preise für die Eintrittskarten sind für viele unbezahlbar. Die Zuschauerzahlen in der Premier League gehen seit Jahren zurück.

    Auf die Einnahmen aus Sponsorenverträgen und Fernsehrechten kann deshalb kein Verein mehr verzichten. Dabei geht es um Millionen. Und niemand weiß, welche Entwicklung der englische Profifußball noch nehmen wird, wenn das Beispiel von FC Chelsea oder Manchester United Schule machen sollte: Beide wurden von Milliardären aus dem Ausland aufgekauft, der eine von Roman Abramowitsch aus Russland, der andere von Malcolm Glazer aus den USA. Beide nahmen dafür Millionenkredite in Anspruch. Das treibt den englischen Fußball immer mehr in die Arme der Banken und könnte die Vereine noch ruinieren.

    Die Premier League, die erste Liga, sei ohnehin schon todlangweilig geworden, sagen viele, weil sich dort nur noch die Megastars tummeln, die die Meisterschaften unter sich ausmachen. Deshalb setzen viele Vereine immer mehr auf die gezielte Förderung des Nachwuchses – und auf die Entdeckung von Talenten.



    Den Talenten auf der Spur – Ein Scout nimmt die Fährte auf

    Flughafen Stansted im Norden von London: Die Maschine aus Prag ist gerade gelandet. Unter den Passagieren, die aus der Abfertigungshalle strömen, ist auch ein Mann, der sich auf Europas Flughäfen bestens auskennt. Peter Braund, 40, Brille, leicht ergrautes, kurz geschnittenes Haar, sportliche Figur mit Jeans und Sakko, ist viel unterwegs. Er ist Scout, Talentspäher, des englischen Profi-Fußball-Klubs Manchester United. Rund 200 Spiele schaut er sich pro Jahr an – ein Leben aus dem Koffer.

    "Ja, so kann man es beschreiben. Ich sehe viele Hotelzimmer und Flughäfen, Autobahnen, Raststätten. Es ist nicht immer der gesündeste Job – lange Arbeitstage, immer unterwegs. Heute da, morgen dort. Ziemlich stressig, vor allem, was das Reisen angeht."

    Auch mit der Lobby des Flughafenhotels ist Peter bestens vertraut, denn oft macht er hier Zwischenstation auf seinem Weg nach Manchester. An einem kleinen Tisch sitzend, hat er sich ein großes Glas Mineralwasser bestellt und vor sich sein Laptop aufgebaut. Darin speichert er alle Daten der Spieler, die er beobachtet.

    "Meine Hauptarbeitsgebiete sind Deutschland, Österreich, die Schweiz, eben der gesamte deutschsprachige Raum, dazu Dänemark und Teile Osteuropas. Ich war in fast 30 Ländern, um für Manu Fußballtalente auszuspähen."

    Seit 14 Jahren arbeitet Peter schon für Manu, für Manchester United. Junge Talente gibt es überall, sagt der Fußballexperte, der es in seiner aktiven Zeit selbst nicht zum Profi geschafft hat. Die Ansprüche heute sind noch viel höher.

    "Für Manu suchen wir nur die crème de la crème. Selbst im Alter von 15, 16 Jahren müssen sie schon über so viele Qualitäten verfügen, dass alle Entscheidungsträger im Klub überzeugt sind, dass der Spieler sich in der ersten Mannschaft bewähren wird, dass er das Zeug zum Topspieler, zum Star, hat."

    Und dafür hat Peter ganz klare Kriterien:

    "Ich halte zum Beispiel fest, ob einer Rechts- oder Linksfüßer ist, ob er im Kopfball und im Zweikampf stark ist, oder ob er zum Beispiel über Grundschnelligkeit verfügt. Wenn er alle Punkte erfüllt, dann werden wir ihn verpflichten."

    Der Preis spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Jüngere Spieler mit geringerer Ablösesumme und kleinerem Gehalt sind deshalb von besonderem Interesse. Denn Fußball, gibt Peter zu, ist auch ein großes Geschäft geworden – und Fußballtalente zum Spekulationsobjekt.

    "Man hört zwar von solchen Geschichten. Von Messi zum Beispiel, der für Barcelona spielt. Der ist mit seinem Vater vor sieben Jahren von Argentinien nach Spanien gekommen, da war er zwölf. Doch es ist sehr schwierig bei ganz jungen Spielern vorher zu sagen, dass sie es auch schaffen werden, einmal auf der ganz großen Fußballbühne aufzutreten. Es hat Fälle gegeben von jungen Spielern, die mit 7 schon einen Agenten hatten und Anwälte und die dann mit 17 nicht mal mehr Fußball gespielt haben."

    Es ist 20 Uhr. Peter hat mittlerweile den Fernseher eingeschaltet. Es läuft ein Spiel der englischen Premier League. Über Ablösesummen und Gehälter will er nicht sprechen. Auch nicht darüber, dass 16, 17- Jährige bereits Monatgehälter von 50.000 bis 60.000 Euro in England verdienen können. Er nippt an seinem Wasserglas - und sagt erst einmal nichts.

    "Es wäre falsch zu sagen, dass sich die Spieler nur wegen des Geldes entscheiden. Für viele ist es einfach ein Traum, einmal in England Fußball zu spielen. Da spielt das Geld keine so große Rolle."


    Der bekennende Fußballfan und Kulturredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Dirk Schümer, hat die Fußballstadien die beliebtesten Versammlungsplätze unserer Zivilisation genannt. Das Stadion sei der letzte Ort, der alle Klassen versammle: Politiker und Manager, Arbeiter und Angestellte, Arbeitslose, Inländer, Ausländer, Alkoholkranke, Vegetarier, Christen, Muslime. Der Fußballhistoriker Raphael Honigstein sieht in den britischen Fußballstadien magische Orte der Wärme und Geborgenheit. Der Grund: In England spielt familiäre Nähe praktisch keine Rolle, in den Fußballstadien aber schon. Denn das Spiel bringt englische Väter und Söhne zusammen und sorgt so ausnahmsweise für emotionale Nähe. Besonders, wenn die Eltern sich gerade scheiden ließen und ein tristes Wochenende ansteht, wie Nick Hornby beschreibt:

    "Samstagnachmittage in Nordlondon gaben uns eine Umgebung, in der wir zusammen sein konnten. Wir konnten reden, wenn wir wollten, der Fußball gab uns ein Gesprächsthema ( in jedem Fall waren unsere Gesprächspausen nicht bedrückend), und die Tage hatten eine Struktur, einen Routineablauf. Das Spielfeld von Arsenal sollte unser Vorgarten sein und da dieser Vorgarten ein typisch englischer Rasen war, betrachteten wir ihn für gewöhnlich voll Traurigkeit durch den strömenden Rege ), die Gunners Fish Bar in der Blackstock Road unsere Küche und die Westtribüne unser Heim. Es war ein wunderbares Szenario und veränderte unser Leben, gerade als es einer Veränderung am dringendsten bedurfte, aber es war auch exklusiv: Dad und meine Schwester fanden niemals einen gemeinsamen Lebensraum. Möglicherweise würde das heute nicht passieren, möglicherweise hätte ein neunjähriges Mädchen in den neunziger Jahren das Gefühl, dass sie genau die gleiche Berechtigung hat, zu einem Spiel zu gehen wie wir damals. Aber 1969 war das in unserer Stadt keine sonderlich geläufige Idee, und meine Schwester musste mit ihrer Mutter und ihren Puppen zu Hause bleiben."

    Seit Generationen werden beim Besuch im Stadion Geschlechterrollen einstudiert und Männlichkeitsideale definiert: Die Väter müssen sich stets messen lassen mit den Idolen auf dem Rasen - ein hartes Los angesichts solcher Typen wie David Beckham und Wayne Rooney oder früher George Best und Gary Linecker.

    Im Gegensatz zu früher hat es der Nachwuchs aber heute leichter, den Vorbildern nachzueifern: Talentförderung wird im englischen Fußball groß geschrieben, fast fünf Millionen Euro gibt allein die Regierung dafür alljährlich aus. Fußballspieler ist in England ein Ausbildungsberuf wie bei uns Bäcker oder Buchhändler. Jahr für Jahr beenden dort etwa 1000 Fußball-Azubis ihre Lehre. Nur jeder Zehnte schafft es dann allerdings bis ganz nach oben. Jimmy wäre gerne einer von ihnen.



    Jimmies Traum - Die harte Arbeit an einer Profikarriere

    Kecke Augen, blonder Wuschel, klein, drahtig, flink. Der FC Liverpool hat ihn im Auge, Arsenal ebenfalls, aber weil er zu weit weg wohnt, ist er bei Luton Town gelandet. Vorerst jedenfalls. Jimmy, zehn, wohnt mit seinen Eltern in einem bescheidenen Reihenhäuschen in Flamstead, ein Dorf eine halbe Autostunde von London entfernt. In Flamstead macht ihm nur ein Fußballtalent Konkurrenz:

    Susie, eine Mischung zwischen einem Jack Russell und einem Terrier. Susie weicht Jimmy nicht von der Seite. Und ist genauso fußballverrückt wie sein Herrchen.

    "Susie liefert die fantastischsten Kopfbälle, sie ist im ganzen Dorf bekannt."

    Wenn Jimmy vor dem Haus Fußball spielt, schnappt ihm Susie flugs die Bälle weg, flitzt, trippelt, dreht Pirouetten. Eigentlich fehlt Susie nur noch ein rotes Trikot - dann wäre sie der perfekte Liverpool-Fan, so wie Jimmy. Jimmy trägt grundsätzlich nur Rot. Selbst in der Schule, wo er sich an die langweilige dunkle Schuluniform halten muss, zieht Jimmy klammheimlich das rote Trikot von Liverpool drunter.

    Jimmy’s Zimmer. Auf der Fensterbank beraten sich vier Teddies. An der Wand ein Poster seines Idols Stephen Gerard. Auf dem Regal ein Fernseher. Eine Playstation. Ein Dutzend Videos: Golf, Wrestling, Lord of the Rings. Ein paar Kinderbücher. Ein Stapel CDs des amerikanischen Rappers Eminem. Jimmys Bettbezüge und Kopfkissen sind feuerrot. Am Fußende hängt eine rot-weiße St-Georgs-Fahne, am Kopfende eine Fahne mit dem roten Logo von Liverpool: Du bist nie alleine, das Motto von Liverpool.

    Jimmy nimmt seinen Lieblingspokal in die Hand: ein Bronzefußballer. Der eine Fuß fehlt. Die Trophäe hat Jimmy wegen besonderer Verdienste von Luton bekommen. Sein Vater feierte so heftig, dass er den Pokal fallen ließ. Jimmy grinst mit der stolzen Nachsicht eines Zehnjährigen. So sei er nun mal, sein Dad.

    "Weil Luton so ein guter Verein ist, musst du total fit sein, und natürlich sehr diszipliniert. Das heißt viel trainieren, gründlich ruhen, und vor allen Dingen gesund essen."

    Jimmy schnappt sich einen Apfel, holt sich ein Glukose Getränk aus dem Kühlschrank, packt seine Sachen für das Training. Jimmy hat einen ganzen Schrank voller Fußballstiefel. Besondere Stiefel für den Regen, andere für Astro Turf, für Gras. Ein Paar Stiefel aus Leder, ein anderes Paar aus Kunststoff. Die schwarzen aus Leder mag Jimmy am liebsten: die sehen - so sagt er - besonders "zornig" aus.
    Im Auto fachsimpeln Vater und Sohn über die Ligaspiele. Vierbeiner Susie fahrt aktiv mit, steht stolz und stramm auf dem Rücksitzt, legt sich mit kurzen krummen Beinen selbst bei Höchstgeschwindigkeiten perfekt in jede Kurve.

    Der Sportplatz ist neblig, kalt und dunkel. Der Trainer nimmt die Jungs hart ran, zwölf Kinder zwischen acht und elf. Sie trippeln, tänzeln, schlängeln sich durch Hindernisse – vorwärts, rückwärts, seitwärts, ein Ballett, mit genauester Choreografie, atemberaubend schnell, präzise, hochfokussiert. "Merkst du wie diszipliniert die Jungs spielen. Die armen Kleinen, dürfen nicht mal fluchen", sagt Frank. "Auf einem normalen englischen Fußballplatz geht’s ganz anders zu."

    "Diese Jungs sind die Elite von Morgen. Sie lernen den neuen Stil. Unsere Generation hat immer nur den Ball immer in die Höhe geschossen, und ist dann drauflosgerannt. Die Deutschen haben uns deswegen oft ausgelacht. Heute spielen wir am Boden. Heute sind wir viel raffinierter."

    Während sich die Kleinen die Beine aus dem Leib rennen, erfrischen sich ihre Eltern an der Bar. Riesige Plasmabildschirme halten sie über das nationale Sportgeschehen auf dem Laufenden.

    "Jimmy küsst jeden Abend seine Fußballstiefel, und zieht sie sogar ins Bett an. Die Familienmitglieder bekommen nicht mal an Weihnachten ein Küsschen ab. Pyjamas findet Jimmy total absurd. Auch im Bett trägt Jimmy nur Fußballsachen. Und Jeans – völlig indiskutabel."

    Erst in der letzten halbe Stunde dürfen Jimmy und seine Mannschaft richtig an den Ball. Einer trägt ein extra Trikot: Er muss stets die Angreifer unterstützen, und blitzschnell die Seite wechseln.

    "Britische Fußballer werden viel früher gefördert als in Deutschland", sagt Frank. Er deutet auf einen achtjährigen Knirps, der ein helles Trikot anhat:

    "Der spielt erst einmal nur auf Probe mit. Wenn er sich bewährt, bekommt er von Luton einen festen Vertrag. Dann darf er für niemand anders mehr spielen. Diese Kids sind schon jetzt eine Menge Geld wert. Das ist wie ein Viehmarkt. Ihr Training kostet Luton ein Vermögen. Arsenal wird von Luton regelmäßig mit neuen Talenten versorgt. Wenn Luton einen jungen Spieler acht Jahre lang intensiv fördert, kann der Club ihn für 250.000 Pfund oder gar eine halbe Million weiter verkaufen. Ganz schön verrückt, oder?"

    Der kleine Jimmy behält unterdessen einen klaren Kopf. Auf dem Rückweg im Auto verrät er seine Pläne. In ein paar Jahren will Jimmy mit seiner Familie nach Liverpool ziehen. Seine Eltern stehen dahinter. Das ist die Chance, dass er beim Traumverein unterkommt. Aber Jimmy behält die Beine auf dem Boden. Selbst wenn er viel Geld verdienen würde: In eine celebrity wie David Beckham oder George Best ließe er sich nie und nimmer verwandeln.

    "Ich würde mich nicht verändern. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Ich würde keinen Diamantohrring tragen und mir bestimmt nicht die Fingernägel lackieren. Dafür bin nicht der Typ. Und George Best – nein danke. Zu viele Drinks und zu viele Frauen. Ich würde mir nicht die schönste Frau an Land ziehen, sondern lieber eine, die einen guten Charakter hat, und mich nicht an den Haaren zieht. Und die nicht mein ganzes Geld verjubelt."


    Fußball ist ein territorial game – ein territoriales Spiel, sagen englische Soziologen und verweisen auf den militärischen Grundton dieser Sportart: Gerade bei der aggressiven, schnellen und nach vorwärts drängenden Spielweise des englischen Fußballs geht es weniger um den Ball als um den Raum, den es zu erobern gilt: Das Fußballspiel folgt dem Prinzip von Angriff und Verteidigung und lässt das Stadion bei jedem Spiel zum imaginären Schlachtfeld werden.

    In den Köpfen der gewaltbereiten Hooligans steigert sich dieser Mechanismus zum Gewaltexzess. Besonders bei Auslandsspielen proben sie den Angriffskrieg. Wie bei Eroberungsfeldzügen wollen sie fremdes Territorium besetzen und demonstrativ die Macht ergreifen. So kam es zur Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion 1985, so kam es zur Katastrophe von Hilllsborough vier Jahre später. Bei diesen beiden schlimmsten Unglücken der europäischen Fußballgeschichte kamen über 100 Menschen ums Leben.

    Horrorszenarien wie diese sollen bei dieser Weltmeisterschaft ausgeschlossen werden: Seit Monaten arbeiten deutsche und britische Experten mit Polizeikräften aus ganz Europa an einem Sicherheitskonzept, das auf Prävention und Deeskalation setzt und im Zweifel hartes Durchgreifen vorsieht.

    Die Kombination aus englischen Fans, viel Bier und viel Fußball in deutschen Stadien gilt den Experten aber als besonders explosiv. Die Weltmeisterschaft weckt all jene antideutschen Ressentiments der Briten, die auch 61 Jahre nach Kriegsende noch lebendig sind. Und die britische Presse schürt sie noch, indem sie kriegerische Töne anschlägt und Nazi-Assoziationen weckt.



    Let's Blizz Frizz - Das zweifelhafte Deutschlandbild der englischen Boulevardpresse

    John Cross' Büro hat eine noble Adresse: One Canada Square, Canary Wharf, East End London. 50 Stockwerke hat der Wolkenkratzer im noblen Finanzdistrikt, der Anfang der 90er Jahre direkt an der Themse erbaut wurde.

    Auf der 22. Etage befindet sich das Großraumbüro des "Mirror". Mit einer Auflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren gehört der "Mirror" mit zu den meist gelesenen Boulevardblättern in England.

    Rund 200 Angestellte arbeiten hier auf einer Fläche so groß wie ein Fußballfeld. John, Mitte 30, Nadelstreifenhose, weißes Hemd, Bauchansatz, sitzt vor seinem Computer und schreibt eine Vorschau auf den nächsten Spieltag in der Englischen Premier League. Seit acht Jahren ist er hier fest angestellter Sportredakteur. Sein Fachgebiet und seine Leidenschaft ist Fußball. Im Juni wird er für seine Zeitung von der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland berichten. Eine Aufgabe, auf die er sich schon freut:

    "Ich glaube, das wird ziemlich aufregend werden. Alles wird sehr gut organisiert sein. Wenn es darum geht, eine Sportgroßveranstaltung wie so eine WM zu planen und durchzuführen, sind die Deutschen sicherlich perfekt. Ich glaube, für England wird es interessanter werden als bei früheren Turnieren, auch für mich als Reporter, weil wir noch nie so eine gute Chance hatten, richtig weit zu kommen."

    John räumt die Unterlagen auf seinem Schreibtisch zur Seite und kramt eine Mappe mit Artikeln aus dem Regal, die er über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft geschrieben hat - früher, als England bei großen Turnieren gegen die Deutschen den kürzen gezogen hat, meist im Elfmeterschießen. "Nein, dieses Mal wird England und Deutschland nicht aufeinandertreffen", sagt er mit einem Grinsen im Gesicht. Aber selbst wenn, die Zeiten eines Beckenbauer, Müller, oder Völler seien lange vorbei.

    "Natürlich wird Deutschland nicht schlecht spielen, weil es das Publikum im Rücken hat. Schließlich spielen sie zu Hause. Die Mannschaft wird wahrscheinlich besser spielen als allgemein erwartet wird. Allerdings glaube ich nicht, dass die deutsche Mannschaft weiter kommen wird als bis zum Viertelfinale."

    An der Wand neben John’s Schreibtisch hängt ein Bild. Es zeigt das legendäre Tor vom WM-Finale England gegen Deutschland im Wembley-Stadion 1966. Ein Fußball-Klassiker, wie fast alle Spiele der beiden Mannschaften, betont John und lacht. Ein Mythos – und das Symbol für die deutsch-britische Gegnerschaft.

    "Der Grund für dieses spezielle Verhältnis ist einfach die Rivalität. Es wäre zu einfach immer wieder nur vom Krieg zu sprechen und die Vergangenheit als einzige Erklärung zu nehmen. Ich glaube, es ist eine sportliche Rivalität. Aber es ist auch ein Stück Freundschaft und sportlicher Respekt."

    In den Schlagzeilen klingt das aber anders: Von "Blitzkrieg" ist da die Rede, von den "Krauts", wie die Deutschen da genannt werden, und von den "German tanks", den deutschen Panzern auf dem Fußballrasen. In den britischen Boulevardblättern wird stereotyp das Bild von Nazi-Deutschland gepflegt. John lächelt und kratzt sich dabei etwas verlegen mit dem Finger am Kopf.

    "Es ist alles doch nicht so ernst zu nehmen. Das ist britischer Humor und soll witzig sein. Die Fans machen sich einen Spaß daraus, wenn sie in den Stadien von 'zehn deutschen Bombern' singen. Das ist wirklich ein Witz, den jeder gern macht. Der englische Trainer Eriksson hat in einer Kampagne die Fans aufgerufen, den WM-Gastgeber nicht zu beleidigen. Aber das ist natürlich die beste Art und Weise, jemanden dazu zu provozieren, es dann erst recht zu tun."

    Aber warum schürt die Boulevardpresse diese Ressentiments noch? – John weicht aus. Dabei weiß jeder, dass aggressive Schlagzeilen die Auflage heben.

    "1996 bei der Europameisterschaft, als wir im Halbfinale gegen Deutschland spielten, da wurde meine Zeitung wegen der Schlagzeilen kritisiert. Okay, das war vielleicht nicht ganz korrekt. Aber im Grunde müssen unsere Leser zu ihrem eigenen Urteil kommen, und sie sollten sich davon nicht mitreißen lassen."

    Damals war von "german bombers" die Rede. Doch daran hat sich nicht viel geändert. Deshalb hat der deutsche Botschafter in London sich wieder einmal über das Deutschlandbild der Briten beschert. Schuld daran seien nicht nur die britischen Geschichtsbücher sondern auch der britische Boulevardjournalismus.

    "Natürlich haben wir Journalisten eine gewisse Verantwortung, dass wir ausgeglichen und fair schreiben sollen. Wenn es wirklich beleidigend ist, was wir schreiben und einen Sturm der Entrüstung verursachen, dann sind wir natürlich zu weit gegangen."

    John hat es eilig. Sein Artikel muss in 20 Minuten zum Druck. Auf Deutschland freut er sich schon, sagt er beim Aufstehen, ein tolles Land. Und er hoffe nicht, dass es in Deutschland Probleme mit englischen Hooligans geben wird, obwohl die meisten der rund 100.000 Fans ohne Eintrittskarten anreisen werden.

    "Viele Leute machen sich Sorgen, schließlich haben die englischen Fans einen schlechten Ruf. Wenn sie in derselben Stadt sind wie deutsche oder holländische Fans, dann könnte das zum Pulverfass werden, das leicht explodieren kann Die englischen Fans sind richtig sauer, dass sie nicht mehr Eintrittskarten bekommen haben. Vielleicht werden sie allein deshalb rebellieren. Und wenn es Enttäuschungen geben sollte, dann könnte das auch hässliche Reaktionen hervorrufen."

    All das ist für John jedoch noch kein Grund, den Ton der Schlagzeilen zu mäßigen und die Fußballfans aufzufordern, sich ruhig zu verhalten.
    Nach der Katastrophe im Heysel Stadion in Brüssel
    Nach der Katastrophe im Heysel-Stadion in Brüssel. (AP Archiv)
    David Beckham nach dem verschossenen Elfmeter im Viertelfinale der EM-2004 gegen Portugal
    David Beckham nach dem verschossenen Elfmeter im Viertelfinale der EM 2004 gegen Portugal. (AP)