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Leben heißt frei sein

"Ich hatte die Wahl, ein feministisches Buch zu schreiben oder einen Hautausschlag zu bekommen. Ich habe mich gegen den Ausschlag entschieden”, so Benoîte Groult zu einem Buch, das sie in Frankreich berühmt machte. Die Rede ist nicht etwa vom Bestseller "Salz auf unserer Haut”, sondern von ihrem zehn Jahre zuvor erschienenen Werk "Ödipus’ Schwester”. Es erschien, als Benoîte Groult über vierzig war und die Akne-Zeiten eigentlich vorbei waren. "Ödipus’ Schwester”, ein Manifest gegen Verstümmelungen von Frauen in der ganzen Welt, wurde für viele Französinnen der 70er Jahre zum wichtigsten Buch nach Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht”. In ihrer Autobiographie "Leben heißt frei sein” schildert Benoîte Groult ihre ersten Schritte zum Feminismus: "Ich schäme mich zwar dafür, aber ich konnte erst mit 38 Jahren sagen, daß ich Feministin bin. Davor war ich eine gewöhnliche Ehefrau, ohne Ehrgeiz, vom zweiten Ehemann dominiert. Und dann habe ich drei Töchter bekommen. Es war sehr interessant zuzusehen, wie sie eigene Wünsche äußerten und sie auch verwirklichen wollten. Ich persönlich wäre sehr gern Ärztin geworden. Ich habe aber Literatur studiert, weil es angeblich besser zur weiblichen Anmut paßte. Auch ‘Ödipus’ Schwester’ hat später mein Leben verändert. Ich war schon über vierzig, als mir die Unterdrückungsmechanismen auffielen, die Frauen überall auf der Welt in den untergeordneten Positionen festhalten. Da hat mich die Wut gepackt, und ich bin sozusagen beim Schreiben Feministin geworden."

Carine Debrabandère | 08.05.1998
    Zum Feminismus hätte Benoîte Groult schneller kommen können. Sie wird 1920 in einem recht unkonventionellen Haushalt geboren. Die Mutter: eine berühmte Modedesignerin. Der Vater: ein toleranter Intellektueller, der die Karriere seiner Frau unterstützt. Aber das Mädchen Rosie, wie man Benoîte in der Familie nennt, entwickelt sich zunächst zum lethargischen Teenager. Mit 24 heiratet sie den sanften Pierre, mit 25 ist sie Kriegswitwe. Aus Liebe versucht Benoîte Groult, mit Pierres Bruder posthum ein Kind zu zeugen. Sehr mitreißend erzählt sie, wie das Experiment mißlingt, weil auch der Bruder im Krieg fällt. Wir schreiben das Jahr 1944, und die Amerikaner - die Befreier von Paris - helfen Frauen wie Benoîte, wieder zu lachen. Zumal die GIs Präservative mitbringen, und wieder ein Hauch von Erotik über der Stadt schweben darf: man hat einfach keine Angst, ungewollt schwanger zu werden. Kondome benutzen dagegen die stolzen Franzosen der Nachkriegszeit nicht, und Benoîte Groults bereits unglückliche zweite Ehe wird von mehreren Abtreibungen zerstört. Offen schildert sie in ihrer Autobiographie dieses Trauma: "Ich wollte diese vielen Abtreibungen ausführlich beschreiben, um den heutigen Frauen zu zeigen, daß viele Rechte, die sie für selbsverständlich halten, hart erkämpft wurden, und immer wieder gefährdet sind. Ich bin ja eine prähistorische Frau, da ich vor dem Krieg geboren wurde. Zu meiner Zeit war die Abtreibung in Frankreich verboten, aber so viele Frauen - auch Frauen aus den besten Kreisen - haben zwei, drei manchmal sechs Abtreibungen über sich ergehen lassen. Sie haben dabei ihr Leben riskiert. Es wurden ja oft Stricknadeln benutzt. Und diese unerträgliche Scham! Ein Kind nicht wollen zu dürfen, gehört zu den wesentlichen Rechten der Frau."

    1975 tritt in Frankreich das Gesetz über den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch in Kraft. Benoîte Groult beginnt von nun an einen neuen Kampf: Die Feminisierung der Berufsbezeichnungen. Ein humorvolles Kapitel wird diesem linguistischen Disput gewidmet. In der französischen Sprache, von der es heißt, sie sei besonders logisch und klar, herrscht das totale Chaos über die weibliche Form bestimmter Funktionen. "Ecrivain” zum Beispiel - Schriftsteller - existiert nicht im Femininum. Außer bei Benoîte Groult: Sie bezeichnet sich seit 20 Jahren als "écrivaine”. Sie schimpft auch regelrecht, wenn es in der Zeitung heißt: "Der Minister hat seinen Schwangerschaftsurlaub angetreten!” "Man hat lange geglaubt, daß die Linguistik eine strenge und irreale Wissenschaft war", so Groult. "Aber Sprache offenbart die Vorurteile und die Tabus einer Gesellschaft. Es ist wichtig, daß Frauen nicht zu Sprachakrobaten werden, und gesagt werden muß: ‘Madame le Ministre’ also, Frau Minister. Dem Problem begegnet man allerdings nur, wenn es um prestigeträchtige Bezeichnungen geht. Im Französischen heißt es ‘Madame la Directrice’ - man benutzt die weibliche Form, wenn es sich um die Leiterin einer Grundschule handelt. Aber ‘Madame le Directeur’, also die männliche Form, wenn es um die Leitung eines Forschungsprojektes geht. Nicht die Grammatik leistet Widerstand, sondern die Köpfe! Und allen voran die der Académie française!"

    Immerhin, seitdem Lionel Jospin Frankreichs Premierminister ist, werden die fünf Ministerinnen seines Kabinetts mit "Madame la Ministre” angesprochen. Eine kleine Revolution, und ein großer Sieg für Benoîte Groult, die schon 1984 eine Regierungskommission zur Feminisierung der Berufsnamen geleitet hatte.

    Diesen Erfolg - sowie viele Etappen ihrer Lebensgeschichte - gibt Benoîte Groult in Form eines Dialogs mit der jüngeren Journalistin Josyane Savigneau wieder, die bei der Zeitung "Le Monde” arbeitet. Schade, daß dieses Zwiegespräch die Struktur des Buchs bestimmt. Denn sehr oft neigen beide Frauen dazu, feministische Urtheorien in ihr Gespräch einzubringen, was zu eher langweiligen Passagen führt.

    Für die Fans von "Salz auf unserer Haut” lohnt es sich trotzdem, "Leben heißt frei sein” zu lesen. Denn zum ersten Mal lüftet Groult das Geheimnis ihrer langjährigen Liebesaffäre mit einem amerikanischen Piloten. Der Pilot aus Blue Bell, Pennsylvania, ist die Inspirationsquelle für Gauvain, den bretonischen Hochseefischer, in den sich die Hauptfigur von "Salz auf unserer Haut” verliebt. Diese außereheliche Leidenschaft zwischen einem Fischer und einer Intellektuellen wurde in Deutschland mehr als drei Millionen Mal verkauft. Zum Vergleich: In Frankreich waren es nur 150 000 Exemplare. Benoîte Groult, über den deutschen Erfolg ihres Romans: "Das hat mit dem Bild der Frauen in den nordeuropäischen Ländern zu tun, wo der Roman überall erfolgreich war. In der keltischen Mythologie zum Beispiel gibt es viele Kriegerinnen, in der germanischen Göttersage gibt es die Walküren. In Holland oder in England haben die Frauen regiert. In Frankreich dagegen gibt es kaum Kriegerinnen, und nie war eine Königin an der Macht. Die Französin war entweder Hausfrau und Mutter, oder aber eine flatterhafte Frau. Das hat sich Gott sei Dank geändert! In Südeuropa hat George, meine selbständige Heldin, einfach gestört. Im Norden verfügt man über eine viel größere Bandbreite von Frauenrollen."

    Benoîte Groult nennt in ihrer Autobiographie zwei weitere Hypothesen für den rasanten Erfolg ihrer Love Story in Deutschland. Erstens: einer Französin wird leichter verziehen, gegen die eheliche Moral zu verstoßen. Und zweitens: Frauen, haben es offensichtlich satt, sich mit verzweifelten Frauenfiguren zu identifizieren. George stirbt nicht an Tuberkulose wie die Kameliendame und wirft sich auch nicht vor einen Zug wie Anna Karenina. Sie überlebt ihren Liebhaber und wird auch nicht dafür bestraft, daß sie zuviel liebte.