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Leben in der Coronakrise
"Menschen kommen an psychische Belastungsgrenzen"

Es sei spürbar, dass die Menschen - gerade zu Weihnachten -, mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen hätten, sagte Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, im Dlf. Dass man sich auf eine längere Phase einstellen müsste, schlage vielen auf das Gemüt.

Klaus Lieb im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Eine Frau schaut aus ihrer Wohnung auf die gegenüberliegende Häiuserzeile
Es ist jetzt schon die zweite Phase und ich kann gut verstehen, dass die Menschen belastet sind, sagt Klaus Lieb (Unsplash / Alex Ivashenko )
Die Corona-Pandemie drückt bei vielen Menschen auf die Stimmung. Auch die bevorstehenden Feiertage drohen, eine Belastung zu werden. Die erste Phase der Corona-Pandemie sei gut bewältigt worden, so Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, im Dlf. Depressionen, Ängstlichkeit und Einsamkeitskeitsgefühle seien zwar zuerst gestiegen, die Werte hätten sich danach aber wieder zurückentwickelt. In der zweiten Phase sehe man, "dass die Menschen jetzt doch noch mehr betroffen sind".
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Es gibt eine gewisse Müdigkeit"
Dass man sich nun auf eine längere Phase einstellen müsste, schlage auf das Gemüt, so Lieb. Menschen, die Sicherheit im Job hätten, seien davor jedoch besser geschützt, als etwa Menschen, die nun von Privatinsolvenz bedroht seien. Zudem sind laut Lieb auch Frauen stärker betroffen als Männer. Sie seien durch die Betreuung der Kinder und Homeschooling beispielsweise mehr belastet.
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Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Wie ist Ihre Stimmungslage nach diesen vielen Monaten der Pandemie?
Klaus Lieb: Ich kann gut verstehen und so geht es mir auch, dass wir doch eine gewisse Müdigkeit haben. Es ist jetzt schon die zweite Phase und ich kann gut verstehen, dass die Menschen belastet sind. Gerade auch im Kontrast jetzt zum Weihnachtsfest ist es doch spürbar, dass die Menschen häufig niedergestimmt sind und an die psychischen Belastungsgrenzen kommen.
Heinlein: War es nach dem ersten Schock des Frühjahrs, nach dem ersten Lockdown und dann diesem relativ stressfreien Sommer umso härter, jetzt wieder seit November in den Lockdown zu gehen und zu leben mit diesen Beschränkungen?
Lieb: Wir haben gesehen, dass wir es in der ersten Phase eigentlich ganz gut bewältigt haben, und das haben wir auch in unseren Studien gesehen. Es ist schon so gewesen, dass die Depressivität, die Ängstlichkeit, auch Einsamkeitsgefühle in der Allgemeinbevölkerung hochgegangen sind in der ersten Phase. Das hat sich dann wieder gut zurückgebildet und wir sehen jetzt in der zweiten Phase, dass die Menschen jetzt doch noch mehr betroffen sind, und das ist, glaube ich, zu sehen, dass man sich in der ersten Phase, wo doch die große Motivation da war, und jetzt, dass es noch mal kommt und dass wir uns wahrscheinlich auf eine längere Phase noch einstellen müssen, das schlägt doch aufs Gemüt. Das kann man nachvollziehen.
Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, zu Gast bei Anne Will im Ersten Deutschen Fernsehen
Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz (imago images / Jürgen Heinrich)
"Das schlägt doch aufs Gemüt"
Heinlein: Die Corona-Pandemie ist bereits wissenschaftliche Untersuchung Ihres Fachbereiches der Resilienz-Forschung. Gibt es denn Zahlen? Wie viele Menschen sind aus dem seelischen Gleichgewicht in den letzten Monaten der Pandemie geraten?
Lieb: Wir haben zum Teil repräsentative Befragungen in Deutschland. Die Datenlage ist nicht ganz so gut. Wir haben insbesondere noch keine guten Zahlen über das Auftreten jetzt neu aufgetretener schwerer depressiver Erkrankungen. Aber was wir sehen ist doch, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung doch erheblich mit Depressivität, mit Ängstlichkeit, mit Einsamkeitsgefühlen belastet sind. Aber wie Sie es auch vorher schon angetextet haben ist es so, dass andere auch in der Krise jetzt relativ gut zurechtgekommen sind. Wir haben auch in unseren Studien gesehen, dass einige Gruppen auch relativ gut damit zurechtgekommen sind.
Heinlein: Das wollte ich Sie in der Tat fragen, Herr Professor Lieb. Gibt es da Unterschiede, Frau/Mann, Alt/Jung, gebildet oder ungebildet, Stadt/Land? Lässt sich das wissenschaftlich belegen, wer besser klarkommt mit der Krise und wer nicht?
Lieb: Ich denke, ein großer Faktor ist die Sicherheit, die jemand hat. Wenn jemand einen festen Job hat und regelmäßig zur Arbeit gehen konnte, auch während der Corona-Pandemie, dann ist der sicher vor psychischer Belastung stärker geschützt als andere, die andere Menschen versorgen müssen, die sich um die Kinder Sorgen machen, die finanziell zum Beispiel belastet sind, die jetzt von Privatinsolvenz bedroht sind. Das sind schon die Menschen, die besonders im Risiko stehen, psychische Folgewirkungen zu haben. Aber wir sehen auch Geschlechterunterschiede. Frauen sind auch häufiger betroffen, erleben selber Stress stärker und sind auch häufig dann mehr mit den Folgen betroffen gewesen, mit Homeschooling und so weiter. Das ist häufig doch bei den Frauen geblieben, so dass da auch stärkere Belastungen nachweisbar sind.
Weitere Risikofaktoren sind zum Beispiel die Nähe zu Betroffenen, alle die, die im nahen Umfeld Corona-Patienten und Betroffene haben.
Es sind aber auch psychologische Faktoren. Das muss man vielleicht auch noch dazu sagen. Wir haben in unseren Studien gesehen, dass Menschen, die sehr viel grübeln, die ständig mit dem Virus beschäftigt sind, die ganz viel Medien konsumieren und immer in der Schleife drin sind, die sind auch stärker belastet.
"Ich denke, Deutschland hat das insgesamt sehr gut gemacht"
Heinlein: Grübeln die Menschen in Ostdeutschland besonders stark? Die Corona-Skepsis scheint ja in den neuen Bundesländern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, besonders hoch zu sein. Sind dort die Menschen weniger resilient als in der alten Bundesrepublik?
Lieb: Dafür haben wir jetzt keine Daten und dass da die Zahlen höher sind, da gibt es sicher nicht nur eine Antwort. Aber ich denke, es gibt auch Daten, dass es mit der politischen Orientierung übereinstimmen kann, mit Querdenkertum, dass die Menschen möglicherweise stärker dazu neigen zu sagen, das ist alles nicht so schlimm und da müssen wir uns nicht dran halten, als das vielleicht in Westdeutschland ist.
Heinlein: Sind die Querdenker und andere Corona-Skeptiker auch eine Folge fehlender Resilienz dieser Menschen? Oder hat das andere Ursachen? Fehlt da das Urvertrauen in staatliche Institutionen, auch in uns Medien etwa?
Lieb: Das weiß ich nicht, ob das jetzt direkt mit Urvertrauen oder damit korreliert. Das ist sicher sehr vielschichtig. Aber auch eine starke Ablehnung vernünftiger Empfehlungen, die natürlich auch von Staatsseiten kommen. Ich denke, Deutschland hat das insgesamt sehr gut gemacht, auch wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, zum Beispiel Frankreich, wo das Vertrauen in die staatlichen Empfehlungen sehr viel geringer ist. In Deutschland ist das eigentlich ganz gut gelaufen und ich denke, es ist wichtig, dass wir jetzt gerade auch bei Weihnachten schauen, dass wir da eine gute Linie haben und jeder für sich abwägt, wie geht er mit dem Weihnachtsfest um. Das ist ja immer eine schwierige Frage. Einerseits möchte ich die Verwandten sehen; andererseits möchte ich die natürlich auch schützen. Und es ist ja nicht nur psychischer Balsam, wenn ich jetzt meine Verwandten sehe, sondern das kann auch gut sein für mich, wenn ich weiß, ich kann die schützen, ich kann dafür sorgen, dass sie nicht krank werden. Deswegen, denke ich, ist wichtig, dass wir das einfach noch mal prüfen, dass wir so wenig wie möglich und so viel wie nötig Kontakte haben, dass das gut ausbalanciert ist. Dann ist es, glaube ich, für die Psyche am besten, denn wenn die Leute gesund bleiben, dann ist das auch wiederum für die gesamte Bevölkerung für die klinische Situation am besten, weil der Gesundheitsschutz ist natürlich das Beste. Wenn wir weniger Infektionen haben, und das haben wir im Sommer gesehen, dann sind die Leute auch wieder entspannter. Dann sind sie auch wieder psychisch besser drauf und sind vielleicht nicht so angespannt, wie wir es jetzt in der zweiten Welle sehen.
"Kontakte sind für die Resilienz der Hauptfaktor"
Heinlein: Haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen als Resilienz-Forscher Tipps und Lebenshilfen, wie man am besten durchkommt durch diese schwierigen Tage, und es werden ja mehr als Tage sein – und es werden noch Wochen und vielleicht auch Monate sein -, dass man mit diesen Belastungen besser klarkommt?
Lieb: Wir haben auf unserer Homepage vom Leibnitz-Institut in Mainz einige Tipps aufgestellt. Die kann man sich da runterladen. Wir haben auch ein Online-Programm und da werden zum Beispiel einfache Dinge vermittelt wie zum Beispiel Schlafregulation, dass man in der Situation darauf achtet, dass man einen regelmäßigen Tag hat, aber dass man auch regelmäßig schläft, dass man sich ausreichend bewegt. Das sind alles Faktoren, die auch die psychische Gesundheit erheblich fördern können. Aber es sind auch psychologische Dinge, die wir dort nennen und die man ein bisschen üben und selber auferlegen kann. Vielen hilft es zu sagen, ich akzeptiere das jetzt einfach so. Menschen, die sagen, ich habe eine Art vertikale Akzeptanz, ich kann die Situation jetzt nicht ändern, ich muss mich jetzt auch nicht die ganze Zeit darüber aufregen, sondern ich sage okay, so ist es, und ich mache jetzt das Beste daraus. Und Menschen, die sogar noch umdenken können – das haben wir auch in Studien gesehen -, denen es gelingt, in der Situation auch was Positives zu sehen, die kommen auch leichter durch die Krise. Und was die Kontakte anbelangt sind die natürlich für die Resilienz der Hauptfaktor und da gibt es zum Glück jetzt auch sehr viel mehr Möglichkeiten an Online-Videokontakten, die in 2D das nicht wirklich ersetzen können, aber doch zumindest so viel herstellen können an Verbindung. Das haben wir auch persönlich gesehen mit unseren Freunden, dass wir da zum Teil sehr viel häufiger Kontakt hatten, wenn wir gemeinsam gekocht haben oder gemeinsam etwas getrunken haben am Abend und dann auch sehr gut ins Gespräch gekommen sind mit zwei, drei Paaren. Das können auch neue Wege sein, die man da einschlägt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.