Es war ein Katastrophen-Jahrhundert für Mitteleuropa: Im 17. Jahrhundert brach die Gewalt massiv über die Menschen herein und der Kanonendonner wollte nicht mehr verstummen. Am schlimmsten traf es den Westen und Südwesten Deutschlands, denn nicht nur im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 48, sondern auch davor und danach tobten Kämpfe in Westfalen ebenso wie in der Pfalz, marodierende Söldner verheerten das Land, Heidelberg, Bonn und zahllose andere Städte gingen in Flammen auf. Nicht allein bei den Belagerungen und Feldschlachten, die Gewalt war praktisch alltäglich und allgegenwärtig.
"Was von unserer Vorstellung von Krieg weit weg ist: Das ungehemmte Plündern, die Mentalität der Söldner, sich immer wieder zu versorgen, dadurch, dass sie Bauern ausgeplündert, erpresst und irgendwie schikaniert haben."
Was für ein Leben führten Bauern in solcher Zeit? Wie gingen die Menschen mit der ständigen Angst, mit dem immer neuen Leid um? Anhand solcher Fragen arbeiten Historiker wie Dr. Thomas Becker von der Universität Bonn an einer Mentalitätsgeschichte des Krieges.
Der Schwerpunkt der Militärgeschichtsschreibung hat sich seit einigen Jahrzehnten verschoben: Forscher konzentrieren sich nicht länger auf Strategien und Logistik, also militärische Aspekte der Kriege, sondern auf den Alltag und das Erleben der Menschen. Zahllose Feldpostbriefe, Tagebücher und Gesprächsprotokolle aus den beiden Weltkriegen sind bereits untersucht worden. Für das 17. Jahrhundert werden jetzt nach und nach Kirchenbücher, Korrespondenzen und Chroniken ausgewertet – sie ergeben naturgemäß ein anderes Bild. Dr. Andreas Rutz, ebenfalls Historiker an der Universität Bonn, charakterisiert den wichtigsten Unterschied:
"Wir haben keine stehenden Heere, wir haben also Söldnerheere, angeworbene Heere, das sind Landsknechte, die von irgendwo herkommen können, die heute für die eine Seite, morgen für die andere Seite gegebenenfalls kämpfen und eine ganz zentrale Frage ist natürlich immer, wie kann ein Heer überleben? Die Ernährung, wie ist die gesichert? Und das ist eben das Phänomen, dass also vor Ort die Heere sich bedienen mussten, das kann auf vertraglicher Basis passieren, dass ein Territorium sich bereit erklärt, Einquartierungen zuzulassen oder es kommt zu Plünderungen, zu unrechtmäßigen Gewalttaten, die dann natürlich ganze Landstriche verheeren können."
Selbst auf vertraglicher Basis konnte sich eine Einquartierung für einzelne Familien oder ganze Städte zur Katastrophe entwickeln. Als kaiserliche Truppen 1543 in Bonn Quartier nahmen, um den zum Protestantismus neigenden Kölner Erzbischof Hermann von Wied unter Druck zu setzen, richteten sie solche Verwüstungen an, dass die Stadt noch bis ins 18. Jahrhundert unter den wirtschaftlichen Folgen litt.
Noch schlechter erging es den Menschen auf dem offenen Land: Sie mussten die Plünderungen durchziehender Truppen hilflos über sich ergehen lassen – ob es feindliche oder eigene Soldaten waren, machte oft keinen Unterschied. Als einzige Gegenmaßnahme blieb die "Landesdefension", erzählt Thomas Becker: Bürger und Bauern, Zivilisten also, die der Landesherr zur Verteidigung aufrief:
"Die Bauern haben dann eben die Straßen gesperrt oder sie haben Wachen aufgestellt, aber da konnte man nicht wirklich viel machen. Wenn nicht nur eine kleine Truppe von zehn bis zwölf Marodeuren erschien, sondern vielleicht ein ganzes Fähnlein, dann war ein Dorf dieser Bedrohung hilflos ausgeliefert und da war es oft sicherer, gar nichts zu tun, als diese Leute auch noch zu provozieren."
Die Folge: Wer irgend konnte, packte den Hausrat auf einen Wagen, ließ Haus und Hof im Stich, ging zu Verwandten oder einfach nur weg. Im 17. Jahrhundert erlebte Südwestdeutschland so gewaltige Fluchtbewegungen, dass man sich an Bilder der Flüchtlingstrecks 1945 erinnert fühlt, meint Professor Gerhard Fritz, Historiker an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd.
"Wir haben für einzelne Teile des Reiches gutes Zahlenmaterial. Für das frühere Herzogtum Württemberg gibt es Kriegsschadensberichte, kann man feststellen, es gibt Bevölkerungsverluste zwischen 50 und 90 Prozent. Viele sind tot, die wenigsten durch unmittelbare Kampfeinwirkungen, diese ungeheueren Bevölkerungsverluste kommen zustande zum einen durch Pestepidemien und durch Fluchtbewegungen. Insbesondere an Verkehrswegen, wo Truppen durchziehen, wird es derart unsicher, dass die Bevölkerung einfach sich absetzt."
Blieb also nichts anderes übrig, als Gesetzlosigkeit und Brutalität als unvermeidliche Begleiterscheinungen des Krieges zu akzeptieren? Wie bewertete die Gesellschaft des 17. Jahrhunderts die anhaltende Gewalttätigkeit? Andreas Rutz:
"Wir haben in der heutigen Zeit natürlich mit der Genfer Konvention ein Regelwerk. Ein solches Regelwerk gibt es in der Frühen Neuzeit nicht, zumindest nicht auf staatlich-politischer Ebene. In der Frühen Neuzeit erfolgt die Beurteilung von solchen Übergriffen ganz stark aus christlicher Perspektive, also die Frage, inwieweit der Krieg christlich ist, also gerechtfertigt ist."
Doch was hieß "christlich"? Diskutiert wurde nicht nur in der geistigen Elite, unter Philosophen, sondern auf breiter Ebene: Viele der Flugschriften, die weithin kursierten, nahmen die Frage auf.
In den Kriegen des 17. Jahrhunderts zeigten sich erstmals Ansätze zu der Ideologisierung, die heute alle großen Konflikte beherrscht: In der Gegenwart kämpft man nicht um fruchtbares Land, um Öl- oder Goldvorkommen, sondern gegen Ungläubige oder Kommunisten und immer für die Freiheit. Mit den zunehmenden Religionskonflikten entwickelte sich auch in der Frühen Neuzeit eine "richtige" und eine "falsche" christliche Seite, stellt Thomas Becker fest.
"Man hat schon in der Kriegsführung immer auch mit im Blick, dass man nicht nur ein anderes Heer bekämpft, um irgendein politisches Ziel zu erreichen, sondern dass man eben eine andere Konfession bekämpft, die man eben ganz zurückdrängen möchte, um den wahren Glauben zu etablieren. Das findet sich nur in Ansätzen. Das Gros der Söldner hatte damit im Grunde nichts zu tun, aber es schlägt dann durch, wenn man etwa feststellt, dass bei dem Entführen, um Lösegeld zu erpressen, sehr gern die Pfarrer der Gegenseite oder zum Beispiel Äbte aus Klöstern entführt werden, weil man genau die treffen möchte."
"Was von unserer Vorstellung von Krieg weit weg ist: Das ungehemmte Plündern, die Mentalität der Söldner, sich immer wieder zu versorgen, dadurch, dass sie Bauern ausgeplündert, erpresst und irgendwie schikaniert haben."
Was für ein Leben führten Bauern in solcher Zeit? Wie gingen die Menschen mit der ständigen Angst, mit dem immer neuen Leid um? Anhand solcher Fragen arbeiten Historiker wie Dr. Thomas Becker von der Universität Bonn an einer Mentalitätsgeschichte des Krieges.
Der Schwerpunkt der Militärgeschichtsschreibung hat sich seit einigen Jahrzehnten verschoben: Forscher konzentrieren sich nicht länger auf Strategien und Logistik, also militärische Aspekte der Kriege, sondern auf den Alltag und das Erleben der Menschen. Zahllose Feldpostbriefe, Tagebücher und Gesprächsprotokolle aus den beiden Weltkriegen sind bereits untersucht worden. Für das 17. Jahrhundert werden jetzt nach und nach Kirchenbücher, Korrespondenzen und Chroniken ausgewertet – sie ergeben naturgemäß ein anderes Bild. Dr. Andreas Rutz, ebenfalls Historiker an der Universität Bonn, charakterisiert den wichtigsten Unterschied:
"Wir haben keine stehenden Heere, wir haben also Söldnerheere, angeworbene Heere, das sind Landsknechte, die von irgendwo herkommen können, die heute für die eine Seite, morgen für die andere Seite gegebenenfalls kämpfen und eine ganz zentrale Frage ist natürlich immer, wie kann ein Heer überleben? Die Ernährung, wie ist die gesichert? Und das ist eben das Phänomen, dass also vor Ort die Heere sich bedienen mussten, das kann auf vertraglicher Basis passieren, dass ein Territorium sich bereit erklärt, Einquartierungen zuzulassen oder es kommt zu Plünderungen, zu unrechtmäßigen Gewalttaten, die dann natürlich ganze Landstriche verheeren können."
Selbst auf vertraglicher Basis konnte sich eine Einquartierung für einzelne Familien oder ganze Städte zur Katastrophe entwickeln. Als kaiserliche Truppen 1543 in Bonn Quartier nahmen, um den zum Protestantismus neigenden Kölner Erzbischof Hermann von Wied unter Druck zu setzen, richteten sie solche Verwüstungen an, dass die Stadt noch bis ins 18. Jahrhundert unter den wirtschaftlichen Folgen litt.
Noch schlechter erging es den Menschen auf dem offenen Land: Sie mussten die Plünderungen durchziehender Truppen hilflos über sich ergehen lassen – ob es feindliche oder eigene Soldaten waren, machte oft keinen Unterschied. Als einzige Gegenmaßnahme blieb die "Landesdefension", erzählt Thomas Becker: Bürger und Bauern, Zivilisten also, die der Landesherr zur Verteidigung aufrief:
"Die Bauern haben dann eben die Straßen gesperrt oder sie haben Wachen aufgestellt, aber da konnte man nicht wirklich viel machen. Wenn nicht nur eine kleine Truppe von zehn bis zwölf Marodeuren erschien, sondern vielleicht ein ganzes Fähnlein, dann war ein Dorf dieser Bedrohung hilflos ausgeliefert und da war es oft sicherer, gar nichts zu tun, als diese Leute auch noch zu provozieren."
Die Folge: Wer irgend konnte, packte den Hausrat auf einen Wagen, ließ Haus und Hof im Stich, ging zu Verwandten oder einfach nur weg. Im 17. Jahrhundert erlebte Südwestdeutschland so gewaltige Fluchtbewegungen, dass man sich an Bilder der Flüchtlingstrecks 1945 erinnert fühlt, meint Professor Gerhard Fritz, Historiker an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd.
"Wir haben für einzelne Teile des Reiches gutes Zahlenmaterial. Für das frühere Herzogtum Württemberg gibt es Kriegsschadensberichte, kann man feststellen, es gibt Bevölkerungsverluste zwischen 50 und 90 Prozent. Viele sind tot, die wenigsten durch unmittelbare Kampfeinwirkungen, diese ungeheueren Bevölkerungsverluste kommen zustande zum einen durch Pestepidemien und durch Fluchtbewegungen. Insbesondere an Verkehrswegen, wo Truppen durchziehen, wird es derart unsicher, dass die Bevölkerung einfach sich absetzt."
Blieb also nichts anderes übrig, als Gesetzlosigkeit und Brutalität als unvermeidliche Begleiterscheinungen des Krieges zu akzeptieren? Wie bewertete die Gesellschaft des 17. Jahrhunderts die anhaltende Gewalttätigkeit? Andreas Rutz:
"Wir haben in der heutigen Zeit natürlich mit der Genfer Konvention ein Regelwerk. Ein solches Regelwerk gibt es in der Frühen Neuzeit nicht, zumindest nicht auf staatlich-politischer Ebene. In der Frühen Neuzeit erfolgt die Beurteilung von solchen Übergriffen ganz stark aus christlicher Perspektive, also die Frage, inwieweit der Krieg christlich ist, also gerechtfertigt ist."
Doch was hieß "christlich"? Diskutiert wurde nicht nur in der geistigen Elite, unter Philosophen, sondern auf breiter Ebene: Viele der Flugschriften, die weithin kursierten, nahmen die Frage auf.
In den Kriegen des 17. Jahrhunderts zeigten sich erstmals Ansätze zu der Ideologisierung, die heute alle großen Konflikte beherrscht: In der Gegenwart kämpft man nicht um fruchtbares Land, um Öl- oder Goldvorkommen, sondern gegen Ungläubige oder Kommunisten und immer für die Freiheit. Mit den zunehmenden Religionskonflikten entwickelte sich auch in der Frühen Neuzeit eine "richtige" und eine "falsche" christliche Seite, stellt Thomas Becker fest.
"Man hat schon in der Kriegsführung immer auch mit im Blick, dass man nicht nur ein anderes Heer bekämpft, um irgendein politisches Ziel zu erreichen, sondern dass man eben eine andere Konfession bekämpft, die man eben ganz zurückdrängen möchte, um den wahren Glauben zu etablieren. Das findet sich nur in Ansätzen. Das Gros der Söldner hatte damit im Grunde nichts zu tun, aber es schlägt dann durch, wenn man etwa feststellt, dass bei dem Entführen, um Lösegeld zu erpressen, sehr gern die Pfarrer der Gegenseite oder zum Beispiel Äbte aus Klöstern entführt werden, weil man genau die treffen möchte."