Und so stießen meine Argumente gegen das "moralische Schuldprinzip" auf hartnäckigen Widerstand - vor allem als ich anführte, dass sich auch Hitler und Stalin nicht aus "freiem Willen" für "das Böse" entschieden hatten. Dass die beiden Diktatoren letztlich nur das tun konnten, was sie tragischerweise aufgrund ihrer jeweiligen Lebenserfahrungen tun mussten, war ein ungeheuerlicher Gedanke, den die meisten Zuhörer voller Entrüstung von sich wiesen.
Mit dieser gezielten Provokation führt Michael Schmidt-Salomon in seine Thematik ein. Er will seinen Lesern eine Welt "Jenseits von gut und Böse" aufweisen, eine Welt ohne Moral, die uns - wie im Untertitel seines Buches zu lesen ist - zu besseren Menschen machen soll. Dafür fängt der nach seiner Selbsterklärung "kritisch-rationale Philosoph" bei Adam und Eva an. Indem die beiden vom Baum der Erkenntnis aßen, brachten sie das Böse in die Welt - so heißt es im Mythos.
Schmidt-Salomon verfolgt dieses Sündenfallsyndrom bis in die Gegenwart und polemisiert gegen seine Wirkmächtigkeit. Mit Erkenntnissen aus der Biologie, Genetik, Verhaltens- und vor allem der Hirnforschung versucht er nachzuweisen, dass der Mensch nicht über einen freien Willen verfügt. In einem berühmt gewordenen Versuch wies der Hirnforscher Benjamin Libet nach, dass eine Handlung in den Arealen des Unbewussten vorbereitet wird und erst danach auf der Bewusstseinsbühne erscheint. Darauf nimmt Schmidt-Salomon Bezug, nicht jedoch auf die seit Jahren geführte Debatte zwischen Hirnforschern und Philosophen, die sich vor allem an der Übertragbarkeit des Versuchs entzündet. Schließlich ging es im Labor von Libet lediglich darum, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Hand zu heben und nicht darum, sich in komplexen sozialen Situationen eine Handlungsstrategie zu erarbeiten.
So ist es nicht verwunderlich, dass Schmidt-Salomon für seinen gezielten Schlag gegen die Idee der Willensfreiheit von den aktuellen Debatten fortgeht und letztlich den Schulterschluss mit einem der großen Philosophen der Vergangenheit sucht. Arthur Schopenhauer schrieb bereits vor 160 Jahren:
Ich kann tun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, Alles, was ich habe, den Armen geben. Wenn ich will! Aber ich vermag nicht, es zu wollen. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, dann würde ich es wollen können: Dann würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also tun müssen.
Mit der Einführung der Differenz von Handlungs- und Willensfreiheit ist Schmidt-Salomon in seinem Element. Dem Menschen ist zwar die äußere Freiheit als Möglichkeitsraum von Handlungen gegeben, er verfügt aber nicht über die innere Freiheit, seinen Willen nach Gutdünken zu beherrschen. Man kann halt nur wollen, was man auch will. Wenn aber der Willen nicht frei ist, so Schmidt-Salomons Gedankengang, dann gibt es auch keine moralische Schuldfähigkeit, da diese sich ja an der Unterstellung festmacht, dass sich der Handelnde zum Zeitpunkt seiner Handlung auch anders hätte verhalten können:
So schrecklich die Taten auch sind, die Menschen begangen haben, die sie heute oder in Zukunft begehen werden: Wir sollten begreifen, dass sich kein Mensch "frei" - das heißt ohne entsprechende Ursachenbedingungen für das "Böse" entscheidet.
Schmidt-Salomon plädiert dafür, dem Gut-Böse-Schema kritisch zu begegnen. Im Kleinen wie im Großen: In der moralischen Be- und Verurteilung von Mitmenschen ebenso wie in der Rede von der Achse des Bösen und seiner militärischen Bekämpfung. Und natürlich auch in der islamistischen Ideologie vom Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. All dies - so Schmidt-Salomon - sind Effekte des Gut-Böse-Memplexes, der abzuschaffen sei.
Als Memplex bezeichnet der Autor das herrschende Epochenleitbild, eine Art Virenstamm, der die Gedanken, Wünsche und Einstellungen der Menschen infiziert. Diese Herrschaftsansprüche dekonstruierende Idee ist überzeugend, wenn auch nicht ganz neu. Sowohl in den Schriften Michel Foucaults als auch in der Ethik des österreichisch-amerikanischen Kybernetikers Heinz von Foerster finden sich ähnliche Gedanken zur untergründigen Wirksamkeit der Macht und zur unrühmlichen Rolle der Moral im Herrschaftszusammenhang. Beide Denker erwähnt Schmidt-Salomon nicht.
Nach der Abrechnung mit dem Zeitalter der Moral schlägt er einen neuen Memplex vor: den der Unschuld. So wird im zweiten Teil des Buches eine Welt skizziert, in der die Menschen nicht von Anfang an mit einer im Grunde widersinnigen Schuld belastet sind und Gelassenheit oberstes Gebot wird:
Der gelassene Mensch hat die giftigen Memplexe von Schuld und Sühne, Gut und Böse etc. hinter sich gelassen. Er ist nicht stolz auf eigene Leistungen, aber auch nicht verzweifelt über eigene Schwächen. Er weiß schließlich, dass er nur der sein kann, der er ist.
Schmidt-Salomon versucht im Zeichen des Leitbilds der Unschuld eine - Zitat - "rationale Mystik" zu entwickeln, die jedoch bereits an der Selbstanwendung scheitert. Während er von der Aufhebung der Ich-Fixiertheit und dem Abbau des Egos zugunsten der Bescheidenheit aufruft, strahlt die Eitelkeit des Autors aus jeder Zeile. So erfahren wir vom musikalischen Genie Schmidt-Salomons, der Flow-Erfahrungen am Piano erlebt, wenn er sich mittags an sein Instrument setzt und - völlig zeitvergessen - erst in den Morgenstunden mit dem Spielen aufhört. Auch die Medienpräsenz von Schmidt-Salomon scheint das Ego des Autors eher aufzublähen, als zu begrenzen. So schreibt er an einer Stelle des Buches nicht einfach von einem Gespräch oder Gedankenaustausch mit einem Redakteur, das ihn befruchtete, sondern weist ausdrücklich auf die gewichtige Rolle seiner Person hin. Das liest sich dann so:
Als mich der Redaktionsleiter des Wissensmagazins der Süddeutschen Zeitung für eine Titelgeschichte interviewte...
Diese und andere Eitelkeiten beschädigen die Gedanken und Analysen des Buches erheblich. Wenn jemand seine Mitmenschen einladen möchte, mit ihm eine neue Welt zu erfinden und zu leben, macht es keinen guten Eindruck, wenn einen als Leser die unschöne Vermutung beschleicht, dass es dem Autor letztlich mehr um seinen Ruhm als um die Vision eines entspannteren Zusammenlebens geht. Selbst der Stil leidet unter den Selbstgefälligkeiten erheblich.
Während in den Analysen des ersten Teils ein zielführender Duktus vorherrscht und ein mit handverlesenen Beispielen zu teils hoher Plastizität verdichteter Text entsteht, spricht Schmidt-Salomon im zweiten Teil eigentlich nur noch von sich. Von seiner Erweckungserfahrung und seiner medial-mentalen Großartigkeit. Am Schluss des Buches versteigt sich der Autor dann sogar dazu, die Geschichte von Adam und Eva neu zu erzählen, was in etwa an die Hybris grenzt, sein Buch mit dem berühmten Titel Nietzsches zu überschreiben.
Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse
Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind
Pendo Verlag, 349 Seiten, 19,95 Euro
Mit dieser gezielten Provokation führt Michael Schmidt-Salomon in seine Thematik ein. Er will seinen Lesern eine Welt "Jenseits von gut und Böse" aufweisen, eine Welt ohne Moral, die uns - wie im Untertitel seines Buches zu lesen ist - zu besseren Menschen machen soll. Dafür fängt der nach seiner Selbsterklärung "kritisch-rationale Philosoph" bei Adam und Eva an. Indem die beiden vom Baum der Erkenntnis aßen, brachten sie das Böse in die Welt - so heißt es im Mythos.
Schmidt-Salomon verfolgt dieses Sündenfallsyndrom bis in die Gegenwart und polemisiert gegen seine Wirkmächtigkeit. Mit Erkenntnissen aus der Biologie, Genetik, Verhaltens- und vor allem der Hirnforschung versucht er nachzuweisen, dass der Mensch nicht über einen freien Willen verfügt. In einem berühmt gewordenen Versuch wies der Hirnforscher Benjamin Libet nach, dass eine Handlung in den Arealen des Unbewussten vorbereitet wird und erst danach auf der Bewusstseinsbühne erscheint. Darauf nimmt Schmidt-Salomon Bezug, nicht jedoch auf die seit Jahren geführte Debatte zwischen Hirnforschern und Philosophen, die sich vor allem an der Übertragbarkeit des Versuchs entzündet. Schließlich ging es im Labor von Libet lediglich darum, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Hand zu heben und nicht darum, sich in komplexen sozialen Situationen eine Handlungsstrategie zu erarbeiten.
So ist es nicht verwunderlich, dass Schmidt-Salomon für seinen gezielten Schlag gegen die Idee der Willensfreiheit von den aktuellen Debatten fortgeht und letztlich den Schulterschluss mit einem der großen Philosophen der Vergangenheit sucht. Arthur Schopenhauer schrieb bereits vor 160 Jahren:
Ich kann tun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, Alles, was ich habe, den Armen geben. Wenn ich will! Aber ich vermag nicht, es zu wollen. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, dann würde ich es wollen können: Dann würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also tun müssen.
Mit der Einführung der Differenz von Handlungs- und Willensfreiheit ist Schmidt-Salomon in seinem Element. Dem Menschen ist zwar die äußere Freiheit als Möglichkeitsraum von Handlungen gegeben, er verfügt aber nicht über die innere Freiheit, seinen Willen nach Gutdünken zu beherrschen. Man kann halt nur wollen, was man auch will. Wenn aber der Willen nicht frei ist, so Schmidt-Salomons Gedankengang, dann gibt es auch keine moralische Schuldfähigkeit, da diese sich ja an der Unterstellung festmacht, dass sich der Handelnde zum Zeitpunkt seiner Handlung auch anders hätte verhalten können:
So schrecklich die Taten auch sind, die Menschen begangen haben, die sie heute oder in Zukunft begehen werden: Wir sollten begreifen, dass sich kein Mensch "frei" - das heißt ohne entsprechende Ursachenbedingungen für das "Böse" entscheidet.
Schmidt-Salomon plädiert dafür, dem Gut-Böse-Schema kritisch zu begegnen. Im Kleinen wie im Großen: In der moralischen Be- und Verurteilung von Mitmenschen ebenso wie in der Rede von der Achse des Bösen und seiner militärischen Bekämpfung. Und natürlich auch in der islamistischen Ideologie vom Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. All dies - so Schmidt-Salomon - sind Effekte des Gut-Böse-Memplexes, der abzuschaffen sei.
Als Memplex bezeichnet der Autor das herrschende Epochenleitbild, eine Art Virenstamm, der die Gedanken, Wünsche und Einstellungen der Menschen infiziert. Diese Herrschaftsansprüche dekonstruierende Idee ist überzeugend, wenn auch nicht ganz neu. Sowohl in den Schriften Michel Foucaults als auch in der Ethik des österreichisch-amerikanischen Kybernetikers Heinz von Foerster finden sich ähnliche Gedanken zur untergründigen Wirksamkeit der Macht und zur unrühmlichen Rolle der Moral im Herrschaftszusammenhang. Beide Denker erwähnt Schmidt-Salomon nicht.
Nach der Abrechnung mit dem Zeitalter der Moral schlägt er einen neuen Memplex vor: den der Unschuld. So wird im zweiten Teil des Buches eine Welt skizziert, in der die Menschen nicht von Anfang an mit einer im Grunde widersinnigen Schuld belastet sind und Gelassenheit oberstes Gebot wird:
Der gelassene Mensch hat die giftigen Memplexe von Schuld und Sühne, Gut und Böse etc. hinter sich gelassen. Er ist nicht stolz auf eigene Leistungen, aber auch nicht verzweifelt über eigene Schwächen. Er weiß schließlich, dass er nur der sein kann, der er ist.
Schmidt-Salomon versucht im Zeichen des Leitbilds der Unschuld eine - Zitat - "rationale Mystik" zu entwickeln, die jedoch bereits an der Selbstanwendung scheitert. Während er von der Aufhebung der Ich-Fixiertheit und dem Abbau des Egos zugunsten der Bescheidenheit aufruft, strahlt die Eitelkeit des Autors aus jeder Zeile. So erfahren wir vom musikalischen Genie Schmidt-Salomons, der Flow-Erfahrungen am Piano erlebt, wenn er sich mittags an sein Instrument setzt und - völlig zeitvergessen - erst in den Morgenstunden mit dem Spielen aufhört. Auch die Medienpräsenz von Schmidt-Salomon scheint das Ego des Autors eher aufzublähen, als zu begrenzen. So schreibt er an einer Stelle des Buches nicht einfach von einem Gespräch oder Gedankenaustausch mit einem Redakteur, das ihn befruchtete, sondern weist ausdrücklich auf die gewichtige Rolle seiner Person hin. Das liest sich dann so:
Als mich der Redaktionsleiter des Wissensmagazins der Süddeutschen Zeitung für eine Titelgeschichte interviewte...
Diese und andere Eitelkeiten beschädigen die Gedanken und Analysen des Buches erheblich. Wenn jemand seine Mitmenschen einladen möchte, mit ihm eine neue Welt zu erfinden und zu leben, macht es keinen guten Eindruck, wenn einen als Leser die unschöne Vermutung beschleicht, dass es dem Autor letztlich mehr um seinen Ruhm als um die Vision eines entspannteren Zusammenlebens geht. Selbst der Stil leidet unter den Selbstgefälligkeiten erheblich.
Während in den Analysen des ersten Teils ein zielführender Duktus vorherrscht und ein mit handverlesenen Beispielen zu teils hoher Plastizität verdichteter Text entsteht, spricht Schmidt-Salomon im zweiten Teil eigentlich nur noch von sich. Von seiner Erweckungserfahrung und seiner medial-mentalen Großartigkeit. Am Schluss des Buches versteigt sich der Autor dann sogar dazu, die Geschichte von Adam und Eva neu zu erzählen, was in etwa an die Hybris grenzt, sein Buch mit dem berühmten Titel Nietzsches zu überschreiben.
Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse
Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind
Pendo Verlag, 349 Seiten, 19,95 Euro