Es heißt, man gewöhne sich mit der Zeit an den Krieg. Aber wie lange braucht man dafür? Wochen, Monate? Die Schüsse und Einschläge nehmen wir schon nach wenigen Tagen nur noch als Hintergrundgeräusch wahr. Aber wie sollen wir uns an das gewöhnen, was man sich in Syrien antut?
"Da unten ziehen wir sie immer raus", sagen die Männer und führen uns durch kniehohes Gras hinunter zum Fluss. Sein Wasser ist braun, schaumig, schmutzig, unterhalb einer Brücke haben syrische Rebellen engmaschige Metallgitter ins Flussbett getrieben. Wenn der Kuwaik, der mitten durch Aleppo strömt, Hochwasser führt, bleiben in diesen Gittern Leichen hängen. An manchen Tagen fünf, an anderen ein Dutzend, in den vergangenen Monaten wurden hier mehr als hundert Tote ans Ufer gespült. Stromauf, im Westen der Stadt, den das Regime kontrolliert, wirft man sie ins Wasser. Dann treiben sie stromab in die östlichen Stadtviertel, zu den Rebellen.
"Ich habe zehn Leichen aus dem Wasser geholt, eine von ihnen war mein Cousin. Er lebte drüben auf der Regierungsseite und versuchte, zu uns rüber zu kommen. Da haben sie ihn irgendwo erwischt. Was für eine Schande ist das! Hier werden einfach so Menschen ermordet und wie ein Stück Vieh ins Wasser geworfen. Wir haben diese Gitter in den Fluss gesetzt, damit sie nicht weitertreiben. Manchmal sind die Toten entstellt und nackt. Dann wickeln wir sie in Decken."
Assads Truppen und islamistische Rebellen überbieten sich an Brutalität. Alawitische Milizen verüben Massaker an Sunniten. Sunnitische Milizen rächen sich an Alawiten. Der ARD-Fernsehreporter Jörg Armbruster und ich sind erst vor wenigen Tagen nach Syrien eingereist, illegal, über die türkische Grenze. Das Land dort ist eine weite fruchtbare Hochebene. Bauernland – überall Felder, Olivenbäume, Wiesen voll Klee, auf denen die Kirschbäume blühen. Die Jahreszeit ist womöglich das Einzige, was übrig geblieben ist vom arabischen Frühling.
Wir haben ihn in den vergangenen zwei Jahren überall miterlebt: in Ägypten, in Libyen, im Jemen. Jedes Mal dachten wir in den ersten euphorischen Monaten, das sei der große nahöstliche Aufbruch in Freiheit und Demokratie. Und jedes Mal haben wir miterlebt, wie die Hoffnung in sich zusammenfällt. Warum? Wieso ist es mit jeder Revolution nur schlimmer geworden, blutiger, grausamer als zuvor?
Solange es hell ist, sind wir mit einem Kleinbus in der Stadt unterwegs. Wenn die Abenddämmerung kommt, ziehen wir uns in eines der nahe gelegenen Bauerndörfer zurück. So hoffen wir, das Risiko berechenbar halten zu können. In Aleppo wird schon tagsüber ständig geschossen. In der Dunkelheit aber, vor allem nach Mitternacht, nimmt der Beschuss noch um einiges zu. Nun ist Aleppo so verwüstet, als habe die Erde gebebt und ganze Häuserzeilen zum Einsturz gebracht. Es ist eine Stadt voller Bombenlücken, Müllbergen und Ruinen.
Es gibt kein Wasser mehr, wir haben seit Tagen kein Wasser mehr, brüllt ein Mann einem nervösen Menschenhaufen entgegen. Seit Stunden stehen sie da mit Plastikflaschen und Plastikkanistern, drängen sich vor einer Moschee, aus deren Rückwand ein rostiges, vor sich hintröpfelndes Wasserrohr ragt. Jede Straßensperre in Aleppo ist anders als die, die man gerade hinter sich hat. Eben passierten wir noch einen Checkpoint der Islamisten-Miliz, wo die Bärtigen mit den schwarzen Stirnbändern stehen. Jetzt blockiert ein quer gestellter Wagen die Fahrspur, daneben zwei Benzinfässer und zwei Aufständische der Freien Syrischen Armee, die ihre Kalaschnikows schwenken. "Fahrt zurück", sagen sie. "Hier sind gerade zwei Raketen eingeschlagen".
"Da unten ziehen wir sie immer raus", sagen die Männer und führen uns durch kniehohes Gras hinunter zum Fluss. Sein Wasser ist braun, schaumig, schmutzig, unterhalb einer Brücke haben syrische Rebellen engmaschige Metallgitter ins Flussbett getrieben. Wenn der Kuwaik, der mitten durch Aleppo strömt, Hochwasser führt, bleiben in diesen Gittern Leichen hängen. An manchen Tagen fünf, an anderen ein Dutzend, in den vergangenen Monaten wurden hier mehr als hundert Tote ans Ufer gespült. Stromauf, im Westen der Stadt, den das Regime kontrolliert, wirft man sie ins Wasser. Dann treiben sie stromab in die östlichen Stadtviertel, zu den Rebellen.
"Ich habe zehn Leichen aus dem Wasser geholt, eine von ihnen war mein Cousin. Er lebte drüben auf der Regierungsseite und versuchte, zu uns rüber zu kommen. Da haben sie ihn irgendwo erwischt. Was für eine Schande ist das! Hier werden einfach so Menschen ermordet und wie ein Stück Vieh ins Wasser geworfen. Wir haben diese Gitter in den Fluss gesetzt, damit sie nicht weitertreiben. Manchmal sind die Toten entstellt und nackt. Dann wickeln wir sie in Decken."
Assads Truppen und islamistische Rebellen überbieten sich an Brutalität. Alawitische Milizen verüben Massaker an Sunniten. Sunnitische Milizen rächen sich an Alawiten. Der ARD-Fernsehreporter Jörg Armbruster und ich sind erst vor wenigen Tagen nach Syrien eingereist, illegal, über die türkische Grenze. Das Land dort ist eine weite fruchtbare Hochebene. Bauernland – überall Felder, Olivenbäume, Wiesen voll Klee, auf denen die Kirschbäume blühen. Die Jahreszeit ist womöglich das Einzige, was übrig geblieben ist vom arabischen Frühling.
Wir haben ihn in den vergangenen zwei Jahren überall miterlebt: in Ägypten, in Libyen, im Jemen. Jedes Mal dachten wir in den ersten euphorischen Monaten, das sei der große nahöstliche Aufbruch in Freiheit und Demokratie. Und jedes Mal haben wir miterlebt, wie die Hoffnung in sich zusammenfällt. Warum? Wieso ist es mit jeder Revolution nur schlimmer geworden, blutiger, grausamer als zuvor?
Solange es hell ist, sind wir mit einem Kleinbus in der Stadt unterwegs. Wenn die Abenddämmerung kommt, ziehen wir uns in eines der nahe gelegenen Bauerndörfer zurück. So hoffen wir, das Risiko berechenbar halten zu können. In Aleppo wird schon tagsüber ständig geschossen. In der Dunkelheit aber, vor allem nach Mitternacht, nimmt der Beschuss noch um einiges zu. Nun ist Aleppo so verwüstet, als habe die Erde gebebt und ganze Häuserzeilen zum Einsturz gebracht. Es ist eine Stadt voller Bombenlücken, Müllbergen und Ruinen.
Es gibt kein Wasser mehr, wir haben seit Tagen kein Wasser mehr, brüllt ein Mann einem nervösen Menschenhaufen entgegen. Seit Stunden stehen sie da mit Plastikflaschen und Plastikkanistern, drängen sich vor einer Moschee, aus deren Rückwand ein rostiges, vor sich hintröpfelndes Wasserrohr ragt. Jede Straßensperre in Aleppo ist anders als die, die man gerade hinter sich hat. Eben passierten wir noch einen Checkpoint der Islamisten-Miliz, wo die Bärtigen mit den schwarzen Stirnbändern stehen. Jetzt blockiert ein quer gestellter Wagen die Fahrspur, daneben zwei Benzinfässer und zwei Aufständische der Freien Syrischen Armee, die ihre Kalaschnikows schwenken. "Fahrt zurück", sagen sie. "Hier sind gerade zwei Raketen eingeschlagen".
Aus Demonstranten wurden Rebellen
Vor zwei Jahren hatte dieser Aufstand weit weg von Aleppo mit friedlichen ländlichen Protesten begonnen. "Thawra" – Revolution, riefen die jugendlichen Demonstranten in Daraa und Deir al Sor. Eine thawra auf Syrisch wollten sie machen, kultivierter, zivilisierter als die in Libyen oder Ägypten. Und glaubten womöglich, es sei gar nicht so schwer, diesen jungen, nicht ganz unsympathischen Präsidenten zu kippen, der sich so weltoffen gab und eine Frau hat, die gerne Jeans trägt. Doch vom ersten Tag an wurden die Demonstranten von Baschar al Assads Soldateska zusammengeschossen. Sie begruben ihre Toten und zogen von Neuem los, immer noch friedlich, immer noch ohne Gewalt. Sechs Monate lang ging das so. Erst als viel zu viele gestorben waren in Hama, Idlib und Homs, wurden aus vielen Demonstranten Rebellen.
Inzwischen gibt es keine friedlichen Massenkundgebungen mehr. Das Land zerfällt in seine ethnischen und religiösen Bestandteile: Alawiten und Christen sehen sich von den Sunniten bedroht, die Sunniten wiederum fürchten die Alawiten, die Kurden lavieren zwischen den Fronten. Im Sommer 2012 eroberten die sunnitisch dominierten Aufständischen den Osten Aleppos und lähmten damit die zweitwichtigste Wirtschaftsmetropole des Landes. Rückzug scheint nicht mehr infrage zu kommen, für keine der beiden Seiten.
Ein paar Hundert Meter weiter feuern FSA-Soldaten gerade aus einer Geschützstellung. Wir warten auf den Stadtkommandanten der FSA, Rebellenoberst Abdul Jabbar Akaidi. Früher war er General der Regierungsarmee, bis er dann im Sommer 2011 zu den Aufständischen überlief. Der Oberst empfängt uns mit festem Händedruck und hochgekrempelten Ärmeln. Er will uns die militärische Lage erklären:
"Wir machen täglich Fortschritte, an allen Fronten. Wir haben heute eine Moschee erobert, eine Zweite werden wir noch nehmen. Wir haben im hart umkämpften Viertel Salah id Din einige Straßen unter unsere Kontrolle gebracht und sind in der Altstadt vorwärtsgekommen. Wir machen große Fortschritte."
Das muss man als Oberkommandierender so formulieren, wenn sich seit Monaten nichts mehr bewegt. Der anfangs friedliche Aufstand, der immer blutiger wurde, ist in Aleppo zum Stellungskrieg degeneriert. Das Regime hat seine Taktik verändert und den Verhältnissen angepasst: Es versucht jetzt nur noch in Damaskus, rebellische Stadtviertel zurückzuerobern. In Aleppo und anderen umkämpften Städten hingegen vermeidet die Armee verlustreiche Häuserkämpfe. Sie richtet stattdessen mit Flächenbombardements, Artillerie- und Raketenbeschuss großflächige Verwüstungen an. Dem haben die Aufständischen wenig entgegenzusetzen, solange sie der Westen nicht mit entsprechenden Waffen versorgt.
"Der Westen will offenbar, dass Syrien zerbricht und zerstört wird. Assad bekommt von Russland und dem Iran modernste Waffen geliefert. Wir erhalten vom Westen nur leere Versprechungen. Sonst nichts. Es hieß, man wolle uns wenigstens Schutzwesten und Kommunikationsmittel liefern, nichts haben wir bislang bekommen."
Inzwischen gibt es keine friedlichen Massenkundgebungen mehr. Das Land zerfällt in seine ethnischen und religiösen Bestandteile: Alawiten und Christen sehen sich von den Sunniten bedroht, die Sunniten wiederum fürchten die Alawiten, die Kurden lavieren zwischen den Fronten. Im Sommer 2012 eroberten die sunnitisch dominierten Aufständischen den Osten Aleppos und lähmten damit die zweitwichtigste Wirtschaftsmetropole des Landes. Rückzug scheint nicht mehr infrage zu kommen, für keine der beiden Seiten.
Ein paar Hundert Meter weiter feuern FSA-Soldaten gerade aus einer Geschützstellung. Wir warten auf den Stadtkommandanten der FSA, Rebellenoberst Abdul Jabbar Akaidi. Früher war er General der Regierungsarmee, bis er dann im Sommer 2011 zu den Aufständischen überlief. Der Oberst empfängt uns mit festem Händedruck und hochgekrempelten Ärmeln. Er will uns die militärische Lage erklären:
"Wir machen täglich Fortschritte, an allen Fronten. Wir haben heute eine Moschee erobert, eine Zweite werden wir noch nehmen. Wir haben im hart umkämpften Viertel Salah id Din einige Straßen unter unsere Kontrolle gebracht und sind in der Altstadt vorwärtsgekommen. Wir machen große Fortschritte."
Das muss man als Oberkommandierender so formulieren, wenn sich seit Monaten nichts mehr bewegt. Der anfangs friedliche Aufstand, der immer blutiger wurde, ist in Aleppo zum Stellungskrieg degeneriert. Das Regime hat seine Taktik verändert und den Verhältnissen angepasst: Es versucht jetzt nur noch in Damaskus, rebellische Stadtviertel zurückzuerobern. In Aleppo und anderen umkämpften Städten hingegen vermeidet die Armee verlustreiche Häuserkämpfe. Sie richtet stattdessen mit Flächenbombardements, Artillerie- und Raketenbeschuss großflächige Verwüstungen an. Dem haben die Aufständischen wenig entgegenzusetzen, solange sie der Westen nicht mit entsprechenden Waffen versorgt.
"Der Westen will offenbar, dass Syrien zerbricht und zerstört wird. Assad bekommt von Russland und dem Iran modernste Waffen geliefert. Wir erhalten vom Westen nur leere Versprechungen. Sonst nichts. Es hieß, man wolle uns wenigstens Schutzwesten und Kommunikationsmittel liefern, nichts haben wir bislang bekommen."
Ein Krieg ohne feste Frontlinien
Das Stadtviertel, in dem wir uns gerade befinden, liegt angeblich etwas abseits der Front, fünf Kilometer von der umkämpften Altstadt Aleppos entfernt. Vielleicht sind es auch acht oder vier Kilometer, wir wissen es nicht. Das ist kein Krieg, in dem es feste, klare Frontlinien gäbe. Es ist ein Krieg der Konfusion, der Hinterhalte und Irrwege. Ständig sind wir gezwungen, die Richtung und unsre Pläne zu ändern, weil eine Straße, die gestern noch frei war, plötzlich wieder umkämpft ist. Unterwegs sehen wir lachende, spielende Kinder zwischen ausgebombten Ruinen. Irgendwo weiter weg scheint eine Bombe eingeschlagen zu haben, aber die Kinder scheinen es nicht einmal gehört zu haben.
"Was machst Du da", fragen wir einen Jungen.
"Ich hab mein Rad repariert", sagt er,
"der Reifen war kaputt, jetzt geht’s wieder."
Und wie er fröhlich davon radelt, kommen andere Kinder neugierig heran.
"Habt ihr keine Angst?", fragen wir.
"Nein", sagen sie, "überhaupt nicht, das ist doch normal. Hier fällt immer wieder mal eine Bombe."
Manchmal sind ein paar Kinder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Dann liegen sie blutend auf der Straße. Wenn sie Glück haben, leben sie noch, werden in ein Notlazarett gebracht und im Keller auf einen OP-Tisch gelegt.
Wie Hassan, 5 Jahre alt. Granatsplitter haben Cent-große Löcher in seinen Körper gerissen, am Hals, an der Schulter, am Rücken. Dr. Muajid steht da, streift sich die blutverschmierten Chirurgen-Handschuhe von den Händen und spricht mit Hassans Vater:
"Dein Sohn wurde schwer verletzt. Aber wir haben die Splitter entfernt, Du musst Dir jetzt keine Sorgen mehr machen. Er wird durchkommen."
Der Vater antwortet, das sei sein Jüngster. Er habe doch nur zwei Söhne. Der andere, Ältere, sei behindert. Und jetzt habe man auch noch sein gesundes Kind zusammengeschossen.
Assad setzt mittlerweile ballistische Lenkwaffen ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Scud-Raketen werden von Damaskus aus auf Aleppo gefeuert, elf Meter lang, mit bis zu 1.000 Kilogramm schweren Gefechtsköpfen bestückt. Ihr Ziel ist einzig und allein, im Osten Aleppos möglichst viel zu zerstören und möglichst Viele zu töten. Das Regime bestraft die Einwohner dafür, im falschen Stadtteil Zuhause zu sein.
"Seid Ihr nur hergekommen, um uns zu filmen, wollt Ihr schöne Bilder von uns machen? Ihr seht doch, was mit uns geschieht. Was wollt Ihr hier? Überall nur Zerstörung, Lügen, Scheiße. Hört auf damit. Sofort. Assad wird uns im Fernsehen sehen und dann schickt er uns noch eine Rakete."
Beruhig‘ dich doch, sagen ein paar Männer, die in der Scheich Schana-Straße aus einer Staubwolke auftauchen. Überall hier ist Staub – kalkweiß, im Gesicht, auf den Kleidern, der Haut, den Haaren. Wo die Scud-Rakete einschlug, hat sie zwischen den Häuserzeilen eine so breite Schneise geschlagen, dass heftige Böen immer wieder Staubwolken über das Trümmerfeld jagen. Am Ende der Straße sind ein paar Häuser stehen geblieben, übersät mit Rissen und Löchern, durch die Tageslicht ins Treppenhaus fällt.
Die Familien der Brüder Ali und Mohammed Quadun sind wenigstens noch zusammen: Alle 18 haben überlebt, teilen sich jetzt im vierten Stock zwei Zimmer und ein Dach überm Kopf. Die Kinder sitzen auf dem Boden und starren uns an. Die Frauen bringen Tee. Es gibt sogar ein paar Schokoladenriegel für die Gäste aus Deutschland. Deswegen können die Kinder den Blick nicht von uns lassen. Ali, der ältere Bruder, fängt an zu reden:
"Wir sind einfache Leute, wir haben mit Politik nichts zu tun. Wir wollen nur abends unseren Kindern etwas zu essen geben. Wir wollen von niemandem was, weder vom Regime noch von den Rebellen. Wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und sicher und anständig leben."
Mohammed sagt nach einem Granateinschlag:
"Siehst Du, das haben wir hier jeden Tag. Jeden Tag geht das so. Das war gleich nebenan. Die Kinder können schon genau unterscheiden: Das war ein Mörser, das war eine Haubitze, das war eine Panzergranate."
"Was machst Du da", fragen wir einen Jungen.
"Ich hab mein Rad repariert", sagt er,
"der Reifen war kaputt, jetzt geht’s wieder."
Und wie er fröhlich davon radelt, kommen andere Kinder neugierig heran.
"Habt ihr keine Angst?", fragen wir.
"Nein", sagen sie, "überhaupt nicht, das ist doch normal. Hier fällt immer wieder mal eine Bombe."
Manchmal sind ein paar Kinder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Dann liegen sie blutend auf der Straße. Wenn sie Glück haben, leben sie noch, werden in ein Notlazarett gebracht und im Keller auf einen OP-Tisch gelegt.
Wie Hassan, 5 Jahre alt. Granatsplitter haben Cent-große Löcher in seinen Körper gerissen, am Hals, an der Schulter, am Rücken. Dr. Muajid steht da, streift sich die blutverschmierten Chirurgen-Handschuhe von den Händen und spricht mit Hassans Vater:
"Dein Sohn wurde schwer verletzt. Aber wir haben die Splitter entfernt, Du musst Dir jetzt keine Sorgen mehr machen. Er wird durchkommen."
Der Vater antwortet, das sei sein Jüngster. Er habe doch nur zwei Söhne. Der andere, Ältere, sei behindert. Und jetzt habe man auch noch sein gesundes Kind zusammengeschossen.
Assad setzt mittlerweile ballistische Lenkwaffen ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Scud-Raketen werden von Damaskus aus auf Aleppo gefeuert, elf Meter lang, mit bis zu 1.000 Kilogramm schweren Gefechtsköpfen bestückt. Ihr Ziel ist einzig und allein, im Osten Aleppos möglichst viel zu zerstören und möglichst Viele zu töten. Das Regime bestraft die Einwohner dafür, im falschen Stadtteil Zuhause zu sein.
"Seid Ihr nur hergekommen, um uns zu filmen, wollt Ihr schöne Bilder von uns machen? Ihr seht doch, was mit uns geschieht. Was wollt Ihr hier? Überall nur Zerstörung, Lügen, Scheiße. Hört auf damit. Sofort. Assad wird uns im Fernsehen sehen und dann schickt er uns noch eine Rakete."
Beruhig‘ dich doch, sagen ein paar Männer, die in der Scheich Schana-Straße aus einer Staubwolke auftauchen. Überall hier ist Staub – kalkweiß, im Gesicht, auf den Kleidern, der Haut, den Haaren. Wo die Scud-Rakete einschlug, hat sie zwischen den Häuserzeilen eine so breite Schneise geschlagen, dass heftige Böen immer wieder Staubwolken über das Trümmerfeld jagen. Am Ende der Straße sind ein paar Häuser stehen geblieben, übersät mit Rissen und Löchern, durch die Tageslicht ins Treppenhaus fällt.
Die Familien der Brüder Ali und Mohammed Quadun sind wenigstens noch zusammen: Alle 18 haben überlebt, teilen sich jetzt im vierten Stock zwei Zimmer und ein Dach überm Kopf. Die Kinder sitzen auf dem Boden und starren uns an. Die Frauen bringen Tee. Es gibt sogar ein paar Schokoladenriegel für die Gäste aus Deutschland. Deswegen können die Kinder den Blick nicht von uns lassen. Ali, der ältere Bruder, fängt an zu reden:
"Wir sind einfache Leute, wir haben mit Politik nichts zu tun. Wir wollen nur abends unseren Kindern etwas zu essen geben. Wir wollen von niemandem was, weder vom Regime noch von den Rebellen. Wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden und sicher und anständig leben."
Mohammed sagt nach einem Granateinschlag:
"Siehst Du, das haben wir hier jeden Tag. Jeden Tag geht das so. Das war gleich nebenan. Die Kinder können schon genau unterscheiden: Das war ein Mörser, das war eine Haubitze, das war eine Panzergranate."
Weltkulturerbe wurde zerstört
Zerstört wird hier eine der ältesten Städte der Welt. Und es war noch bis vor einem Jahr eine der schönsten Städte der Welt. 1986 wurde die Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Alles umsonst. Der Basar und die Zitadelle sind Frontlinie geworden, die Stadtmauern bieten Deckung vor den Kugeln von Heckenschützen. Und überall wehen nun in Aleppo und auf dem Land die schwarzen Fahnen mit dem in weißen Lettern aufgedruckten islamischen Glaubensbekenntnis.
Bis vor wenigen Monaten hatte diese Fahne noch eine abschreckende Wirkung, sie wurde gleichgesetzt mit Al Kaida und der Dschabaat al Nusra – der Nusra-Front. Sie ist die radikalste islamistische Miliz, die in Syrien kämpft; ein Ableger der "Aqi" – der Al Kaida-Gruppierung im Irak. Vor einigen Monaten waren die Nusra-Kämpfer noch Phantome, berüchtigt aber unsichtbar, kaum ein westlicher Journalist hatte sie je zu Gesicht bekommen. Westliche Regierungen haben die Nusra als Terrororganisation eingestuft. Doch in den Straßen Aleppos werden sie mittlerweile wie Helden gefeiert, die bereit sind, für die Armen und vom Westen Verlassenen ihr Leben zu opfern:
"Nur die Nusra schützt uns. Warum sollten wir gegen die Nusra sein, wenn sie für uns ist. Die Nusra-Kämpfer sind für den Islam, für Allah und Mohammed. Die Nusra ist gut für uns, das sind gute Männer, wir lieben sie."
Aleppo ist zum Zentrum der Nusra-Dschihadisten geworden, etwa 800 bis 1.000 Kämpfer halten sich angeblich im östlichen Stadtgebiet auf. Ihr Kriegsziel reicht weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Sie kämpfen für ein sunnitisches Emirat, das vom Irak bis zum Libanon reicht. Ahrar al-scham, die zweite schlagkräftige Islamistenmiliz, gäbe sich schon zufrieden mit einem syrischen Gottesstaat.
Der Aufstand gegen Assad artet immer mehr zu einem Religionskrieg zwischen sunnitischen Rebellen und einem Regime aus, das die alawitisch-schiitische Minderheit repräsentiert. Auf Propaganda können die Islamisten verzichten. Es genügt, dass sich der Westen so verhält, wie er es seit zwei Jahren tut: passiv, ratlos und ignorant, weil er den Menschen in den umkämpften Städten keine humanitäre Hilfe gewährt: Das überlässt er den Islamisten, die Geld aus Katar und Saudi-Arabien bekommen und es an Krankenhäuser und Ausgebombte verteilen.
Irgendwann, wenn einmal alles vorbei ist, wenn Hunderttausende gestorben und Assad gestürzt ist, was geschieht dann? Die Frage haben wir dem einzigen Islamisten gestellt, der bereit war, mit uns zu reden. Er war Gast in einem Haus, in das man uns einlud; ein höflicher junger Mann, der andauernd lächelte und süßen Tee mit uns trank:
"Was dann geschieht? Wir werden einen islamischen Staat aufbauen. Wir werden nach den Gesetzen der Scharia leben, so wie es die islamische Ordnung vorschreibt. Die Christen sind eigentlich kein Problem für uns. Die meisten werden ohnehin von selbst verschwinden. Aber die Alawiten … die haben nur eine Wahl: Entweder sie gehen, oder wir müssen ihnen den Kopf abschlagen. Das sind Abtrünnige, sie beleidigen den Islam, dafür gibt es nur eine Strafe: das Schwert."
Bis vor wenigen Monaten hatte diese Fahne noch eine abschreckende Wirkung, sie wurde gleichgesetzt mit Al Kaida und der Dschabaat al Nusra – der Nusra-Front. Sie ist die radikalste islamistische Miliz, die in Syrien kämpft; ein Ableger der "Aqi" – der Al Kaida-Gruppierung im Irak. Vor einigen Monaten waren die Nusra-Kämpfer noch Phantome, berüchtigt aber unsichtbar, kaum ein westlicher Journalist hatte sie je zu Gesicht bekommen. Westliche Regierungen haben die Nusra als Terrororganisation eingestuft. Doch in den Straßen Aleppos werden sie mittlerweile wie Helden gefeiert, die bereit sind, für die Armen und vom Westen Verlassenen ihr Leben zu opfern:
"Nur die Nusra schützt uns. Warum sollten wir gegen die Nusra sein, wenn sie für uns ist. Die Nusra-Kämpfer sind für den Islam, für Allah und Mohammed. Die Nusra ist gut für uns, das sind gute Männer, wir lieben sie."
Aleppo ist zum Zentrum der Nusra-Dschihadisten geworden, etwa 800 bis 1.000 Kämpfer halten sich angeblich im östlichen Stadtgebiet auf. Ihr Kriegsziel reicht weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Sie kämpfen für ein sunnitisches Emirat, das vom Irak bis zum Libanon reicht. Ahrar al-scham, die zweite schlagkräftige Islamistenmiliz, gäbe sich schon zufrieden mit einem syrischen Gottesstaat.
Der Aufstand gegen Assad artet immer mehr zu einem Religionskrieg zwischen sunnitischen Rebellen und einem Regime aus, das die alawitisch-schiitische Minderheit repräsentiert. Auf Propaganda können die Islamisten verzichten. Es genügt, dass sich der Westen so verhält, wie er es seit zwei Jahren tut: passiv, ratlos und ignorant, weil er den Menschen in den umkämpften Städten keine humanitäre Hilfe gewährt: Das überlässt er den Islamisten, die Geld aus Katar und Saudi-Arabien bekommen und es an Krankenhäuser und Ausgebombte verteilen.
Irgendwann, wenn einmal alles vorbei ist, wenn Hunderttausende gestorben und Assad gestürzt ist, was geschieht dann? Die Frage haben wir dem einzigen Islamisten gestellt, der bereit war, mit uns zu reden. Er war Gast in einem Haus, in das man uns einlud; ein höflicher junger Mann, der andauernd lächelte und süßen Tee mit uns trank:
"Was dann geschieht? Wir werden einen islamischen Staat aufbauen. Wir werden nach den Gesetzen der Scharia leben, so wie es die islamische Ordnung vorschreibt. Die Christen sind eigentlich kein Problem für uns. Die meisten werden ohnehin von selbst verschwinden. Aber die Alawiten … die haben nur eine Wahl: Entweder sie gehen, oder wir müssen ihnen den Kopf abschlagen. Das sind Abtrünnige, sie beleidigen den Islam, dafür gibt es nur eine Strafe: das Schwert."
Syrischer Arzt rettet Armbruster das Leben
Es gibt etwas, das Rebellen und Regime auf eine perverse Art aneinander kettet: Die Gewissheit, dass der Sieg des jeweils anderen unweigerlich den eigenen Tod mit sich brächte. Das macht die Stadt, das macht diesen ganzen Bürgerkrieg, so grausam und so gefährlich.
Es heißt oft, der Osten Aleppos sei befreites Gebiet. Aber er ist es nicht – er ist lediglich unter Rebellenkontrolle. Wir wären gerne auch auf die andere Seite gegangen, in den vom Regime kontrollierten Westteil. Auch dort schlagen täglich Granaten ein, auch dort sterben Kinder. Aber es ging nicht. Das Assad-Regime verweigert seit Monaten Einreisevisa für westliche Journalisten.
Die andere Seite haben wir dann aber doch noch auf ihre Art kennengelernt; einen Tag später, als ein Scharfschütze der Regierungstruppen aus einem Hinterhalt den Kleinbus beschoss, in dem wir saßen. Mein Freund und Kollege Jörg Armbruster wurde schwer verletzt. Wir brachten ihn in eines der überfüllten Kriegslazarette. Ein syrischer Arzt hat ihm dort in einer Notoperation das Leben gerettet. Das war am Karfreitag. In der Nacht zum Samstag wurden dort sieben weitere angeschossene Zivilisten eingeliefert. Zwei davon starben. Was uns widerfuhr, war kein besonderes Vorkommnis in dieser Stadt. Es war ein ganz normaler Tag in Aleppo.
Es heißt oft, der Osten Aleppos sei befreites Gebiet. Aber er ist es nicht – er ist lediglich unter Rebellenkontrolle. Wir wären gerne auch auf die andere Seite gegangen, in den vom Regime kontrollierten Westteil. Auch dort schlagen täglich Granaten ein, auch dort sterben Kinder. Aber es ging nicht. Das Assad-Regime verweigert seit Monaten Einreisevisa für westliche Journalisten.
Die andere Seite haben wir dann aber doch noch auf ihre Art kennengelernt; einen Tag später, als ein Scharfschütze der Regierungstruppen aus einem Hinterhalt den Kleinbus beschoss, in dem wir saßen. Mein Freund und Kollege Jörg Armbruster wurde schwer verletzt. Wir brachten ihn in eines der überfüllten Kriegslazarette. Ein syrischer Arzt hat ihm dort in einer Notoperation das Leben gerettet. Das war am Karfreitag. In der Nacht zum Samstag wurden dort sieben weitere angeschossene Zivilisten eingeliefert. Zwei davon starben. Was uns widerfuhr, war kein besonderes Vorkommnis in dieser Stadt. Es war ein ganz normaler Tag in Aleppo.