Jaspar Barenberg: Das Schlimmste ist wohl eingetreten: Immer mehr Menschen verlieren Vertrauen in die Art und Weise, wie die Organspende in Deutschland organisiert wird. Der Verdacht der Manipulation an Kliniken in Göttingen und in Regensburg ist ein Grund dafür, offene Fragen zur Verteilung von Lebern, Nieren und Bauchspeicheldrüsen ein weiterer. Bisher liegt all das in den Händen von Ärzten und von privaten Stiftungen. Kritiker fordern mehr Kontrolle und Aufsicht durch staatliche Behörden. Zu ihnen gehört auch Thomas Gutmann, Medizinrechtler und Rechtsphilosoph an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Jetzt ist er am Telefon, einen schönen guten Morgen!
Thomas Gutmann: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Gutmann, der Greifswalder Medizinrechtler Heinrich Lang hat bei einer Anhörung im Bundestag im vergangenen Jahr sinngemäß gesagt, es gebe in dem ganzen Regelwerk für die Begutachtung und Verteilung von Spenderorganen in Deutschland kein Vertrauen, keine Kontrolle und keine Transparenz. Fällt Ihr Urteil auch so verheerend aus?
Gutmann: Ja. Ich sehe das genauso.
Barenberg: Und was sind die wichtigsten Punkte?
Gutmann: Das Urproblem der Verteilung von Organen in Deutschland ist, dass der Gesetzgeber die Problematik nicht regeln wollte. Er wollte sie nicht anfassen, er hat sie wie eine heiße Kartoffel, die man im Mund hat, ausgespuckt. Er hat sie den Ärzten zugeschoben, und er hat von vornherein hingenommen, dass ein Regelungsgeflecht entsteht, in dem es keine Kontrolle gibt, keinen Rechtsschutz für die Patienten, keine Aufsicht, keine Transparenz.
Barenberg: Und das wider besseren Wissens?
Gutmann: Und das wider besseren Wissens. Wobei wir sehen müssen, dass diese Frage, wer bekommt ein Organ, wer bekommt keines, wer darf weiter leben, wer muss sterben, im demokratischen Rechtsstaat eine der schwierigsten Entscheidungen ist. Und es ist eine tragische Entscheidung, denn solange wir zu wenige Organe haben, sterben immer Patienten auf den Wartelisten. Und die Verteilungspolitik kann im Wesentlichen nur regeln, wer das ist.
Barenberg: Nun haben die Beteiligten ja schon Besserung gelobt. Dazu zählt die Bundesärztekammer, dazu zählen die Kliniken, die Krankenkassen und Eurotransplant, die Deutsche Stiftung Organtransplantation. All diese Organisationen haben angekündigt, dass es künftig unangekündigte Kontrollen in Transplantationszentren geben soll, dass es bei ärztlichen Fehlern Konsequenzen geben soll. Mediziner sollen ihre Zulassung verlieren, und in Zukunft sollen auch immer mehrere Ärzte gleichzeitig entscheiden oder gemeinsam entscheiden, ob ein Patient auf die Warteliste kommt. Mehr Kontrollen also, härtere Strafen, mehr Transparenz – ist das die richtige Antwort?
Gutmann: Wir haben zwei Probleme. Ein kleines und ein großes, wenn Sie so wollen. Das kleine Problem besteht darin, dass es einzelne Mediziner gibt, wie der Fall in Göttingen und Regensburg gezeigt hat, die manipulieren. Das ist nicht der Normalfall. Auf dieses kleine Problem wird jetzt sehr hart reagiert, auch übermäßig, wie ich glaube. Die Bundesärztekammer will sozusagen ihre Ärzte stärker unter Kontrolle bekommen. Das mag funktionieren oder auch nicht. Dahinter ist aber das große Problem, das weit größere Problem, wie können die Bürger die Bundesärztekammer und Eurotransplant kontrollieren. Und in diesem großen Problem, von dem der Göttinger Skandal eher ablenkt, als dass er uns darauf aufmerksam macht, da wird sich nichts ändern.
Barenberg: Nun gibt es ja in der Ärztekammer eine Kommission, die beobachtet und bewertet, wie die Organverpflanzung durchgeführt wird, sie gibt Empfehlungen. Eine andere Kommission soll die Entscheidungen überprüfen. Warum reicht das nicht, warum fordern Sie, dass der Staat stärker als Kontrolleur sich einschaltet?
Gutmann: Die Frage, wie wir sozusagen Leben und Tod unter den Bürgern verteilen, das ist eine Frage, die uns als Gesellschaft definiert. Das Bundesverfassungsgericht sagt seit jeher und mit Recht, dass in der Demokatie die einzige Instanz, die über eine solche Frage entscheiden darf, der Bundestag ist. Der Bundestag müsste die Verteilungskriterien und ihr Rangverhältnis zueinander festlegen und er muss genau bestimmen, an welcher Stelle dann der medizinische Sachverstand sozusagen zur Kleinarbeitung dieser Kriterien ins Spiel kommt, wie die Organverteilung verfahrensmäßig kleingearbeitet wird. Wer dort entscheiden darf. Der Bundestag hat das nicht entschieden. Er hat nichtssagende Kriterien aufgestellt im Gesetz. Er hat gesagt, die Organverteilung sei eine medizinische Frage, keine normative, keine rechtliche. Dafür lacht man uns aus im Ausland.
Barenberg: Können Sie mal an einem Beispiel sagen, warum das nicht funktioniert, warum das nicht reicht?
Gutmann: Ein schönes Beispiel, ein klassisches Beispiel wäre die Verteilung von Lebern. Sie können sich zwei idealtypische Patienten vorstellen. Beide etwa um die 40 Jahre alt, der eine im Endstadium einer Hepatitis C, kurz vor dem Tod, von dem man weiß, er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten beiden Wochen sterben. Gibt man ihm eine Leber, dann retten wir jetzt sein Leben, aber vielleicht nur für zwei, drei oder vier Jahre. Wenn man diesen Patient sterben lässt und die eine Leber, die wir zu vergeben haben, einem anderen Patienten gibt, der an Hepatitis C leidet, noch nicht im Endstadium der Krankheit ist, noch nicht akut dekompensiert, wie man medizinisch sagt, nicht in Lebensgefahr schwebt, der würde vielleicht 15 oder vielleicht sogar 20 Jahre mit diesem Organ leben. Beide Patienten sozusagen, beide Aussichten, die Aussichten beider Patienten können uns die Ärzte sehr, sehr genau medizinisch erklären. Aber die Entscheidung darüber, welcher von diesen beiden Patienten gerettet werden soll, ob es wichtiger ist, den nächst ¬– den am dringendsten, den dringendsten Patienten, den Patienten zu retten, der am schnellsten stirbt, oder ob wir versuchen sollten, diesen Patienten sterben zu lassen, um dafür mehr Gesundheit, mehr Lebensjahre zu produzieren, das ist offensichtlich eine Frage, die man mit medizinischen Mitteln nicht beantworten kann. Die können nur die Bürger beantworten.
Barenberg: Und zum Schluss, Herr Gutmann, wie groß ist Ihre Hoffnung, wie stark ist Ihre Erwartung, dass Gesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP da nun wirklich einen Schritt weiter gehen wird?
Gutmann: Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik schon in den 90er-Jahren, als das Gesetz entstanden ist, der Ärzteschaft bei dieser Frage völlig ausgeliefert hat. Es ist heute aus meiner Sicht weder die Bereitschaft noch die Fähigkeit da, im zuständigen Ministerium dem jetzigen Geflecht, ärztlichen Geflecht, das die Organverteilung unter sich regelt, irgendetwas entgegenzusetzen. Ich persönlich glaube, dass sich nichts ändern wird.
Barenberg: Sagt der Medizinrechtler und Rechtsphilosoph Thomas Gutmann. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Gutmann: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Gutmann: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Gutmann, der Greifswalder Medizinrechtler Heinrich Lang hat bei einer Anhörung im Bundestag im vergangenen Jahr sinngemäß gesagt, es gebe in dem ganzen Regelwerk für die Begutachtung und Verteilung von Spenderorganen in Deutschland kein Vertrauen, keine Kontrolle und keine Transparenz. Fällt Ihr Urteil auch so verheerend aus?
Gutmann: Ja. Ich sehe das genauso.
Barenberg: Und was sind die wichtigsten Punkte?
Gutmann: Das Urproblem der Verteilung von Organen in Deutschland ist, dass der Gesetzgeber die Problematik nicht regeln wollte. Er wollte sie nicht anfassen, er hat sie wie eine heiße Kartoffel, die man im Mund hat, ausgespuckt. Er hat sie den Ärzten zugeschoben, und er hat von vornherein hingenommen, dass ein Regelungsgeflecht entsteht, in dem es keine Kontrolle gibt, keinen Rechtsschutz für die Patienten, keine Aufsicht, keine Transparenz.
Barenberg: Und das wider besseren Wissens?
Gutmann: Und das wider besseren Wissens. Wobei wir sehen müssen, dass diese Frage, wer bekommt ein Organ, wer bekommt keines, wer darf weiter leben, wer muss sterben, im demokratischen Rechtsstaat eine der schwierigsten Entscheidungen ist. Und es ist eine tragische Entscheidung, denn solange wir zu wenige Organe haben, sterben immer Patienten auf den Wartelisten. Und die Verteilungspolitik kann im Wesentlichen nur regeln, wer das ist.
Barenberg: Nun haben die Beteiligten ja schon Besserung gelobt. Dazu zählt die Bundesärztekammer, dazu zählen die Kliniken, die Krankenkassen und Eurotransplant, die Deutsche Stiftung Organtransplantation. All diese Organisationen haben angekündigt, dass es künftig unangekündigte Kontrollen in Transplantationszentren geben soll, dass es bei ärztlichen Fehlern Konsequenzen geben soll. Mediziner sollen ihre Zulassung verlieren, und in Zukunft sollen auch immer mehrere Ärzte gleichzeitig entscheiden oder gemeinsam entscheiden, ob ein Patient auf die Warteliste kommt. Mehr Kontrollen also, härtere Strafen, mehr Transparenz – ist das die richtige Antwort?
Gutmann: Wir haben zwei Probleme. Ein kleines und ein großes, wenn Sie so wollen. Das kleine Problem besteht darin, dass es einzelne Mediziner gibt, wie der Fall in Göttingen und Regensburg gezeigt hat, die manipulieren. Das ist nicht der Normalfall. Auf dieses kleine Problem wird jetzt sehr hart reagiert, auch übermäßig, wie ich glaube. Die Bundesärztekammer will sozusagen ihre Ärzte stärker unter Kontrolle bekommen. Das mag funktionieren oder auch nicht. Dahinter ist aber das große Problem, das weit größere Problem, wie können die Bürger die Bundesärztekammer und Eurotransplant kontrollieren. Und in diesem großen Problem, von dem der Göttinger Skandal eher ablenkt, als dass er uns darauf aufmerksam macht, da wird sich nichts ändern.
Barenberg: Nun gibt es ja in der Ärztekammer eine Kommission, die beobachtet und bewertet, wie die Organverpflanzung durchgeführt wird, sie gibt Empfehlungen. Eine andere Kommission soll die Entscheidungen überprüfen. Warum reicht das nicht, warum fordern Sie, dass der Staat stärker als Kontrolleur sich einschaltet?
Gutmann: Die Frage, wie wir sozusagen Leben und Tod unter den Bürgern verteilen, das ist eine Frage, die uns als Gesellschaft definiert. Das Bundesverfassungsgericht sagt seit jeher und mit Recht, dass in der Demokatie die einzige Instanz, die über eine solche Frage entscheiden darf, der Bundestag ist. Der Bundestag müsste die Verteilungskriterien und ihr Rangverhältnis zueinander festlegen und er muss genau bestimmen, an welcher Stelle dann der medizinische Sachverstand sozusagen zur Kleinarbeitung dieser Kriterien ins Spiel kommt, wie die Organverteilung verfahrensmäßig kleingearbeitet wird. Wer dort entscheiden darf. Der Bundestag hat das nicht entschieden. Er hat nichtssagende Kriterien aufgestellt im Gesetz. Er hat gesagt, die Organverteilung sei eine medizinische Frage, keine normative, keine rechtliche. Dafür lacht man uns aus im Ausland.
Barenberg: Können Sie mal an einem Beispiel sagen, warum das nicht funktioniert, warum das nicht reicht?
Gutmann: Ein schönes Beispiel, ein klassisches Beispiel wäre die Verteilung von Lebern. Sie können sich zwei idealtypische Patienten vorstellen. Beide etwa um die 40 Jahre alt, der eine im Endstadium einer Hepatitis C, kurz vor dem Tod, von dem man weiß, er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten beiden Wochen sterben. Gibt man ihm eine Leber, dann retten wir jetzt sein Leben, aber vielleicht nur für zwei, drei oder vier Jahre. Wenn man diesen Patient sterben lässt und die eine Leber, die wir zu vergeben haben, einem anderen Patienten gibt, der an Hepatitis C leidet, noch nicht im Endstadium der Krankheit ist, noch nicht akut dekompensiert, wie man medizinisch sagt, nicht in Lebensgefahr schwebt, der würde vielleicht 15 oder vielleicht sogar 20 Jahre mit diesem Organ leben. Beide Patienten sozusagen, beide Aussichten, die Aussichten beider Patienten können uns die Ärzte sehr, sehr genau medizinisch erklären. Aber die Entscheidung darüber, welcher von diesen beiden Patienten gerettet werden soll, ob es wichtiger ist, den nächst ¬– den am dringendsten, den dringendsten Patienten, den Patienten zu retten, der am schnellsten stirbt, oder ob wir versuchen sollten, diesen Patienten sterben zu lassen, um dafür mehr Gesundheit, mehr Lebensjahre zu produzieren, das ist offensichtlich eine Frage, die man mit medizinischen Mitteln nicht beantworten kann. Die können nur die Bürger beantworten.
Barenberg: Und zum Schluss, Herr Gutmann, wie groß ist Ihre Hoffnung, wie stark ist Ihre Erwartung, dass Gesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP da nun wirklich einen Schritt weiter gehen wird?
Gutmann: Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik schon in den 90er-Jahren, als das Gesetz entstanden ist, der Ärzteschaft bei dieser Frage völlig ausgeliefert hat. Es ist heute aus meiner Sicht weder die Bereitschaft noch die Fähigkeit da, im zuständigen Ministerium dem jetzigen Geflecht, ärztlichen Geflecht, das die Organverteilung unter sich regelt, irgendetwas entgegenzusetzen. Ich persönlich glaube, dass sich nichts ändern wird.
Barenberg: Sagt der Medizinrechtler und Rechtsphilosoph Thomas Gutmann. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Gutmann: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.