"Ich habe dich heute morgen gesehen - ick heb di heu morge säh. An meiner roten Nase hängt ein Tropfen. An me rode Nas hängt ei drop."
Das war "pommerano" - ein deutscher Dialekt, wie er seit mehr als 150 Jahren im südlichen Brasilien an der Grenze zu Uruguay gesprochen wird, von Menschen, deren Vorfahren sich einst aus der Gegend von Danzig aufmachten, um in Amerika das Glück zu finden. Was sie fanden, war Land, das sie bebauen durften und die Möglichkeit, in der Abgeschiedenheit des Urwaldes ihre Kultur und ihre Sprache beizubehalten. Manchmal auch im engen Kontakt zu Landsleuten aus anderen Gegenden des Deutschen Reiches, aus dem Hunsrück etwa oder vom Niederrhein. Ähnlich ging es den Schwaben und den plattdeutsch sprechenden Mennoniten, die es nach Russland verschlagen hatte. Peter Rosenberg:
"Es war sowieso eine völlig skurrile Situation, dass in diesen russischen Dörfern manchmal über 20,30,60, über 100 verschiedene Dialekte zusammenkamen und man hatte ja kein Hochdeutsch - also was tun? Das interessiert den Sprachwissenschaftler, denn es simuliert ein wenig das, was unsere heutige Hochsprache herausgebildet hat. Ein berühmter russischer Dialektforscher, Viktor Schirmunski hat einmal gesagt, man könne diese deutschen Sprachinseln als ein sprachwissenschaftliches Laboratorium ansehen: Sie würden in relativ kurzer Zeit das zuwege bringen, was wir in Europa in sechs Jahrhunderten zustande gebracht haben, nämlich die Bildung von gewissen sprachlichen Ausgleichsprozessen, Standardisierung, aber in Russland immer wieder mit der Beigabe der ständigen Durchmischung des ständigen Austauschs und des Wiederanwerfens dieser Maschine Sprachausgleich."
So unterschiedlich die Lebensbedingungen der Aussiedler waren, so frappierend ähnlich ist die Entwicklung, die sie in der Fremde machten: Sie blieben unter sich, erarbeiteten sich einen beträchtlichen Wohlstand und waren in ihren Gastländern eine wichtige, in ihrer Eigenart akzeptierte Minderheit, die als Bereicherung der kulturellen Vielfalt der Länder gesehen wurde. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Dann begannen in Russland Repressalien und Deportationen und auch in Brasilien erging es den Deutschstämmigen nicht besser.
"Dort hat man auch ab 1930 eine Politik betrieben des Nationalismus, das heißt, man hat versucht, ein Brasilien aus diesen vielen Völkerschaften und Ethnien zu machen und hat dabei alle Einwanderer in gewissem Sinne als Fremde definiert und die Sprachen als Fremdsprachen definiert, dann in den Schulen verboten und durchaus auch mit Repressionen verfolgt, sodass die Entwicklungen in gewissem Sinne parallel sind, das ist auch ein Grund, warum wir Russland und Brasilien vergleichen, denn dort sind sowohl die inneren als auch die äußeren Bedingungen für eine gewisse Zeit vergleichbar und auch die Sprachgruppen sind ähnliche."
Unter dem Druck von außen beschleunigte sich der Sprachwandel in den ur-deutschen Gemeinschaften. Und zwar, so stellen die Wissenschafter verwundert fest, nach dem exakt gleichen Muster - in Russland wie in Brasilien.
Die grüne Gurken wird mit die Zwiebeln in Topf gekocht.
"Das heißt, ein Teil der Grammatik wird verloren und in anderer Hinsicht machen diese Sprachen eine Entwicklung durch, die wir aus Deutschland sehr gut kennen. Zum Beispiel: Die Fälle werden immer mehr vereint, Dativ und Akkusativ - wir kennen das aus dem Berliner Raum: "mit meine Schwester", da ist nichts mehr an Dativ und Akkusativ zu unterscheiden, sondern das ist ein Einheitsfall und manchmal kommt dann noch der Nominativ dazu, das heißt wir haben dann überhaupt keine Grammatik mehr, was die Fälle betrifft. Diese Entwicklungen interessieren uns besonders, denn sie finden nicht in allen Bereichen der Sprache statt, sondern in manchen besonders und sehr schnell und in anderen Bereichen sehr langsam. Zum Beispiel bei den Personalpronomina, wir machen die eigentümliche Entdeckung, dass auch wenn die Leute nicht mehr gut deutsch können, so was wie "ihn" und "ihm" noch vorhanden ist."
Die Haare auf meinem Kopf sind grau- der Hund setzt sich vor ihn.
Dass die unterschiedlichen Fälle im Zusammenhang mit Substantiv-Beugung und im Satzbau verschwinden, nicht aber bei den Personalpronomina ist ein Phänomen, dem das Forscherteam um Peter Rosenberg in den nächsten Jahren nachgehen wird. Annahmen, warum das so sein könnte, gibt es bereits:
"Die erste ist: Personalpronomina sind häufig, häufige Wörter. Zweitens: Personalpronomina stehen für Personen und an Personen muss man mehr Unterscheidungen treffen als an Dingen, zum Beispiel sagt man, dass der Dativ so ein typischer Empfängerkasus ist, ich gebe ihm ein Buch- wer empfängt das Buch: er. Und bei Menschen braucht man anscheinend solche Ur-Kasusfälle häufiger als bei Dingen."
Ein weiterer Grund könnte sein, dass wir kurze einsilbige Wörter in einer anderen Gehirnregion abspeichern als komplizierte Konstruktionen. Wir erlernen sie früher und vergessen sie später. Und so erhalten sie sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch länger. Die Abbauprozesse in der Grammatik, wie sie die europäischen Hochsprachen generell erleben, lassen sich bei der Entwicklung in den Sprachenklaven schon seit längerer Zeit belegen. Und zwar unabhängig von der Grammatik der jeweiligen Mehrheitssprache.
"In Russland haben wir genau die gleichen Erscheinungen und das russische ist eine Sprache mit sechs festgelegten Kasus, die werden konsequent durchgehalten, und der Einfluss des Russischen müsste grade umgekehrt wirken. Es sind aber eigentümlicherweise grade die Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft, die den engsten Kontakt zur russischen Sprache haben, die auch den stärksten Abbau der Fälle haben. Manchmal hat man den Eindruck, es handelt sich um Phänomene, die man aus der 'Pidginisierung' kennt: den Versuch, Sprache zu vereinfachen und es den Erlernern einfacher zu machen, die deutsche Sprache zu sprechen, indem man ein Prinzip einführt: eine Form - ein Inhalt, gleich Lernökonomie."
Wie sich Sprache und Kommunikation in den Sprachinseln entwickeln, beschäftigt die Wissenschaftler seit Langem. Erste Aufzeichnungen gibt es seit mehr als 100 Jahren, beispielsweise im "Marburger Sprachatlas des Deutschen Reiches". Peter Rosenberg und sein Team sind seit mehr als zehn Jahren unterwegs um die letzten Reste der Sprachgemeinschaften aufzuspüren.
Die Zeit drängt. Einst gingen die Zahlen der Deutschstämmigen in die Zehntausende, davon ist heute nicht mehr viel übrig. Immerhin rund 60 Personen sind am Projekt beteiligt. Und so forschen die Linguisten nach mehreren Methoden: Zum einen wird die Sprachentwicklung innerhalb der Generationen unter die Lupe genommen, zum anderen wird der gleiche Sprecher über einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet. Interviews gehören zum Forscherwerkzeug ebenso wie Gruppengespräche und Selbstaufnahmen der Untersuchten.
Zunächst auf drei Jahren ist das Forschungsprojekt angelegt, doch auch darüber hinaus hofft Peter Rosenberg auf Unterstützung und weitere Erkenntnisse.
"Wir haben sehr viele Überkreuzungen in unserem Forschungsgebiet. Wir haben Fragen, die mit Sprachkontakt zu tun haben, das ist sozusagen die internationale Ebene der Sprachforschung. Wir haben Fragen, die mit dem Dialekt zu tun haben, das ist so eine innere Dialekt-Dialekt- Ebene. Wir haben etwas, was mit Sprachwandel zusammenhängt, also sozusagen der innerste Bezirk der Sprachwissenschaft, wir haben die Soziolinguistik dabei, das ist eine moderne Linguistik, wir machen unsere Untersuchungen vergleichend zwischen verschiedenen Generationen, und verschiedenen Sprechsituationen, das nennt man Variationslinguistik, weil die Sprache ja von jedem Menschen variiert wird, und wir haben noch einen ganzen Teil von kognitiver Linguistik, das ist der modernste Teil der Linguistik, da geht es um unser Gehirn und wie es arbeitet, und wie es mit Sprache umgeht und was wir aus der Verwendung von Sprache über die Verwendung des Gehirns lernen können."
Das war "pommerano" - ein deutscher Dialekt, wie er seit mehr als 150 Jahren im südlichen Brasilien an der Grenze zu Uruguay gesprochen wird, von Menschen, deren Vorfahren sich einst aus der Gegend von Danzig aufmachten, um in Amerika das Glück zu finden. Was sie fanden, war Land, das sie bebauen durften und die Möglichkeit, in der Abgeschiedenheit des Urwaldes ihre Kultur und ihre Sprache beizubehalten. Manchmal auch im engen Kontakt zu Landsleuten aus anderen Gegenden des Deutschen Reiches, aus dem Hunsrück etwa oder vom Niederrhein. Ähnlich ging es den Schwaben und den plattdeutsch sprechenden Mennoniten, die es nach Russland verschlagen hatte. Peter Rosenberg:
"Es war sowieso eine völlig skurrile Situation, dass in diesen russischen Dörfern manchmal über 20,30,60, über 100 verschiedene Dialekte zusammenkamen und man hatte ja kein Hochdeutsch - also was tun? Das interessiert den Sprachwissenschaftler, denn es simuliert ein wenig das, was unsere heutige Hochsprache herausgebildet hat. Ein berühmter russischer Dialektforscher, Viktor Schirmunski hat einmal gesagt, man könne diese deutschen Sprachinseln als ein sprachwissenschaftliches Laboratorium ansehen: Sie würden in relativ kurzer Zeit das zuwege bringen, was wir in Europa in sechs Jahrhunderten zustande gebracht haben, nämlich die Bildung von gewissen sprachlichen Ausgleichsprozessen, Standardisierung, aber in Russland immer wieder mit der Beigabe der ständigen Durchmischung des ständigen Austauschs und des Wiederanwerfens dieser Maschine Sprachausgleich."
So unterschiedlich die Lebensbedingungen der Aussiedler waren, so frappierend ähnlich ist die Entwicklung, die sie in der Fremde machten: Sie blieben unter sich, erarbeiteten sich einen beträchtlichen Wohlstand und waren in ihren Gastländern eine wichtige, in ihrer Eigenart akzeptierte Minderheit, die als Bereicherung der kulturellen Vielfalt der Länder gesehen wurde. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Dann begannen in Russland Repressalien und Deportationen und auch in Brasilien erging es den Deutschstämmigen nicht besser.
"Dort hat man auch ab 1930 eine Politik betrieben des Nationalismus, das heißt, man hat versucht, ein Brasilien aus diesen vielen Völkerschaften und Ethnien zu machen und hat dabei alle Einwanderer in gewissem Sinne als Fremde definiert und die Sprachen als Fremdsprachen definiert, dann in den Schulen verboten und durchaus auch mit Repressionen verfolgt, sodass die Entwicklungen in gewissem Sinne parallel sind, das ist auch ein Grund, warum wir Russland und Brasilien vergleichen, denn dort sind sowohl die inneren als auch die äußeren Bedingungen für eine gewisse Zeit vergleichbar und auch die Sprachgruppen sind ähnliche."
Unter dem Druck von außen beschleunigte sich der Sprachwandel in den ur-deutschen Gemeinschaften. Und zwar, so stellen die Wissenschafter verwundert fest, nach dem exakt gleichen Muster - in Russland wie in Brasilien.
Die grüne Gurken wird mit die Zwiebeln in Topf gekocht.
"Das heißt, ein Teil der Grammatik wird verloren und in anderer Hinsicht machen diese Sprachen eine Entwicklung durch, die wir aus Deutschland sehr gut kennen. Zum Beispiel: Die Fälle werden immer mehr vereint, Dativ und Akkusativ - wir kennen das aus dem Berliner Raum: "mit meine Schwester", da ist nichts mehr an Dativ und Akkusativ zu unterscheiden, sondern das ist ein Einheitsfall und manchmal kommt dann noch der Nominativ dazu, das heißt wir haben dann überhaupt keine Grammatik mehr, was die Fälle betrifft. Diese Entwicklungen interessieren uns besonders, denn sie finden nicht in allen Bereichen der Sprache statt, sondern in manchen besonders und sehr schnell und in anderen Bereichen sehr langsam. Zum Beispiel bei den Personalpronomina, wir machen die eigentümliche Entdeckung, dass auch wenn die Leute nicht mehr gut deutsch können, so was wie "ihn" und "ihm" noch vorhanden ist."
Die Haare auf meinem Kopf sind grau- der Hund setzt sich vor ihn.
Dass die unterschiedlichen Fälle im Zusammenhang mit Substantiv-Beugung und im Satzbau verschwinden, nicht aber bei den Personalpronomina ist ein Phänomen, dem das Forscherteam um Peter Rosenberg in den nächsten Jahren nachgehen wird. Annahmen, warum das so sein könnte, gibt es bereits:
"Die erste ist: Personalpronomina sind häufig, häufige Wörter. Zweitens: Personalpronomina stehen für Personen und an Personen muss man mehr Unterscheidungen treffen als an Dingen, zum Beispiel sagt man, dass der Dativ so ein typischer Empfängerkasus ist, ich gebe ihm ein Buch- wer empfängt das Buch: er. Und bei Menschen braucht man anscheinend solche Ur-Kasusfälle häufiger als bei Dingen."
Ein weiterer Grund könnte sein, dass wir kurze einsilbige Wörter in einer anderen Gehirnregion abspeichern als komplizierte Konstruktionen. Wir erlernen sie früher und vergessen sie später. Und so erhalten sie sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch länger. Die Abbauprozesse in der Grammatik, wie sie die europäischen Hochsprachen generell erleben, lassen sich bei der Entwicklung in den Sprachenklaven schon seit längerer Zeit belegen. Und zwar unabhängig von der Grammatik der jeweiligen Mehrheitssprache.
"In Russland haben wir genau die gleichen Erscheinungen und das russische ist eine Sprache mit sechs festgelegten Kasus, die werden konsequent durchgehalten, und der Einfluss des Russischen müsste grade umgekehrt wirken. Es sind aber eigentümlicherweise grade die Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft, die den engsten Kontakt zur russischen Sprache haben, die auch den stärksten Abbau der Fälle haben. Manchmal hat man den Eindruck, es handelt sich um Phänomene, die man aus der 'Pidginisierung' kennt: den Versuch, Sprache zu vereinfachen und es den Erlernern einfacher zu machen, die deutsche Sprache zu sprechen, indem man ein Prinzip einführt: eine Form - ein Inhalt, gleich Lernökonomie."
Wie sich Sprache und Kommunikation in den Sprachinseln entwickeln, beschäftigt die Wissenschaftler seit Langem. Erste Aufzeichnungen gibt es seit mehr als 100 Jahren, beispielsweise im "Marburger Sprachatlas des Deutschen Reiches". Peter Rosenberg und sein Team sind seit mehr als zehn Jahren unterwegs um die letzten Reste der Sprachgemeinschaften aufzuspüren.
Die Zeit drängt. Einst gingen die Zahlen der Deutschstämmigen in die Zehntausende, davon ist heute nicht mehr viel übrig. Immerhin rund 60 Personen sind am Projekt beteiligt. Und so forschen die Linguisten nach mehreren Methoden: Zum einen wird die Sprachentwicklung innerhalb der Generationen unter die Lupe genommen, zum anderen wird der gleiche Sprecher über einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet. Interviews gehören zum Forscherwerkzeug ebenso wie Gruppengespräche und Selbstaufnahmen der Untersuchten.
Zunächst auf drei Jahren ist das Forschungsprojekt angelegt, doch auch darüber hinaus hofft Peter Rosenberg auf Unterstützung und weitere Erkenntnisse.
"Wir haben sehr viele Überkreuzungen in unserem Forschungsgebiet. Wir haben Fragen, die mit Sprachkontakt zu tun haben, das ist sozusagen die internationale Ebene der Sprachforschung. Wir haben Fragen, die mit dem Dialekt zu tun haben, das ist so eine innere Dialekt-Dialekt- Ebene. Wir haben etwas, was mit Sprachwandel zusammenhängt, also sozusagen der innerste Bezirk der Sprachwissenschaft, wir haben die Soziolinguistik dabei, das ist eine moderne Linguistik, wir machen unsere Untersuchungen vergleichend zwischen verschiedenen Generationen, und verschiedenen Sprechsituationen, das nennt man Variationslinguistik, weil die Sprache ja von jedem Menschen variiert wird, und wir haben noch einen ganzen Teil von kognitiver Linguistik, das ist der modernste Teil der Linguistik, da geht es um unser Gehirn und wie es arbeitet, und wie es mit Sprache umgeht und was wir aus der Verwendung von Sprache über die Verwendung des Gehirns lernen können."