Studie zur Lebenserwartung
Warum die Deutschen früher als andere Europäer sterben

Deutschland ist in Westeuropa Schlusslicht in Sachen Lebenserwartung, zeigt eine aktuelle Studie. Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind aber gleich betroffen. Die Lösung könnte in einem anderen Umgang mit dem Gesundheitssystem liegen.

    Ein Mann und eine Frau sitzen am Ufer des Bodensees mit einem Sonnenschirm in der Hand auf einer Bank.
    Laut einer aktuellen Studie gehört Deutschland in Westeuropa zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter an Anschluss. (picture alliance / dpa / Thomas Warnack)
    Die Lebenserwartung in Deutschland ist niedriger als in vielen anderen westeuropäischen Staaten – und der Abstand nimmt weiter zu. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung.
    Die Forschenden haben die Sterblichkeitstrends in 15 westeuropäischen Ländern über mehrere Jahrzehnte untersucht. Das Ergebnis: Im Jahr 2022 lag die Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland 1,7 Jahre unter dem westeuropäischen Durchschnitt. Im Jahr 2000 betrug der Rückstand noch 0,7 Jahre. Woran liegt es, dass die Deutschen früher sterben – und was könnte helfen?

    Lebenserwartung im internationalen Vergleich

    Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hinterherhinkt: Die Chancen auf ein langes Leben stehen auch hierzulande gut. Wer 2022 in Deutschland geboren wurde, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80,55 Jahren.
    Deutlich besser schneiden allerdings viele Nachbarländer ab: In Belgien und Dänemark können die Menschen damit rechnen, 81,8 beziehungsweise 81,3 Jahre alt zu werden, in Frankreich liegt die Prognose sogar bei 82,3 Jahren. In der Schweiz leben Menschen der Studie zufolge am längsten – die Lebenserwartung in dem Alpenland beträgt 83,53 Jahre.

    Unterschiedliche Lebenserwartung in der Bevölkerung

    Nicht alle Teile der deutschen Bevölkerung sind in gleichem Maße von der höheren Sterblichkeit betroffen, stellen die Forschenden fest. So liege die Lebenserwartung der unter 50-Jährigen noch im Rahmen des westeuropäischen Durchschnitts. In der Altersgruppe ab 65 Jahren ist die Sterblichkeit im westeuropäischen Vergleich dagegen deutlich erhöht.
    Hier besteht auch ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern: Während Frauen erst ab einem Alter von 75 Jahren eine erhöhte Sterblichkeit zeigen, ist der Wert bei Männern besonders in der Altersgruppe zwischen 55 und 74 Jahren stärker ausgeprägt.
    Auffallend sind auch Unterschiede in der Lebenserwartung in Ost- und Westdeutschland. So sterben Männer in Ostdeutschland im Schnitt ein Jahr früher als im Westen. Die Übersterblichkeit konzentriere sich auf die Jahrgänge, die besonders von den Umbrüchen der Wendejahre betroffen waren, sagte der Forschungsdirektor des BiB, Sebastian Klüsener, dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).
    Auch die soziale Situation habe einen Einfluss auf die Lebenserwartung, so Klüsener im Dlf. Gutsituierte, gebildete Menschen hätten in der Regel mehr Wissen über eine gesunde Lebensweise, die zu einem längeren Leben beitrage.

    Mögliche Ursachen für die geringere Lebenserwartung

    Die Gründe für die geringere Lebenserwartung in Deutschland sind noch nicht ausreichend untersucht, halten die Forschenden in ihrer Studie fest. Es gebe bisher keine Hinweise darauf, dass die Menschen in Deutschland einen schlechteren Lebensstil pflegten als in anderen Ländern mit einem ähnlichen Wohlstandsniveau. Bekannte Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder sportlicher Aktivität seien in der deutschen Bevölkerung nicht signifikant erhöht.
    Eine mögliche Ursache könnte in den Ernährungsgewohnheiten liegen. So weisen Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) darauf hin, dass die Deutschen weniger Obst und Gemüse essen als beispielsweise Bürgerinnen und Bürger in südeuropäischen Ländern. Auch der Alkoholkonsum der Deutschen ist relativ hoch. Demnach konsumiert jeder Deutsche über 15 Jahren statistisch gesehen 10,6 Liter reinen Alkohol pro Jahr.
    Einen vermeintlichen Widerspruch sehen die Forschenden darin, dass Deutschland trotz seiner fortschrittlichen und gut zugänglichen Gesundheitsversorgung im Rückstand bei der Lebenserwartung ist. Genauer betrachtet könnte darin aber auch ein Grund dafür liegen, dass die Menschen privat weniger auf ihre Gesundheit achten. „Man verlässt sich vielleicht auch ein bisschen auf das System“, sagt Klüsener.

    Lösungsansätze: Prävention und Vorsorge

    Im Gesundheitssystem liegt für den Experten aber auch das größte Verbesserungspotenzial. Denn häufig werde bei gesundheitlichen Problemen zu spät eingegriffen. Zwar könne man Kranken mit den vorhandenen medizinischen Mitteln sehr gut helfen. Aber: „Wir warten leider ab, bis viele Leute sehr krank sind, und sind nicht so gut darin zu verhindern, dass Leute überhaupt krank werden.“
    Mehr Prävention und Früherkennung könnten deshalb die Lebenserwartung in Deutschland verbessern. Das gilt den Forschenden zufolge vor allem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, die zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland zählen. Nachholbedarf gebe es außerdem bei gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Alkohol- und Tabakprävention und für gesunde Ernährung. „Hier besteht noch einiges Potenzial, um uns für den momentanen Alterungsprozess der Gesellschaft besser aufzustellen“, so Klüsener.
    kia