Archiv


Lebenshilfe oder schleichende Gefahr

Medizin. - Hormone wurden jahrzehntelang als Wundermittel für die älterwerdende Frau propagiert. Erst die amerikanische WHI-Studie dämpfte im Jahr 2002 die Euphorie. Die sorgsam erhobenen Daten zeigten, dass die Drogentherapien den Frauen mehr schadet als nutzt. In der Gruppe der Hormonanwenderinnen traten mehr Schlaganfälle, Brustkrebs und Herzinfarkte auf. Doch fünf Jahre später wird die Hormonersatztherapie in Deutschland immer noch zu oft verordnet. Warum das so ist, wollten Bremer Forscher wissen.

Von Eva Schindele | 11.05.2007
    Warum schlucken, kleben oder cremen Frauen über Jahre Hormonpräparate und welche Rolle spielen dabei ihre Frauenärzte und - ärztinnen? Diese Fragen interessierte Nicole Höfling-Engels vom Institut für Public Health der Universität Bremen. Im Auftrag der AOK führte sie offene Interviews mit 35 Frauen im Alter von 46 bis 75 Jahre und aus allen Schichten. Ihre Aussagen sind nicht repräsentativ – aber so die Sozialwissenschaftlerin – sie geben einen Einblick in die Lebenswirklichkeiten von Frauen in und nach den Wechseljahren. Die meisten Befragten wussten über die Risiken der Hormontherapie Bescheid – in der Regel über die Medien. Höfling-Engels:

    "Ich kann für den Großteil der Frauen sagen, dass sie die Informationen in der ärztlichen Praxis nicht bekommen haben, sondern nur aus Eigeninitiative nachfragten, und dann passierte es nicht selten, dass die Ergebnisse relativiert wurden: Die Zahlen seien mit Deutschland nicht zu vergleichen oder der Altersdurchschnitt zu hoch. Um die Studienergebnisse abzuwiegeln und zu sagen, das, was ich für sie tue, ist eine individuelle Behandlung, wenn sie zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen kommen, dann haben wir das alles im Griff."

    Diese Aussagen passen zu einer repräsentativen Erhebung unter Frauenärzten aus dem Jahr 2005, in der zwei Drittel der befragten Ärzte nach wie vor von dem großen Nutzen bei Wechseljahrsbeschwerden oder als Vorbeugung überzeugt waren. Auch die Risiken der Hormontherapie hielten sie für übertrieben. Dabei ist die Hormonbehandlung inzwischen nur noch gegen akute Beschwerden, wie Hitzewallungen und Schlafstörungen zugelassen. Die Östrogene sollen so niedrig dosiert und so kurz wie möglich verabreicht werden. Die Vorsicht ist angezeigt, wie aktuelle Daten aus den USA zeigen, wo Hormone inzwischen viel seltener verschrieben werden. Seit dem Rückgang der Hormoneinnahmen gehen dort nun auch die Brustkrebsfälle zurück: 2003 und 2004 sind die Diagnosen zum ersten Mal nach Jahren gesunken und zwar um insgesamt 8,6 Prozent. Von dem Abwärtstrend betroffen sind vor allem Frauen zwischen 50 und 70 Jahren und hormonabhängige Tumoren. Die Bremer Studie zeigt indessen, dass sich in Deutschland viele der langjährigen Hormonanwenderinnen gerne von ihren Gynäkologen beruhigen lassen. Andere nehmen die Risiken bewusst in Kauf – Hauptsache sie bleiben arbeits- und leistungsfähig. Höfling-Engels:

    "Eine Frau, die im Managementbereich tätig ist und mit Angestellten Gespräche führt und die sagt: Ich kann da nicht stehen mit rotem Kopf und vielleicht jemanden entlassen, das geht einfach nicht, oder eine Lehrerin in der Berufsschule."

    Meist hatten die Frauen vor Jahren wegen Wechseljahrsbeschwerden ihre Gynäkologen aufgesucht und dort ohne viel Reden ein Hormonrezept bekommen. Über Alternativen wurde damals nicht gesprochen. Inzwischen hatten sie sich an die tägliche Einnahme gewöhnt. Höfling-Engels:

    "Ich habe eine Interviewpartnerin gehabt, die gesagt hat, es gehörte irgendwann dazu wie Frühsport. Ich habe meine kleine Pille am Morgen genommen und dann wusste ich wie der Tag lief."

    Eine 75 Jährige, die seit 30 Jahren Hormone schluckt, ist sogar überzeugt, dass die Pille viel zu ihrem Wohlergehen beigetragen hat. Höfling-Engels:

    "Sie vertrat die These, wenn man früh genug anfängt und dabei bleibt, geht es einem gut und genoss dann doch noch ihre kleine Blutung, wie sie sagte, die sie dann noch regelmäßig bekam. Es war für sie ein Krückstock."

    Und viele Frauen fürchteten diesen Krückstock zu verlieren. Die Sozialwissenschaftlerin Höfling-Engels hegt sogar den Verdacht, dass die Östrogene manche Frauen psychisch oder körperlich abhängig machen könnten, und fordert dazu weitere Untersuchungen. Auf jeden Fall fiel es den Befragten sehr schwer, nach Jahren aus der Hormontherapie auszusteigen und ihre betreuenden Ärzte empfanden sie dabei als wenig hilfreich.