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Lebensmittel
Französisches Null-Abfall-Programm

Ein Gesetz soll französische Handelsketten dazu bringen, unverkaufte Ware an Bedürftige zu verteilen. Die Idee stammt von einem Nachwuchspolitiker, der sie gerne auch auf EU-Ebene verwirklicht sähe. Nun stimmt das EU-Parlament über eine entsprechende Direktive ab.

Von Susanne Krause |
    Lebensmittel liegen am Dienstag (13.03.2012) in einer Mülltonne in Frankfurt (Oder)
    Lebensmittel liegen in einer Mülltonne. (pa/dpa/Pleul)
    Bei der Abstimmung im EU-Parlament wird Arash Derambarsh als Zaungast dabei sein. Zur Einstimmung schaut er am Vortag in einem Pariser Café auf dem Handy mal wieder die TV-Reportage zum Start seiner Kampagne an. Anfang Januar verteilte Derambarsh in Courbevoie, einem Vorort im Pariser Westen, erstmals Lebensmittel aus einem Supermarkt an Bedürftige -Waren mit gerade abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. Die sonst im Müll gelandet wären. Eine eigentlich illegale Aktion. Eine bewusste Provokation, sagt Derambarsh, Gemeinderat in Courbevoie. Zwei Monate waren der Mittdreißiger und Helfer so mehrmals wöchentlich im Einsatz. Im Kampf gegen den Hunger.
    "Wir haben jeden Abend rund 40 Kilo unverkaufter Frischware eingesammelt. Im Wert von 500 Euro. Damit konnten wir 100 Personen mit Essen versorgen."
    Über 200.00 Unterstützer in wenigen Wochen
    Das wirkt wie ein Klacks, verglichen mit der Bilanz traditioneller Armenspeisungen in Frankreich. Alleine die Restaus du Coeur, seit drei Jahrzehnten aktiv, haben im vergangenen Winter eine Million Bedürftige mit Essen versorgt. Der Verein zählt unter seinen Partnern große Handelsketten, die regelmäßig Waren spenden.
    Doch als Derambarsh eine Internet-Petition startete, um Supermärkte zur Abgabe unverkaufter Frischware zu verpflichten, fand er in wenigen Wochen 210.000 Unterstützer, darunter auch Politiker aller Couleurs. Die Lobbyarbeit gipfelte Ende Mai in einem in seltener Eintracht verabschiedetem Gesetz. Nun stehen die karitativen Einrichtungen unter Zugzwang, ihre Logistik aufzustocken.
    Vor zwei Wochen lancierte Arash Derambarsh, gemeinsam mit der französischen Nichtregierungsorganisation 'Aktion gegen den Hunger' und dem Roten Kreuz, eine europäische Unterschriften-Kampagne, in sieben Ländern gleichzeitig, darunter Deutschland. Aktueller Stand: 540.000 Unterzeichner.
    "Wenn wir beim EU-Parlament ein Gesetz nach französischem Vorbild durchbringen, könnten wir die Armut auf unserem Kontinent lindern. Knapp 100 Millionen EU-Bürger leben unter der Armutsgrenze, 20, 30 Millionen könnten wir allabendlich satt machen."
    Derambarsh ist überzeugt davon, dass die EU-Parlamentarier den Text heute auf den Weg bringen werden. Der erste Schritt hin zu einer europäischen Direktive – die mit etwas Glück im Dezember vom EU-Rat verabschiedet werden könnte. Ganz im Sinne dessen, was die Europäische Union im letzten Jahr beschloss: dass bis 2025 die Menge der Lebensmittelabfälle um mindestens dreißig Prozent gesenkt werden solle.
    Restposten landen nicht im Müll
    Dazu möchte auch das Start-up-Unternehmen Optimiam beisteuern. Seit letztem Oktober bietet es eine Handy-Applikation, um Frischware vor Feierabend zum Schnäppchenpreis loszuschlagen. Bäcker, Bioläden, kleine Supermärkte – schon 76 Einzelhändler in Paris bieten täglich ihre Restposten via Optimiam an. Wie Majeed Mohamed, der einen Imbiss nahe der Sorbonne-Universität betreibt, mit Sandwichs und Gebäck.
    "In sechs Wochen habe ich dank Optimiam 20 Kunden für den Reste-Verkauf anlocken können. Das hilft mir ein bisschen angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise. Und ich muss weniger wegwerfen. Ich hoffe, Optimiam bringt mir noch mehr Kunden."
    22.000 Nutzer haben die Applikation schon auf ihrem Handy oder Computer installiert, sagt Optimiam-Mitgründer Alexandre Bellage.
    "Es sind vor allem Studenten, die bei den Restposten zuschlagen: um billiger zu essen, mal andere Produkte auszuprobieren. Und um gegen die Lebensmittelverschwendung vorzugehen."