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Lebensmittelsicherheit
Tiermediziner: Tierhaltung ist größte Baustelle

Die Lebensmittelskandale der Vergangenheit haben viele Verbraucher beunruhigt. Reinhard Fries, Experte für Fleischhygiene von der Freien Universität Berlin, sagte im Interview mit dem DLF, die Sicherheit in Deutschland sei hoch, Potenzial zur Verbesserung bestünde in der Tierhaltung.

Reinhard Fries im Gespräch mit Stefan Römermann |
    Stefan Römermann: Wie steht es tatsächlich um die Lebensmittelsicherheit in Deutschland?
    Reinhard Fries: Deutschland und der deutsche Lebensmittelmarkt und die Lebensmittelherstellung in Deutschland sind vergleichsweise, global gesehen, extrem sicher. Wir leben in einem sicheren Land mit sicheren Lebensmitteln und auch mit genügend zu Verfügung gestellten Lebensmitteln. Wir können uns nicht beklagen.
    Römermann: Trotzdem gibt es was zu tun.
    Fries: Richtig. Das ist jetzt genau das Aber. Und jede Gesellschaft, jede Zeit und jede geografische Landschaft hat ihre Lebensmittelprobleme.
    Römermann: Wo sind die größten Baustellen? Wo, würden Sie sagen, ist da momentan das Wichtigste, wo man ansetzen muss?
    Fries: Wenn Sie von der öffentlichen Wahrnehmung kommen, dann sind die größten Baustellen mit Sicherheit in der Haltung der Tiere, und das ist auch richtig so. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir eine unglaubliche Intensivierung landwirtschaftlicher Tierhaltung gehabt, was man zunächst mal als eine echte Leistung in Bezug auf Tiergesundheit und auch auf Tierhaltungstechniken herausstellen muss. Das ist eine landwirtschaftlich-technische Leistung. Möglicherweise haben wir zu wenig auf die Belange der Tiere geschaut, und wir sind in der an sich guten und komfortablen Situation, dass wir auch darüber nachdenken können, wie wird das Los der Tiere verbessern können. Und das ist auch im Fokus der Öffentlichkeit, und das ist richtigerweise im Fokus der Öffentlichkeit.
    Römermann: Also weg von der Massentierhaltung, hin zu kleineren, ich sag mal, Einheiten, oder wie muss ich mir das denken?
    Was braucht ein Tier?
    Fries: Dem würde ich nicht folgen wollen. Also a) mag ich das Wort Massentierhaltung nicht, weil wir auch große Megastädte haben, und da geht es den Leuten auch gut. Und warum soll eine Kuh, die in einem Tausend- oder Zweitausenderbestand steht – ich habe schon Bestände mit 25.000 Kühen gesehen – warum soll es denen schlechter gehen als anderen. Ich denke, es geht um das Umfeld, das wir dem einzelnen Tier bieten. Und da ist nicht so sehr die Zahl, die Gesamtzahl wichtig, sondern das Umfeld, ob wir das hygienisch gestalten können, ob wir das tieradäquat gestalten können, wobei niemand weiß, was letzten Endes einem Tier zugestanden werden kann. Weil wir uns nicht in die Seele eines Tieres hineinversetzen können. Wir wissen im Grunde genommen noch nicht mal, was artgerecht ist, weil ein Nutztier letzten Endes ein Ergebnis einer züchterischen Entwicklung ist, seit Tausenden von Jahren. Was braucht ein Tier?
    Römermann: Auf der anderen Seite geht es natürlich auch um die Verarbeitung der Lebensmittel. Es gibt beispielsweise ja auch in Schlachthöfen und Lagerstätten immer wieder Probleme. Momentan ist das Thema "Chlorhühnchen" wieder ein heiß diskutiertes im Zusammenhang mit dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. In den USA dürfen ja Hühnchen, Hähnchen im Schlachthof mit Chlor desinfiziert werden. Die EU lehnt das bisher ab. Wie sehen Sie das als Wissenschaftler? Wäre das vielleicht auch eigentlich eine sinnvolle Sache, die wir auch hierzulande machen müssten?
    Die Fleischproduktion beginnt beim Tierfutter
    Fries: Zunächst mal haben wir zwischen den USA und der EU sehr unterschiedliche Philosophien in der Lebensmittelgenerierung und auch in der Tierhaltung. Wir haben eine lange Kette. Wir können nicht mit der Hygiene von Lebensmitteln anfangen im Schlachtbetrieb, das ist sowieso viel zu spät. Wir müssen, wie wir eben schon intensiv besprochen haben, in die Haltung der Tiere gehen. Und wie müssen darüber hinaus auch in die Futtermittelproduktion gehen, dass also über die Futtermittel nichts rein kommt. Das heißt, wir müssen unseren Blick wandeln in die gesamte Kette der Lebensmittelgenerierung. Wenn Sie das im Auge halten, dann müssen Sie gleichzeitig auch an jedem Punkt dieser technischen Ketten überlegen, wo man Hürden aufbauen kann, dass möglicherweise eben Zoonose-Erreger nicht übertragen werden. Wenn wir das jetzt übertragen auf Ihre Frage nach dem Chlorieren, dann ist, und das sage ich als Wissenschaftler, ganz klar, der Eingriff, ein Zusetzen von chemischen Substanzen in Flüssigkeiten eine Möglichkeit unter vielen, den Übertrag an Zoonose-Erregern zu verringern. Und unser Job, um es mal salopp zu sagen, ist, an jeder Stelle das Risiko so gering zu machen wie möglich. Und da ist das Chlorieren oder der Zusatz von Milchsäure eine Möglichkeit, den Druck auf das letztendliche Erzeugnis zu verringern. Insofern, ich beantworte diese Frage ganz klar: Es ist eine Option. Ob das umgesetzt wird, ist eine politische Entscheidung.
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