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Lebenswirklichkeit im Sozialismus als Foto

Der Titel "Geschlossene Gesellschaft" für eine Ausstellung über Künstlerische Fotografie in der DDR zwischen 1949 und 1989 lenkt die Wahrnehmung. Dass der neue Mensch ein unfreier Mensch ist, Wunsch und Wirklichkeit des DDR-Sozialismus weit auseinanderliegen, zeigen die Fotos in der Berlinischen Galerie.

Von Carsten Probst |
    Ulrich Domröse, der heute die Fotografieabteilung der Berlinischen Galerie leitet, ist als Ostberliner Galeriepionier und Fotohistoriker schon seit den 80er-Jahren mit der Fotografieszene der DDR vertraut. Man spürt, dass es ihm - wie auch seinen Mitstreitern Gabriele Muschter, T. O. Immisch und Uwe Warnke -darum geht, endlich einige der lieb gewordenen Klischees über die Fotografie in der DDR auszuräumen. Dazu gehört vor allem deren Charakterisierung als reine Sozialfotografie. Arno Fischer, der im letzten Jahr verstorbene Nestor der Fotokunst in der DDR, hatte sich in den frühen 50er-Jahren unter anderem von der amerikanischen Street Photography inspirieren lassen und seinen Blick verstärkt auf das Alltagsleben in den kriegszerstörten Städten des sozialistischen Staates gerichtet. Über 30 Jahre sind dann auch jüngere Fotografen diesem Anspruch, die Lebenswirklichkeit im Sozialismus darzustellen, gefolgt.

    Aber daraus ergab sich vor allem nach der Wende der unterschwellige Vorwurf, die DDR-Fotografen hätten sich doch alle immer nur mit denselben Themen beschäftigt und bei aller technischen Perfektion letztlich nur ein traditionelles Verständnis von der fotografierten Wirklichkeit im Biotop der DDR gepflegt. Domröse und seine Co-Kuratoren setzen lieber auf den Begriff des Dokumentarischen. Sie wollen eine historisch differenzierte Darstellung, ein Herausschälen der jeweils individuellen Werke und Bildsprachen der Fotografen. 22 Jahre nach der Wiedervereinigung will diese umfassende Ausstellung endlich eine kunsthistorisch haltbare Zusammenfassung der Fotokunst in der DDR leisten.

    Dahinter steckt ein enormer Aufwand an Recherche. Gelungen sind eine Ausstellung und vor allem auch ein Katalog, der die Fotokunst der DDR nicht als bloße Illustration einer wahlweise melancholischen oder spöttischen Rückschau auf die DDR einspannt. Hier geht es um Einzelwerke und Persönlichkeiten, die freilich durch die Bedingungen der Arbeit in der DDR miteinander verbunden waren, in einer "Geschlossenen Gesellschaft", wie der Titel sie nennt. Eine "Geschlossene Gesellschaft" war aber auch die Fotografieszene der DDR, weil sie in einer ständigen Balance befand, mit Zugang zur offiziellen Politik ebenso wie zu den sich immer deutlicher ausprägenden Subkulturen.

    Zwei Phasen unterscheidet Kurator Domröse in der Entwicklung der Fotokunst in der DDR. Die erste reicht von den Nachkriegsanfängen bis in die 70er-Jahre und wird mit den Schlagworten "Realität, Engagement, Kritik" umschrieben. Es ist die Schule der Alltagsbeobachtung, die zunehmend die Missstände und repressiven Rituale im sozialistischen Staat dokumentiert: Von Arno Fischer angefangen, versammeln sich hier mittlerweile die unangefochtenen Größen der DDR-Schulen: Ursula Arnold, Evelyn Richter, Roger Melis, Sibylle Bergemann, Christian Borchert, Gundula Schulze-Eldowy, Ulrich Wüst oder Erasmus Schröter und noch einige mehr. Hier ergänzt sich der Ansatz des Berliner Projektes mit zahlreichen Einzelausstellungen, die diesen Künstlern schon in den vergangenen Jahren gewidmet waren. Die zweite Phase der Fotografie in der DDR beginnt mit der neuen Generation seit Ende der 70er-Jahre, die sich im Gegensatz zu den Altvorderen immer stärker von den vorgegebenen Denk- und Lebensweisen abwendet und bis zum Ende der DDR auch immer wieder den offenen Konflikt riskiert. Klaus Hähner-Springmühl zählte mit seinen Übermalungen und Verunstaltungen von Fotografien zu den wichtigen Leitfiguren dieser Szene. Bekannter sind mittlerweile zweifellos Thomas Florschuetz, Tina Bara, Matthias Leupold, Helga Paris oder Maria Sewcz.

    Dazwischen und chronologisch nicht immer klar einzuordnen ist ein weiteres Kapitel eingefügt, das bislang selten explizit gewürdigt wurde: die experimentelle und abstrakte Fotografie in der DDR, die das Erbe der Moderne besonders explizit fortschreiben wollte. Hierunter fallen ebenfalls berühmte oder inzwischen bekanntere Namen wie Edmund Kesting, Micha Brendel oder Lutz Dammbeck. Dieser Teil aber ist besonders verdienstvoll, weil er herausragende, aber bislang zu selten gewürdigte Positionen herausstellt, wie die Mehrfachbelichtungen eines Ernst Goldberg oder die halbabstrakten Stillleben eines Manfred Paul.

    Ohne Frage würdig und eindrucksvoll ist auch der Prolog mit den zerstörten Dresdner Stadtlandschaften von Richard Peter sen. und den Porträts von Trümmerfrauen durch Karl Heinz Mai.

    Wie bei allen Versuchen von Kanonisierung wird sich auch bei diesem Berliner Projekt schnell Kritik erheben angesichts all der vielen, die nicht unter den hier aufgenommenen 32 Fotografinnen und Fotografen zu finden sind.

    Journalistische Fotografie oder Fotografen, die nur einzelne herausragende Bilder geschaffen haben, haben die Kuratoren bewusst ausgeschlossen. Aber wer weiß schon genau, wo die Grenzen hier zu ziehen sind? Diese Debatte ist noch lange nicht beendet.