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Lederer zur Zukunft der Berliner Volksbühne
"Die Frage ist nicht, ob wir scheitern, sondern wie"

Unter dem Motto "Vorsicht Volksbühne!" wurde bei einem zweitägigen Kongress in der Berliner Akademie der Künste über das künftige Konzept der Berliner Volksbühne gestritten. Ergebnis nach der "Gruppentherapie Volksbühne": Das Theater soll vieles sein - aber was genau, bleibt unklar.

Von Barbara Behrendt |
    Volksbühne Berlin
    Um sie geht es: Die Volksbühne in Berlin (dpa / picture alliance)
    Die Volksbühne ist seit dem Scheitern der Intendanz von Chris Dercon zum gigantischen Luftschloss in den Himmel gewachsen. Noch strahlt die Ära von Frank Castorf verklärt in der Erinnerung, aber das neue Traumgebilde, das beim Kongress an der Akademie der Künste heraufbeschworen wurde, ist weit mehr als ein Nachbau der alten Räuberrad-Bühne.
    Basisdemokratisch soll die neue Volksbühne sein, jedoch von einer starken Persönlichkeit geleitet. Künstler der alten Volksbühne und der freien Szene sollen sie gestalten, Wissenschaftler, Stadtsoziologen und Aktivisten. Postkolonial, antirassistisch, feministisch, queer, widerständig soll sie sein, ein Zeichen gegen die Gentrifizierung Berlins setzen, international, aber doch berlinbasiert, ein Ensemble- und Repertoirebetrieb – aber durchlässig für freie Projekte. Politisch soll sie sich gegen rechts positionieren, die Virtual Reality einbeziehen und dabei natürlich ganz frei und ohne Erfolgsdruck arbeiten. Die eierlegende Wollmilchsau ist ein Einzeller dagegen.
    Wer ist das "Volk" in der "Volksbühne"?
    Da kriegt nicht nur Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters, Muffensausen: "Also, ich als Intendant würde leicht panisch werden, wenn ich da hinkäme. Denn wie kann man dem jetzt entsprechen?"
    Das Aburteilen und Besserwissen beim Kongress ist vorprogrammiert – denn jeder Theaterwissenschaftler, Künstler, Aktivist fühlt sich hier plötzlich befähigt, über die Volksbühne zu bestimmen. Wer ist das "Volk" in der "Volksbühne", lautet die Frage. Wer sind heute die Verstoßenen und Beleidigten, für die Castorf damals Theater gemacht hat?
    Der Ex-Volksbühnenintendant Chris Dercon
    Der Ex-Volksbühnenintendant Chris Dercon: wie geht's nach ihm weiter? (Paul Zinken/dpa)
    Die Theaterwissenschaftlerin Evelyn Annuß, die in einer Petition über 40.000 Unterschriften gegen Dercons Intendanz gesammelt hatte, kritisiert den bis 2020 kommissarisch berufenen Intendanten Klaus Dörr tatsächlich dafür, eigenverantwortlich ein erstes Gastspielprogramm auf die Beine gestellt zu haben: "Und in diesem Zusammenhang wüsste ich gern, ob die genannten Namen als Notprogramm, oder allen Ernstes als neues Profil der Volksbühne gedacht sind, die sich dann vom BE, vom DT oder der Schaubühne nicht weiter unterscheiden würde."
    Lederer: "Ich bin selbst Suchender"
    Nicht der einzige Hieb gegen Dörr – sodass Kultursenator Klaus Lederer zu deeskalieren versucht: "Man kann alles, was jetzt passiert ist denunzieren. Man kann auch all das denunzieren, was Klaus Dörr jetzt versucht... Ich bin erst mal froh, dass sich einer bereit erklärt hat, in einer Situation, die er nicht versursacht hat und die ich nicht verursacht habe, zu sagen, ich nehm‘ das jetzt mal auf mich." Der Kongress sei keine Alibi-Debatte: "Aber ich hab‘ keinen Plan hier auf dem Tisch. Dann könnte ich mir den Kongress hier sparen. Ich bin selber Suchender."
    Berlins Kultursenator Klaus Lederer
    Berlins Kultursenator Klaus Lederer (dpa / picture alliance)
    Immer wieder wird Lederer und Dörr von Zuschauern (unter ihnen Aktivisten, die im Oktober die Volksbühne besetzt hatten) Hinterzimmerpolitik vorgeworfen. Dabei muss man beiden zugute halten, dass sie sich der öffentlichen Debatte stellen, Meinungen einholen, bevor eine Entscheidung nach Dörrs "Zwischennutzung" gefunden ist, wie Silvia Fehrmann, Sprecherin des Rates für die Künste, die Zeit bis 2020 nennt. Dörr bleibt zurückhaltend, ruhig, bescheiden: "Das Erste, was ich feststellen musste, ist, dass das alles nicht zu schaffen ist. Und wenn man das weiß, dass es nicht zu schaffen ist, kann man anfangen zu arbeiten." Auf eine Richtung festlegen, will er sich nicht: "Einerseits soll ich mir alles anhören, mit allen sprechen, alle Ideen aufnehmen, viel diskutieren, und andererseits soll ich hier schon skizzieren, was ich für die nächsten zwei Jahre in der Hosentasche habe. Da wird nichts draus."
    Gruppentherapie Volksbühne
    Immer, wenn die Wogen allzu hoch schlagen, plädiert Esther Slevogt, als Journalistin beim Internetportal "Nachtkritik" an Hasskommentare gewöhnt, für heilende Maßnahmen, um die Gekränkten wieder ins Boot zu holen – Gruppentherapie Volksbühne. Was kann herauskommen nach rund zehn Stunden Gespräch? Lederer spricht sich in seinem Schlussstatement für einen "künstlerischen Imaginationsraum für alternative Gesellschaftsformen" an der Volksbühne aus und will am Ensembletheater festhalten. Ob in einem transparenten Verfahren, wie es laut Fehrmann die Gesellschaft fordert, über die Volksbühne entschieden wird, lässt Lederer offen und endet geradezu demütig:
    "Ich fühle mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, zu sagen, wie dieser Prozess im Detail laufen wird. Das einzige, was ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ist: Wenn wir’s bis Ende des Jahres nicht geschafft haben, dann brauchen wir halt länger. Es sind alle aufgerufen, diesen Debattenprozess jetzt zu organisieren – ich kann umgekehrt garantieren: Wir werden zuhören. Irgendwann werden wir dann auch zu einer Entscheidung kommen. Und diese Entscheidung wird mit Sicherheit ein Scheitern sein angesichts aller Erwartungen hier. Die Frage ist nicht, ob wir scheitern, sondern wie wir scheitern."