"Es ist wichtig, dass man alle Facetten seiner Gefühlswelt akzeptiert, und dazu gehören eben auch schlechte Momente und Traurigkeit. Diese Emotionen zeichnen einen als Person aus."
Ein wenig überraschend ist es schon, als Neil Barnes im Interview gleich am Anfang sehr emotional wird. Er überspringt den üblichen Smalltalk und kommt gleich auf den Punkt. Man wird das Gefühl nicht los, der Londoner habe lange darauf gewartet, endlich sein Herz ausschütten zu können und die vergangenen Jahre zu verarbeiten.
"Ich habe vor einiger Zeit getwittert, dass ich depressiv bin und viele Berg- und Talfahrten durchmache. Über Twitter erreiche ich damit viele Leute. Ich finde es interessant, die Persönlichkeit ehrlich und aufrichtig mit den Menschen zu teilen."
Aus dieser Dunkelheit heraus entstand "Alternative Light Source": Auf der Suche nach einer alternativen Lichtquelle. Gleich das erste Stück "Bad Radio" handelt davon, sich von den Medien in die Ecke gedrängt zu fühlen. Von Erwartungen überfordert zu sein. Es beschreibt aber auch die Möglichkeiten, aus diesem schwarzen Loch zu entkommen. In "Dark Matters" geht es darum, die düsteren Momente im Leben zu zulassen.
"Ich habe mich auch für Physik interessiert. Die Physik, das Universum, das große Ganze und die Abläufe kleinerer Prozesse. Mich fasziniert diese Dichotomie: Das Universum ist voller Dinge und enthält einfach alles. Und doch kann man sich darin verlieren."
Die Musik auf dem Album ist der Gegenpol zu dieser inhaltlichen Schwere. Barnes hat sich den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gestellt und die alten Pfade verlassen. Hörte man in den 90ern noch sehr viel Dub und Reggae Einflüsse, so experimentiert das neue Album mit mehr Stilen.
"Die elektronische Musik ist erwachsen geworden. Sie schockt die Menschen nicht mehr, ist nicht komplett neu und hat sich rund um den Globus etabliert. Egal, ob du Techno, House oder Vocal Trax magst, jeder spielt heutzutage mit elektronischem Equipment herum. Es reicht nicht mehr, einfach nur etwas Gesang über einen House Beat zu legen. Die Möglichkeiten sind mittlerweile viel größer.
Auch die Auswahl der Gastsängerinnen und –sänger zeigt diese Vielfalt. Sie sind alle nicht unbedingt die großen Stars, aber dennoch sehr prägnante Stimmen. Channy Leneagh von Polica zum Beispiel wurde durch ihren weichen und verzerrten Gesang bekannt. Ihre Stimme schwebt durch zwei Stücke des Albums. Tunde Adebimpe von TV On The Radio beschwört mit seinem dunklen Timbre die Düsterkeit. Und die britischen Arbeiter-Klasse-Rapper der Sleaford Mods geben dem Ganzen eine Härte. Als Produzent wirkte zudem sein alter Freund Adam Wren mit und ließ den alten Weggefährten Paul Daley vergessen.
"Bei diesem Album habe ich eng mit Adam zusammengearbeitet. Er wurde zur zweiten Hälfte von Leftfield und hat viele Ideen beigesteuert. Es ist immer einfacher, mit einer zweiten Person zu arbeiten. Denn man kann sich austauschen, und die Tracks entwickeln sich auf eine andere Art. Wenn Paul dabei gewesen wäre, hätte sich das Ergebnis ganz anders angehört. Ob ich Paul vermisste habe? Nein, eigentlich nicht.
Es ist für eine Band immer schwierig, nach so langer Pause, mit neuem Album an die Öffentlichkeit zu treten. Besonders, wenn einem ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher ist. Leftfield haben die elektronische Musik beeinflusst, geformt und auch berühmt gemacht. So etwas gelingt nicht ein zweites Mal. Aber Neil Barnes hat diesen Versuch gar nicht erst unternommen. So wirkt das Album nicht verkrampft, wie es bei Comebacks oft passiert. Nein, man hört die Freude am Ausprobieren neuer Klänge und Techniken heraus, ohne dabei den alten Leftfield-Sound auszublenden. Und das alles zusammen mit guten Freunden.
"Ich habe meine Tochter einfach ins Studio geschleppt und sie gebeten, bei dem Song "Universal Everything" mitzumachen. Und sie konnte nicht widerstehen. Aber sie will nicht, dass ich darüber spreche, weil sie gerade ihre eigene Karriere aufbaut und nicht ständig mit mir in Verbindung gebracht werden möchte. Ich nehme ihr das nicht übel. Sie hat auf dem Stück gesungen und ich mag das Ergebnis sehr. Es fühlt sich an, als würde man verloren im Weltall treiben."