Ralf Krauter: In Kanada gibt es ab heute keinen Grund mehr, verstohlen und heimlich an einem Joint zu ziehen. Denn ab sofort ist der Konsum von Cannabis-Produkten dort nicht mehr strafbar. Die drei wichtigsten Argumente für diese Legalisierung lauten: Erstens: Der Cannabis-Konsum wird entkriminalisiert. Zweitens: Der Schwarzmarkt für Marihuana wird trocken gelegt. Und drittens: Die Risiken des Cannabis-Konsums sind geringer als die von Alkohol - und der darf ja auch im Laden verkauft werden.
Welche dieser drei Argumente ihn persönlich am meisten überzeugt, erklärte der Suchtmediziner und Cannabis-Experte Professor Derik Hermann, leitender Oberarzt am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, im Deutschlandfunk.
Derik Hermann: Am überzeugendsten finde ich, dass der Schwarzmarkt ausgetrocknet wird, weil das natürlich einfach ein gesellschaftlicher Schaden ist, der durch den illegalen Verkauf von Cannabis entsteht. Da werden hohe finanzielle Beträge in dubiose Quellen gegeben, und das möchte man einfach verhindern.
"Cannabis ist auch für die Gesundheit gefährlich"
Krauter: Was spricht aus der Sicht des Suchtmediziners gegen die Freigabe von Cannabis?
Hermann: Gegen die Freigabe spricht vor allen Dingen, dass es ein Zeichen vielleicht sein könnte für die Bevölkerung, dass Cannabis harmlos ist, und dem ist nicht so, sondern Cannabis ist auch für die Gesundheit gefährlich. Es kann zu verschiedenen Erkrankungen, vor allem im psychiatrischen Bereich, kommen, zu Psychosen, zu Konzentrations- und Lernschwierigkeiten und zur Abhängigkeit.
Krauter: Wobei ja nicht wenige Experten sagen, mag alles so sein, aber bei Alkohol ist das Risiko deutlich höher, und da sind wir ja auch nicht so restriktiv.
Hermann: Ich würde dem zustimmen. Alkohol ist in der Tat deutlich gefährlicher, wobei es in Deutschland sehr üblich ist, die Gefahren von Alkohol stark zu verharmlosen. Im Vergleich zu Cannabis ist Alkohol wirklich gefährlicher, aber trotzdem weist Cannabis natürlich auch seine spezifischen Gefahren auf.
Gefahren: Psychosen, Sucht und Lernprobleme
Krauter: Welche wären das aus Ihrer Sicht?
Hermann: Dazu gehören vor allen Dingen psychiatrische Erkrankungen wie Psychosen mit Halluzinationen und Paranoia, die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung und diese Probleme mit Gedächtnis und Lernen, die durch Cannabis entstehen. Dazu kommt noch, dass, wenn Cannabis geraucht wird, die Lunge geschädigt wird und natürlich im intoxikierten Zustand leichter Unfälle passieren.
Nötig: strenge Auflagen für den Jugendschutz
Krauter: Nun gibt es ja schon einige Länder beziehungsweise Regionen, die das, was Kanada jetzt heute startet, schon vorweggenommen haben, Uruguay zum Beispiel, aber auch der US-Bundesstaat Colorado. Verrät der Blick auf diese Vorreiter, was da jetzt in Kanada zu erwarten sein könnte?
Hermann: Nur teilweise, weil ein entscheidender Punkt ist ja, wie man die Legalisierung gestaltet. Gerade in Kanada wird auch großer Wert drauf gelegt, die Jugend zu schützen, und es werden strenge Auflagen für den Jugendschutz gemacht. Das finde ich sehr positiv und wichtig.
In den USA würde ich es sehr kritisch sehen, dass Cannabis beworben wird und auch eine ganze Reihe von anderen Produkten als die eigentliche Pflanze generiert werden, zum Beispiel Kekse oder Gummibärchen, in denen Cannabis enthalten ist, und das ist natürlich ein Markt, der dann auch eher sich wieder an jüngere Personen richtet, und genau für jüngere Personen ist Cannabis gefährlicher als für Erwachsene.
Konsum steige nicht durch Legalisierung
Krauter: Gleichwohl gibt es ja zum Beispiel aus Colorado Umfragen, die zu bestätigen scheinen, dass der Anteil an Minderjährigen, die also nach eigenen Angaben in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumiert haben, von 25 auf 21 Prozent gesunken ist seit der Legalisierung. Heißt das nicht, sobald Joints oder Haschkekse legal sind, sind sie für Kids vielleicht auch gar nicht mehr so spannend?
Hermann: Das wäre natürlich ein sehr schöner Effekt. Diese Zahlen sind vielleicht noch etwas vorläufig, und man muss sich genau anschauen, ob die stimmen, aber es ist zumindest bestätigt, dass nicht unheimlich viel mehr Personen Cannabis konsumieren, wenn man es legalisiert. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, weil das ist quasi die größte Gefahr, die man sehen würde, auch aus der Situation aus Deutschland heraus. Wenn erste Zahlen zeigen, dass das nicht so ist, spricht das doch sehr dafür, eventuell doch eine Legalisierung zu versuchen.
Legalisierung auch für Deutschland anstreben
Krauter: Die Polizei von Colorado meldet auch, dass die Zahl drogenbezogener Straftaten zwei Jahre nach der Legalisierung von Cannabis um 23 Prozent gesunken ist. Das heißt, das Ausradieren des Schwarzmarktes hätte ja auch gesellschaftlich einen durchaus positiven Effekt dann.
Hermann: Genau, und das ist, glaube ich, wirklich der wichtigste Punkt, dass man Straftaten verhindert, weil eigentlich ist es ja so, derjenige, der Cannabis konsumiert, der schädigt sich ja eigentlich höchstens selbst, und damit passt es eigentlich gar nicht ins Konzept, diese Person zu bestrafen. Das ist ja leider auch in Deutschland noch gang und gäbe, dass einfach der Konsument, der mit Cannabis erwischt wird, mit Strafen zu rechnen hat.
Krauter: In Deutschland – Sie haben es schon angesprochen – läuft ja aktuell auch eine Debatte, im Bundestag liegen verschiedene Vorschläge vor für eine künftige Lockerung der Regelungen für Cannabiskonsum. Wie sehen Sie das als Suchtmediziner, wären wir klug beraten, Kanadas Beispiel vielleicht bald zu folgen oder eher nicht?
Hermann: Ich denke, es wäre schon klug, eine Legalisierung anzustreben, ganz einfach auch schon deshalb, wenn man sich die jetzige Situation vor Augen führt, dann gibt es Umfragen unter jungen Erwachsenen, bei denen deutlich mehr als die Hälfte angeben, auch jetzt schon innerhalb kürzester Zeit besorgen zu können. Das heißt, wir haben eigentlich schon einen sehr liberalen Umgang mit Cannabis, und wenn die Prohibition gescheitert ist, dann hat die Legalisierung doch Vorteile, ehrlicher damit umzugehen, auch Angebote zu machen für diejenigen, die wirklich durch Cannabis Probleme bekommen. Die scheuen sich jetzt noch, sich an offizielle Stellen zu wenden, und das würde sich auf jeden Fall bessern.
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