Schon an der Art der Fehler können erfahrene Lehrer erkennen, ob ein Kind unter einer Lese-Rechtschreibschwäche leidet. Da steht dann beispielsweise "Ischt" statt "Tisch". In "Ischt" kommen alle Buchstaben vor, die für "Tisch" eigentlich benötigt werden - nur die Reihenfolge ist verdreht. Deswegen vermuten Experten schon lange, dass das Gehirn von Legasthenikern sprachliche Laute nicht so gut erkennen und voneinander unterscheiden kann. Um einen letzten Beweis für diese allgemein anerkannte These zu liefern, hat der belgische Psychologe Bart Boets Legastheniker in einem Kernspintomografen einem Test unterzogen.
"Sie hörten dabei Sequenzen von vier verschiedenen Lauten: Ba Bü Da Dü. Je einer wurde vier mal wiederholt: Ba Ba Ba Ba. Und dann begann eine neue Sequenz zum Beispiel: Bü Bü Bü Bü. Die Testpersonen mussten dann angeben, ob der Unterschied zwischen den beiden Sequenzen bei den Konsonanten oder den Vokalen liegt."
Bei diesem Test schnitten Legastheniker genauso gut ab, wie jeder andere auch. Allerdings waren sie nur halb so schnell wie Versuchspersonen ohne Lese-Rechtschreibschwäche. Wirklich spannend war für Bart Boets aber die Auswertung der Hirnscans.
"Wir haben uns die Muster der Hirnaktivität für jeden vorgespielten Laut angesehen. Jeder Laut erzeugt ein anderes völlig einzigartiges Muster - wie eine Art neuronaler Fingerabdruck. Der Laut "Da" erzeugte ein anderes einzigartiges Muster an Hirnaktivität als der Laut "Ba"."
Die deutsche Sprache verfügt über etwa 40 Laute und jeder Laut erzeugt ein spezifisches Muster in der sogenannten "Hörrinde" unseres Großhirns. Bislang waren Legasthenie-Forscher immer davon ausgegangen, dass sich im Gehirn von Legasthenikern keine so spezifischen Muster für die jeweiligen Laute bilden und diese sich womöglich nicht so gut voneinander unterscheiden lassen. Bei seiner Auswertung konnte Bart Boets aber keinen Unterschied zwischen Versuchspersonen mit und ohne Legasthenie erkennen. Um das Rätsel zu lösen, führte er eine zweite Analyse durch.
"Wir haben also die Verbindung zwischen den verschiedenen an der Sprachverarbeitung beteiligten Hirnarealen genauer untersucht - ihre genaue Struktur und wie gut sie funktionieren. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Verbindungen bei den Legasthenikern gestört waren."
In der Hörrinde der Legastheniker ist also die Information über die Laute in einem gesprochenen Wort vorhanden. Aber alle anderen Hirnareale, die zum Schreiben und Lesen ebenfalls benötigt werden, können auf diese Information nicht richtig zugreifen.
"Mit dem Wissen, das wir jetzt haben, können wir vielleicht auch neue Therapien entwickeln. Dabei könnten beispielsweise auch Methoden eingesetzt werden, bei denen mithilfe von Magnetfeldern, die Verbindungen zwischen Hirnarealen aktiviert und so gestärkt werden. Dadurch würde sich dann hoffentlich auch die Lesefähigkeit verbessern."
Eine solche High-Tech-Therapie ist nicht in jedem Fall erforderlich. Auch einige herkömmliche Therapien trainieren den Zusammenhang zwischen der Buchstabenfolge und den Lauten eines Wortes. Dadurch aktivieren Legastheniker immer wieder die Verbindung zwischen den verschiedenen sprachverarbeitenden Hirnarealen. Das stärkt mit der Zeit diese Verbindungen.