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"Legendär ist der Kampf um seine Habilitation"

Jochen Hönisch bleibt an Friedrich Kittler vor allem in Erinnerung, wie er medienmaterialistisch über Film, Grammofon und Typewriter geforscht habe. Das habe die "Geisteswissenschaft gekränkt" und Kittlers Habilitation gefährdet, so der Literaturwissenschaftler.

Jochen Hörisch im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Friedrich Kittler war Begründer einer ganz neuen Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften. Der gebürtige Sachse, dessen Familie 1958 in den Westen geflohen war, war es, der seit den 70er-Jahren die Themen Medien, Techniken, Kommunikation in den Elfenbeinturm der Germanisten und Philosophen einschleuste. Was in einer Epoche gedacht wird, lautete sein Credo, hängt immer auch ganz wesentlich von den technischen Medien ab, die den Denkern zur Verfügung stehen und mit denen sie ihre Gedanken überhaupt festhalten können, vom Faustkeil bis zum iPhone. Im Alter von 68 Jahren ist Friedrich Kittler heute Morgen in Berlin gestorben. - Jochen Hörisch, Sie sind Kollege und Freund gewesen. Hat Kittler mit seinen Ideen nicht eigentlich zunächst mal den Geisteswissenschaften den Geist ausgetrieben?

    Jochen Hörisch: Er hat die Geisteswissenschaften belebt, wie kein zweiter in den letzten Jahrzehnten. Das sage ich jetzt nicht, weil ich die Rhetorik bediene, die man hat, wenn große Geister gestorben sind. Einem größeren Geist bin ich in meinem auch nicht mehr ganz jungen Leben nicht wieder begegnet. Friedrich Kittler war ein Diskursbegründer, der wirklich verbindliche Argumente und reiches gelehrtes Material hat, dass die Geisteswissenschaften sich daran erinnern mussten, dass sie eben doch auch Wissenschaften sein können und dass sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, anderes als Triviales zu denken, was jeder mit gesundem Menschenverstand denkt. Das war das Genie von Friedrich Kittler. Er hat die Geisteswissenschaften, die er kritisiert hat, in einer Art und Weise belebt, dass man ihm nur dankbar sein kann.

    Koldehoff: Auf welche Reaktionen ist er damit gestoßen in den 70ern?

    Hörisch: Legendär ist der Kampf um seine Habilitation. Der Medienmaterialismus, den Friedrich Kittler vertreten hat, hat natürlich viele hochgradig irritiert. Wir müssen uns zurückdenken in die Zeit, in der Friedrich Kittler promoviert und habilitiert hat; da war die Germanistik wahnsinnig stolz, wenn sie in irgendeiner Literatur Webstühle und Dampfmaschinen entdeckt hat. Die Art und Weise, wie Friedrich Kittler den Quellcode des Geistes selbst freigelegt hat, medienmaterialistisch geforscht hat über Film, Grammofon, Typewriter, über die Aufschreibesysteme, die die Tiefengrammatik unserer medialen Verfassung darlegen, das hat natürlich die Geisteswissenschaften zutiefst gekränkt. So wie in gewisser Weise Freud oder auf einer anderen Ebene in der Logik Gödel die Geisteswissenschaften, zu denen ich auch die Mathematik rechne, gekränkt habe, das vergisst ein Fach so schnell nicht. Und deshalb sollte Friedrich Kittler nicht habilitiert werden, das ist ein Skandal - Gott sei Dank ist es noch gut gegangen, das will ich gleich ergänzen -, wie man zuletzt bei Walter Benjamins Nichthabilitation hatte.

    Koldehoff: Ist denn Ihnen persönlich als Kollegen, als Freund sofort einleuchtend gewesen der Gedanke, dass man immer nur so weit denken kann, wie es die Medien auch zulassen, die man zur Verfügung hat?

    Hörisch: Ja. Ich weiß, dass ich wirklich überwältigt war, als ich Friedrich Kittler als junger Student das erste Mal begegnet bin. Ich kann es genau datieren: 1975 bei einer Ferienakademie der Studienstiftung. Und dieses eigentümliche Gefühl, von heute ab musst du anders denken, oder dir zumindest Mühe geben, anders zu denken, als du es zuvor getan hast, war für mich und weiß Gott nicht bloß für mich alleine damals schon verbindlich.

    Koldehoff: Irgendwann waren Friedrich Kittlers Ideen, so unerhört sie am Anfang gewesen sein mögen, allgemein anerkannt. Wie haben Sie ihn in den letzten Jahren erlebt? Was hat ihn da noch beschäftigt?

    Hörisch: Friedrich Kittler war immer auch ein wunderbarer Romantiker, aber nicht im Sinne des sentimentalen Romantikerklischees, wie wir es kennen, sondern derjenige, der wusste, um ein großes Wort von ihm zu zitieren, dass der Tod die Redezeit verknappt. Und sein esoterisches Spätwerk über Griechenland, etwa über Mathematik und Musik, kreist ziemlich genau um diese Idee, dass wir die Ankunft der Götter vorbereiten müssen, die sich ihrerseits wieder entzogen haben. Der letzte Vortrag, den ich von ihm hören konnte - es war wohl auch der letzte Vortrag, den er öffentlich gehalten hatte -, war im Frühsommer in München, und der hatte genau diesen Titel, "Die Ankunft der Götter vorbereiten", und das war nichts anderes als eine Interpretation des Schlussgesangs von Brünhilde in Wagners Götterdämmerung. Und ich denke, die große Frage, die ihn umgetrieben hat, war, ob die Götterdämmerung eine Abenddämmerung, oder eine Morgendämmerung ist. Ich habe Gründe zu der Annahme, dass es eine Morgendämmerung ist, die er da bedacht hatte. Friedrich Kittler war alles andere als auf eine gängige Art und Weise fromm, aber er wusste sehr genau, dass bestimmte Formen von Medienmaterialismus nicht das Ende der Metaphysik sind und die Verwindung der Metaphysik nicht so sehr die Leistung von Nietzsche oder von Heidegger, sondern von Medienschaltungen ist, dass wir damit aber die Metaphysik nicht los sind. Und wie die eine neue Gestalt annehmen könnte, wie es sein könnte, dass man in der Postmoderne neue Formen des Griechentums leben und erfahren kann, das war die Frage, die ihn umgetrieben hat in den letzten zehn Jahren, und das große Werk, das er geplant hat, auf sechs Bände angelegt, wird nun Fragment bleiben. Aber die beiden publizierten Bände werden, denke ich, noch Generationen von Dechiffrierern umtreiben.

    Koldehoff: Jochen Hörisch zum Tod des Kulturtheoretikers Friedrich Kittler. Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.