Um den viel zitierten Praxisschock zu verhindern, schickt das Land NRW angehende Lehrer noch vor dem Studium für ein 20-tägiges Eignungspraktikum in die Schule. Die meist frisch gebackenen Abiturienten sollen die Schule so mal nicht als Schüler erleben, sondern als potenziellen Arbeitsplatz. Frederik Lazar und Silas Borowy, Lehramtsstudenten im 2. Semester an der Universität Duisburg-Essen, haben es gemacht:
"Also man sollte sich da eine Schule suchen und dann irgendwie so beurteilen, ob man dann Lehrer werden kann."
"Ich finde das jetzt schwierig, mit 18 Jahren so einen Perspektivwechsel vornehmen zu müssen, aber ich finde es einfach gut, um die persönliche Eignung so ein bisschen zu überprüfen."
Aber das Eignungspraktikum ist jetzt vom Tisch. Zum kommenden Wintersemester wird es mit dem bestehenden Orientierungspraktikum zusammengelegt, was dann im ersten Bachelorstudienjahr absolviert werden soll. Es fehlte wohl doch die universitäre Begleitung und es war auch eine Belastung für die Schulen, sagt Stefan Rumann, Chemiedidaktiker und Leiter des Zentrums für Lehrerbildung an der Universität Duisburg-Essen. Denn die Lehrer von morgen sind während des Studiums relativ oft in den Schulen:
"Eignungspraktikum, Orientierungspraktikum, Berufsfeldpraktikum und auch ein Praxissemester – ich hab so von dem ein oder anderen Kollegen an der Schule gehört: Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wen ich da vor mir habe, in welcher Praxisphase der sich eigentlich befindet."
Möglichst viel Praxis in den Hörsaal holen
Hinzu kommen dann noch Pflichtpraktika, die manche Fächer - etwa Physik - fordern. Unterm Strich sind die angehenden Lehrer in NRW im Bachelorstudium also mindestens neun Wochen in der Schule. Im Masterstudium kommt dann noch das fünfmonatige Praxissemster dazu und - ganz zum Schluss - die 1,5-jährige Referendarzeit. Damit steht NRW im bundesweiten Vergleich recht gut da.
Um möglichst viel Praxis auch in den Hörsaal zu holen, setzten viele Universitäten wie Duisburg-Essen Videoaufnahmen von Unterrichtssequenzen ein. Mit deren Hilfe wird dann besprochen, wie Lehrer mit Konfliktsituationen umgehen und wie sie Schüler beim Lernen unterstützt können. Ganze Schulklassen kommen aber auch real an die Uni – ins Chemieschülerlabor zum Beispiel, wo sie dann von Lehramtsstudierenden betreut werden.
"Genau. 50 Milliliter Essigsäure abmessen und dann einfach nur zur Paprika dazu."
"Wie lange muss die da drauf?"
Für Rene Douve, der Physik und Chemie im 4. Semester studiert, ist das eine gute Gelegenheit, sich als Lehrer zu testen:
"Ja, den Umgangston mit den Schülern erprobe ich mir natürlich hier auch. Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, wenn ich streng anfange und netter werde, funktioniert es besser."
Theorie anhand realer Schulsituationen lernen
Damit mehr Studierende als bislang diese Erfahrung machen können, soll die Betreuung der Schülerlabore künftig ausgeweitet werden. Und in vielen Seminaren sollen Studierende wie Frederik Lazar die notwendige Theorie möglichst anhand realer Schulsituationen lernen, zum Beispiel wie sich das unbeliebte Fach Chemie lebensnaher vermitteln lässt.
"Dass ich nicht erkläre, was Korrosion ist, sondern ich sage: Dieses Fahrrad hier ist verrostet, was ist denn da passiert? Wenn ich ihnen da entsprechende Materialien dazu gebe, dann werden die vielleicht verstehen, warum dieses Fahrrad verrostet und was man dagegen tun kann. Und das hat ja dann lebensweltlichen Bezug."
"Ja, genau. Das habe ich gemeint. Dankeschön."
Allerdings schwankt der Praxisbezug in Seminaren und Vorlesungen nicht nur von Bundesland zu Bundesland, und von Uni zu Uni, sondern auch von Lehrstuhl zu Lehrstuhl sehr stark, kritisieren Tim Kirchmayer und Silas Borowy, beide im 2. Bachelor-Semester:
"Vor allem auch Bildungswissenschaften, was ja eigentlich für uns der Kerninhalt des Studiums ist, ist eigentlich nur stumpfe Theorie und kaum mehr Praxisbezug."
"Genau. Also wenn ich dann in pädagogischer Diagnostik sitze, dann würde mich interessieren, anhand welcher Kriterien ich jetzt zum Beispiel eine Teilleistungsschwäche diagnostizieren kann, statt mich damit zu beschäftigen, wie viele teilleistungsschwache Jugendliche es in der BRD gibt."
Fazit:
O-Ton-Collage Lehramtsstudierende:
"Wir haben ja noch einige Praktika vor uns und auch noch ein ganzes Semester in der Schule. Und ich denke mir, die ganze Praxis werden wir auch da lernen und hier halt einfach die Theorie."
"Ich würde schon sagen, dass gerade auch durch die Einführung des Praxissemsters die Studierenden nicht mehr völlig geschockt an die Schulen kommen. Aber man braucht eben auch die Theorie dahinter."
"Ich würde mir einen Konsens wünschen, wie die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung bundesweit zu gestalten ist. Und ich würde mir diesen gleichen Konsens auch wünschen, zwischen 143 Lehramtsstudiengängen an der Universität Duisburg-Essen."