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Lehren vom Mount Everest

Medizin.- Stickstoffmonoxid wird seit einigen Jahren in der Medizin eingesetzt. Zum Beispiel werden damit Babys behandelt, die an Lungenhochdruck leiden. Wissenschaftler aus Großbritannien haben nun entdeckt, dass der Körper seine eigene Stickstoffproduktion von selbst ankurbeln kann – unter anderem oben in den Bergen, wo die Luft dünn wird.

Von Marieke Degen | 22.11.2011
    Chris Imray ist Gefäßchirurg, normalerweise forscht und arbeitet er an den Universitätskliniken Coventry und Warwickshire in England. Chris Imray ist aber auch ein begeisterter Bergsteiger. Und so kam es, dass er seinen Arbeitsplatz für ein paar Monate an einen ganz besonderen Ort verlegt hat: auf den Mount Everest. Chris Imray war einer von mehr als 200 Bergsteigern, Ärzten und Wissenschaftlern der Caudwell Xtreme Everest Expedition. Er und seine Kollegen wollten untersuchen, wie sich der Sauerstoffmangel in mehreren tausend Metern Höhe auf den Körper auswirkt.

    "Der Aufstieg zum Mount Everest ist an sich ja schon eine riesige Herausforderung, und Sie können sich vorstellen, wie schwierig es ist, die ganzen medizinischen Geräte da oben zum Laufen zu bekommen. Ohne die einheimischen Helfer hätten wir das nicht geschafft. Sie haben unsere Fahrrad-Heimtrainer nach oben geschleppt und die Geräte für die Blutgasanalysen."

    Das Team hat eine ganze Reihe von Experimenten gemacht: Einfache Dinge wie Blutdruck oder Puls messen, bis hin zu kleinen Operationen.

    "Wir haben zum Beispiel auch Muskelbiopsien gemacht, im Basiscamp. Dafür mussten wir das Bein der Teilnehmer betäuben und ein kleines Stück Muskel entfernen, das war schon recht aufwendig unter diesen Bedingungen."

    Die Expedition dauerte drei Monate, von Mitte März bis Mitte Juni 2007. Im September hat die BBC über die Expedition berichtet – und Martin Feelisch hatte zufällig den Fernseher an. Martin Feelisch ist Professor für Experimentelle Medizin. Damals war er gerade von Boston an die Universität von Warwick nach Coventry gewechselt.

    "Und ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich realisiert habe, dass während des Aufstiegs in bestimmten Höhen auch Blutproben gewonnen wurden."

    Mit diesen Blutproben könnte er ein altes Rätsel lösen. Martin Feelisch hat sich vor ein paar Jahren nämlich auch schon mal mit dem Mount Everest beschäftigt. Damals hat er das Blut von den Bewohnern der Tibetischen Hochebene untersucht und darin ungewöhnlich viel Stickstoffmonoxid gefunden.

    "Das war interessant, weil Stickstoffmonoxid hat eine Vielzahl von biologischen Wirkungen, unter anderem kann es den Stoffwechsel beeinflussen - Blutdruck, Blutfluss - eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie es helfen könnte, mehr Sauerstoff ins Gewebe zu bringen, dort wo es benötigt wird."

    Das Stickstoffmonoxid hilft den Bewohnern der tibetischen Hochebene dabei, mit dem Sauerstoffmangel besser zurechtzukommen. Martin Feelisch konnte damals aber nicht sagen, ob jeder Mensch unter solchen Bedingungen mehr Stickstoffmonoxid produziert. Oder ob das nur die Hochländer können, die sich über tausende von Jahren an den Sauerstoffmangel angepasst haben. Die Blutproben, die Chris Imray auf der Caudwell Xtreme Everest Expedition gesammelt hat, könnten diese Frage beantworten. Martin Feelisch durfte sie analysieren – und tatsächlich:

    "Wir haben herausgefunden, dass mit zunehmender Höhe und damit einhergehender Verringerung der Sauerstoffversorgung eine Erhöhung der Stickstoffmonoxid-Produktion im Körper einhergeht."

    Das Stickstoffmonoxid wirkt offenbar zweifach. Erstens: Es weitet die großen Blutgefäße im Körper. Dadurch fließt mehr Blut ins Gewebe, und mit dem Blut auch mehr Sauerstoff. Zweitens kann Stickstoffmonoxid aber auch Prozesse in Gang setzen, die dazu führen, dass sich kleinere Blutgefäße verengen.

    "Das würde dazu führen, dass sich der Blutfluss verlangsamt und eine mögliche Erklärung ist, dass damit den roten Blutzellen mehr Zeit gegeben ist, den Sauerstoff, den sie gebunden halten, an das Gewebe abzugeben."

    Das Stickstoffmonoxid hilft dem Körper also dabei, mit dem Sauerstoff besser zu haushalten. Möglicherweise könnte man damit auch Patienten helfen, die schwer krank sind und an einem Sauerstoffmangel leiden. Man könnte sie mit Stickstoffmonoxid beatmen, das wird heute zum Teil schon mit Lungenpatienten gemacht. Auch spezielle Herzmedikamente können die Stickstoffmonoxid-Produktion im Körper ankurbeln – und Gemüse.

    "Nitrat zum Beispiel, das ist ein Inhaltsstoff, der viel in Spinat, in rote Beete und anderen grünblättrigen Pflanzen zu finden ist, wenn wir einen Salat essen, nehmen wir viel Nitrat auf, dass ein Teil dieses Nitrats zu Stickstoffmonoxid umgewandelt wird."

    Die nächste Forschungsexpedition zum Mount Everest ist jedenfalls schon geplant: für 2013.